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ProzessDas letzte Wort

In Bremen muss sich ein psychisch kranker 21-Jähriger verantworten, der seine Lehrerin stalkte und später erstach. Der Staatsanwalt wirft dem Schuldirektor "stümperhaftes" Verhalten vor, seine Kollegen sind voll des Lobs.

Trauer um die Lehrerin: Ihrem Direktor wirft die Staatsanwaltschaft unprofessionelles und stümperhaftes Verhalten vor. Bild: dpa

Es ist keine Frage, ob Gero S., der vergangenes Jahr, kurz vor Weihnachten, seine ehemalige Lehrerin Heike Block erstach, ein Fall für die Psychiatrie ist. Auf Dauer. Und wenn es doch noch eines Beweises bedurft hätte, dann hat der Angeklagte ihn am Ende selbst geliefert. In einem langen Schlusswort, das ihm keiner nehmen konnte, durfte. Und in dem er sein Opfer, Aug in Aug mit dessen Eltern, auf jede erdenkliche Weise verhöhnt. Sich selbst lautstark zum Verfechter "nobler und höherer" Ideale stilisiert. Und nur eines bereut: Dass er sie, Sinnbild einer moralisch in jeder Hinsicht verkommenen Welt, die er "Blockokratismus" nennt, nicht schon früher getötet hat. Nach der Tat, sagt er, fühlte er sich "erheblich erleichtert".

15 Jahre Haft wegen Mordes forderte die Staatsanwaltschaft in ihrem gestrigen Plädoyer, dazu die Unterbringung in der Psychiatrie. Die Verteidigung plädiert auf zehn Jahre Haft - wegen Totschlags, aber auch auf eine Unterbringung in der Psychiatrie. Den Eltern, der Nebenklage, sind die juristischen Details des Strafmaßes im Grunde einerlei. Ihnen geht es vor allem darum, dass Gero S. "niemals mehr zu einer Gefahr werden kann". Zugleich gehen alle Seiten von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit bei dem 21-Jährigen aus. Ihm wurde eine schizoide Persönlichkeitsstörung diagnostiziert. Einer von der Sorte, so ein Gutachter, die, wenn überhaupt, nur sehr schwer behandelbar sei. Das Urteil des Landgerichts Bremen fällt am Montag.

Die Tat hat eine lange Vorgeschichte. Ein Jahr lang hat er sie minutiös vorbereitet, alle Details geplant, wieder verworfen, die Strategie geändert. Am Ende wollte er sie 48 Stunden verhören, ihr 6.500 vorbereitete Fragen stellen und sie erst dann töten. Doch dazu kam es nicht mehr. Ihr Leben endete nach 20 Messerstichen vor ihrer Wohnung. Ein herbeigeeilter Passant hatte sie nicht retten können.

Chronologie

Die Tötung der Lehrerin Heike Block durch ihren einstigen Schüler Gero S. hat eine lange Vorgeschichte:

Herbst 2007: Block fühlt sich von Gero S. erheblich belästigt.

Januar 2008: Die Lehrerin notiert in ihrem Tagebuch: "Entschluss von mir, dass ich Gero nicht mehr in meinem Kurs haben möchte. Entscheidung von Herrn Schmidt (Schulleiter), dass [...] es besser für alle ist, wenn ich Gero einzeln betreue."

November 2008: Gero S. fasst den Entschluss, seine Lehrerin zu töten.

März 2009: Gero S. wird nicht zum Abitur zugelassen und muss die Schule verlassen. Ein Antrag auf Einweisung in eine psychiatrische Klinik wird vom Gericht abgelehnt. Wenig später wird Gero S. bei der Bundeswehr eingezogen.

18. Dezember 2009: Heike Block wird vor ihrer Wohnung mit 20 Messerstichen getötet.

Schon früher war S., zwei Schülerinnen gegenüber, mit - wie der Staatsanwalt es nennt - "stalkinghaftem Bemühen" aufgefallen. Auch die 35-jährige Bio- und Chemielehrerin fühlt sich schon seit 2007 "erheblich belästigt", ein elektronisches Tagebuch listet all das detailliert auf. Und sie sprach darüber, mit einer Kollegin am Gymnasium in Osterholz-Scharmbeck, mit der dortigen Schulleitung, mit einem Anwalt. Sie versuchte, sich dem Kontakt zu entziehen. Sie hat, sagt die Anwältin der Nebenklage, alles gemacht, was Stalking-Opfern in Ratgebern stets empfohlen werde.

