Prozess: Februarnacht im Gleisbett
Die Aktivistin Hanna Poddig steht in Husum vor Gericht, weil sie ein Gleis blockiert hat. Nach dem Vorfall informierte die Polizei Ministerien und Verfassungsschutz in einem Rundschreiben über die Aktion.
Die Verhandlung vor dem Amtsgericht Husum begann mit Luftballons und endete mit bewaffneten Polizisten, die im Saal mit der bunt bemalten Holzdecke Aufstellung nahmen. Vorausgegangen war ein Prozesstag, in dem sich Richter, Staatsanwalt, Angeklagte und Verteidiger vor allem über die Grundsatzfrage stritten: Ist eine Gleisblockade eine Demonstration, die dem Versammlungsrecht unterliegt?
In einer Februarnacht im Jahr 2008 hatte sich Hanna Poddig, klein, schmal, lockiger Pferdeschwanz, nahe Wester-Ohrstedt im Kreis Nordfriesland an ein Bahngleis gekettet. Es ging ihr und den weiteren Mitglieder der Gruppe darum, einen Militärtransport zu stoppen, der vom örtlichen Bundeswehrdepot verschickt wurde - wohl Übungsmaterial, darunter auch Patriot-Raketen, für Soldaten, die sich auf einen Nato-Einsatz vorbereiteten. Der Zug stoppte vor einer Weiche auf dem Nebengleis, Landes- und Bundespolizei erschienen, trugen andere AktivistInnen weg und schnitten Poddig nach einigen Stunden los. Es gab Schäden am Gleis, der Bahn, dem Kreis und dem Technischen Hilfswerk entstanden Kosten, alles in allem einige Tausend Euro.
Die Tat fand die Polizei offenbar so spannend, dass sie anschließend per Rundmail über einen großen Verteiler verbreitet wurde: An die Verfassungsschutzzentralen, Ministerien, sogar an den Militärischen Abschirmdienst (MAD). Poddig und ihr Anwalt Martin Lemke fanden eine Kopie des Schreibens, Betreffzeile "Innere Sicherheit", in Poddigs Akte - wohl ein Versehen, denn die Mail trug den Vermerk: "nur für den Dienstgebrauch".
Die Rechtslage:
Paragraph 129 a Strafgesetzbuch (StGB) beschreibt die "terroristische Vereinigungen" als Gruppen, deren Ziele "Mord, Totschlag, Völkermord, Freiheitsberaubung" sind.
In Paragraph 129 a / 2 werden weitere Straftaten aufgezählt, die ebenfalls Ziel einer terroristischen Vereinigung sein können, darunter Paragraph 316 b, "Störung öffentlicher Betriebe".
Laut Paragraph 316 b macht sich strafbar, wer den Verkehr "verhindert oder stört, Anlagen beschädigt oder unbrauchbar macht".
Paragraph 316 b wurde 2002 gegen Aktivisten verhängt, die einen Castor-Transport stoppten.
Lemke las den Brief und die Adressaten vor und erklärte: "Wenn Sie von Geld sprechen, erlaube ich mir, auf die weit reichenden Folgen für meine Mandantin einzugehen." Denn es sei klar, dass der Vermerk in den Akten der Behörde bleibe: "Über ein Ende des Verfahrens wird vermutlich nichts weitergeleitet."
Richter Stefan Veckenstedt, der sich anfangs bemüht hatte, mit der Anklagten eine gemeinsame Ebene zu finden, geriet ins Stammeln: Er selbst habe die Mail nicht gekannt, ob es für den Rundbrief "eine Rechtsgrundlage" gebe, "kann ich nicht sagen".
Der Staatsanwalt warf Poddig Nötigung des Lokführers und "Störung des Betriebes" der Bahn vor. Poddigs Anwälte argumentierten, es sei eine Demonstration gewesen, unterliege daher der Versammlungsfreiheit. Auch formal habe es einen Fehler gegeben: Die Bundespolizei übernahm, ohne dass zuvor die Landespolizei die Demo offiziell beendet hätte. Und: Poddig, die auf dem Hauptgleis angekettet war, konnte den Lokführer auf dem Nebengleis nicht nötigen. Die 24-jährige Buchautorin und zurzeit "Vollzeitaktivistin" erklärte, sie werde sich keinesfalls für die Tat "politisch entschuldigen". Veckenstedt schüttelte den Kopf: "Wenn eine Tat politisch ist, soll sie nicht bestraft werden? Was mache ich, wenn hier ein Rechter sitzt?" Dafür gab es Protest von der Zuschauerbank, auf der rund 20 UnterstützerInnen Poddigs saßen.
40 Minuten debattierten Richter, Staatsanwalt und Verteidigung hinter verschlossenen Türen, dann schlug Veckenstedt vor, den Vorwurf der Nötigung fallenzulassen - bliebe die "Störung öffentlicher Betriebe", für die er eine Geldstrafe von 480 Euro nannte. Poddig und ihre Anwälte lehnten ab: Die "Betriebsstörung" ist ein Straftatbestand, der juristisch mit der "Gründung terroristischen Vereinigungen" verknüpft ist (siehe Kasten). Lemke verwies darauf, dass der Zugverkehr kaum gestört worden sei - ein Zeuge erklärte später, in dieser Sonntagnacht im Februar seien wohl gar keine Züge unterwegs gewesen.
Nach der Mittagspause holte Veckenstedt, offenbar entnervt und unsicher, zwei Polizisten in den Saal. Lemke verlangte, dass die beiden ihre Waffen ablegten, Veckenstedt lehnte das ab. Die Anwälte stellten einen Befangenheitsantrag gegen den Richter, der Prozess wurde vertagt - wann er fortgesetzt wird und unter wessen Vorsitz, steht noch nicht fest.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Wahlprogramm der Union
Scharfe Asylpolitik und Steuersenkungen
Krise bei Volkswagen
1.000 Befristete müssen gehen
Scholz stellt Vertrauensfrage
Traut mir nicht
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Neue israelische Angriffe auf Damaskus