: Prozeßbeginn gegen Union Carbide geplatzt
■ Am Montag sollte in Bhopal der Prozeß gegen den Union Carbide–Konzern beginnen / Der Verursacher der größten Giftgaskatastrophe der Industriegeschichte äußert sich nicht zur Sache / Juristen bezweifeln, daß eine schnelle Aufklärung der Schuldfrage möglich ist
Neu Delhi (ap/wps) - Die erste Runde im Prozeß um die größte Giftgaskatastrophe der Industriegeschichte ging am Montag im mittelindischen Bhopal an den Konzern, der aller Wahrscheinlichkeit nach die Verantwortung für das Desaster trägt. Die Vertreter von Union Carbide, die sich noch vor Jahresfrist entschieden vehement dafür eingesetzt hatten, daß das Verfahren vor indischen (anstatt amerikanischen) Gerichten abgewickelt wird, erschienen nicht, und der Vorsitzende Richter K.S. Shrivastava sah sich zudem außerstande festzustellen, ob der Konzern die Vorladung über haupt erhalten hatte. Dieser wenig Hoffnung verheißende Beginn des Verfahrens schüttet Öl auf die Mühlen all derer, die von vornherein dafür plädiert hatten, daß Union Carbide in den USA der Prozess gemacht wird. Voller Ironie wiesen Insider schon frühzeitig auf die magische Zahl 30.000 hin: dies sei nämlich nicht nur der Urdu–Name des obersten Gerichtshofes in Delhi (Tees Hazaree), sondern auch der Betrag an Rupien, die man für einen Rechtsanwalt bezahlen müßte, und die Dauer eines Verfahrens in Tagen. Mehr als 10 Millionen Fälle sind vor indischen Gerichten anhängig und die durchschnittliche Dauer eines Zivilverfahrens beträgt elf Jahre. Angesichts der Ineffizienz der indischen Gerichtsbarkeit hatte sogar die indische Regierung nach dem Unglück gefordert, die Schadensersatzverfahren vor amerikanischen Gerichten abzuwickeln: „Nur in den USA können die Bhopal–Opfer Gerechtigkeit erfahren“, hieß es Anfang 1985 in einem Memorandum der indischen Regierung. Als hätten sich die Rollen umgekehrt, argumentierte der beschuldigte Konzern dagegen, Indien verfüge über ein vollausgebautes Rechtssystem, und gegenteilige Behauptungen entsprängen einer kolonialistischen Grundhaltung. Der zuständige New Yorker Richter John Keenan schloß sich am 12. Mai diesen Jahres dieser Auffassung an und erklärte, Indien sei schließlich eine Großmacht, und dies sei eine gute Gelegenheit , um zu beweisen, daß seine Institutionen dem Verfahren sehr wohl gewachsen seien. Den amerikanischen Staranwälten, die nach dem unglück wie die Geier in Bhopal eingefallen waren und sich um die lukrative Vertretung der Opfer in Sachen Schadensersatz geschlagen hatten, wurde das Geschäft vermasselt. Sie dürfen in Indien nicht praktizieren. Die indische Regierung hatte daraufhin beschlossen, das Verfahren zu splitten. Bei dem gestern in Bhopal geplatzten Prozeß sollte es nur um die Schuldfrage gehen, die Schadensersatzklagen sollten separat verhandelt werden. Doch wie sich gezeigt hat, wird auch diese Vorgehensweise den Hunderttausenden von Menschen, die bei dem Unglück bleibende Schäden erlitten haben, sowie den Hinterbliebenen der 5.000 Toten nicht schneller Gerechtigkeit zuteil werden lassen.
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