Doch ihr Schulleiter Gerd Schmidt verpflichtete sie, kurz vor der Verbeamtung auf Lebenszeit stehend, Gero S. Einzelunterricht zu geben. Das sei, so die Argumentation, besser für alle Beteiligten. Auf die wiederholten Warnungen habe Schmidt "nicht viel gegeben", sagt der Staatsanwalt - dabei hätte das "Treiben des Angeklagten sofort unterbunden werden müssen". Schmidt nennt er "unprofessionell", sein Verhalten "stümperhaft". Selten habe es im Vorfeld so viele Warnsignale für ein Verbrechen gegeben wie hier, hatte er an einem der früheren Prozesstage gesagt. Strafrechtlich sei Direktor Schmidt nichts vorzuwerfen, heißt es. Dennoch wurde ein Disziplinarverfahren gegen ihn angestrengt.

Der Schulvorstand des Gymnasiums stellte sich in einem offenen Brief "voll und ganz hinter seinen Schulleiter", lobte ihn "für die besonnene und weitsichtige Handhabe der Problemlage" in den Jahren 2008 und 2009 sowie direkt nach Tod der Lehrerin. "Schulleiter Gerd Schmidt genießt unser vollstes Vertrauen."

Im März 2009 hatte der beim Amtsgericht einen Antrag beim sozial-psychiatrischen Dienst gestellt, den Schüler in eine Klinik einzuweisen. Doch dieser wurde abgelehnt. Ein Jahr nach dem Amoklauf von Winnenden, kurz nachdem Gero S. nicht zum Abitur zugelassen wurde, sah man an der Schule die Gefahr, er könne Amok laufen. Zwei Jahre zuvor hatte er noch als suizidgefährdet gegolten. Wenig später war er bei der Bundeswehr.

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4 Kommentare

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  • RS
    Rolf Schröder

    Ein Postscriptum: Nach der Urteilsverkündung hatte ich hatte am vergangenen Montagabend (23.8.) die Web-Seite des Gymnasiums Osterholz-Scharmbeck angeklickt (http://www.gymnasium-ohz.de/) und war überrascht, dass sich dort keinerlei Hinweis auf dieses Verbrechen fand. Anhand des Archivs von Google konnte ich sehen, dass ein Forum mit vielen Beileidskundgebungen einige Zeit zuvor ersatzlos gelöscht worden war. Am Dienstagnachmittag (24.8.) eröffnete ein Lehrer dieser Schule eine Diskussion im Forum dieser Webseite mit dem wie folgt überschriebenen Text „Zweiter Mord am Gymnasium: Rufmord“. Wie der Titel schon andeutet, handelt es sich um eine polemische Verteidigungsschrift zugunsten des in die Kritik geratenen Schulleiters. Diesem sei aufgrund des eröffneten Disziplinarverfahrens untersagt zu dem Thema Stellung zu nehmen. Innerhalb eines Tages gab es über zwanzig Beiträge in diesem Thread des Forums, die sich in der Regel sachlich und konstruktiv mit diesem schwierigen Thema auseinandersetzten. Ich selbst habe am Mittwoch (am späten Nachmittag des 25.8.) einen Beitrag eingestellt, in dem ich die Unfähigkeit der Schule dieses Thema zu verarbeiten beklagt habe. Wie um dieses zu unterstreichen, wurde kurze Zeit später dieser Teil des Forums mit sämtlichen Beiträgen gelöscht. Der Status quo ante war wieder hergestellt worden. Wie zuvor gibt es jetzt eine Fülle von Information über die Schule (etwa über die anstehende Jubiläumsfeier, einem „Anlass zum Feiern“), nichts über das, was einen tiefen Schatten über diese Bildungseinrichtung geworfen hat, nicht einmal ein kleiner virtueller Gedenkstein für die ermordete Lehrerin.

  • M
    Miriam

    @stimmviech:

    es ist diese pauschalisierende haltung dem schulsystem gegenüber, die hier absolut fehl am platze ist. wenn schüler selbstmordgefährdet sind, dann hat das psychologisch gesehen IMMER mehrere gründe. psychologen sprechen hier von einer multibedingten kausalität. und was wollen Sie hier überhaupt ausdrücken? dass gero S. ein recht dazu hatte, ein leben zu nehmen, weil er mit dem seinen nicht mehr zurecht kam? gero s´probleme sind weniger mit dem schulsystem, als mehr mit seiner biografie verknüpft. oder wollen sie hier nur auf ihre eigene lage aufmerksam machen, weil sie sich möglicherweise als jemand empfinden, "den niemand in der schule gesehen hat". es ist diese identifikation mit dem brutalen täter, die mich hier extrem stört, bzw. ihr versuch gero s´tat in irgendein erklärendes licht zu setzen, was ihnen aber aufgrund ihrer argumentation grundsätzlich misslingen muss. hier ist eine frau, die versucht hat zu helfen und versucht hat, sich zu schützen, auf die brutalste art gestorben und sie wagen es, hier das schulsystem anzuprangern? hier geht es um einen kranken jungen mann, der sich das recht heraus nahm, einem anderen das leben zu nehmen, weil jene seine liebe nicht erwiderte. hier kommt doch eine ganz andere problematik zu tage. und wissen sie, wie respektlos ihre ausführungen der familie block gegenüber sind? sie sind und waren nie involviert in all die geschehnisse, die eine rolle spielen. ich denke oft an diese arme frau und daran, dass es mir leid tut, dass nichts, was sie tat, ihr helfen konnte und dass wir anhand der herausgekommenen fakten sehen, dass das schulsystem nicht in der lage war, SIE zu schützen, weil viele einfach weggeschaut haben. der schulleiter, andere lehrer. sie hatte nicht ohne grund regelmäßig aufzeichnungen gemacht. anstatt den täter verstehen zu wollen, versuchen sie sich lieber mal in das opfer und seine angehörigen hinein zuversetzen und versuchen sie dabei, ihre eigenen probleme nicht auf diesen fall zu projizieren, wenn sie dazu in der lage sind, das zu erkennen.

    ich hoffe, dass die angehörigen von heike block über ihren schmerz hinweg kommen irgendwann, auch wenn es für sie immer etwas geben wird, was ihnen fehlt in ihrem leben. und ich möchte mir einen staat, der endlich anfängt, die menschen zu schützen und ernst zu nehmen, die in ihm leben, damit solche dinge nicht wieder passieren können. heike block hat all ihre möglichkeiten ausgeschöpt, aber die wenigsten wollten ihr glauben schenken. diese tragödie hätte verhindert werden können. solche tickenden zeitbomben wie gero s, die sitzen an vielen schulen.

  • PT
    Pierre Th

    Ich empfand für Heike sehr viel, mehr als nur ein Freund aus Ihrer Jugend. Wir hatten eine grosse Menge an Spaß, wir mochten uns eigentlich immer und doch konnten wir nicht lange zusammen bleiben.

    Evt. hätte sie Stade nie verlassen dürfen bzw. Hamburg!

    Habe stets versucht sie wiederzufinden und traute mich nicht zur Fam. Block zu gehen.

    Damit möchte ich sagen, dass ich sie kenne und ich heulend vorm Fernseher saß als ich diese böse Nachricht übermittelt kam. Zuerst dachte ich, dass es jede sein könnte, doch dann "Lehrerin" schreckte mich auf und dann sah ich Ihre Mutter und brach in Tränen.

    Soweit zu meiner Trauer.

     

    Ich kann es nicht verstehen, wie auch die Fam. Block, dass man irgendwie diesen Fall als keine Mahnung sehen will. Auch die Nachbereitung nach dem Tot Heike`s geschah offensichtlich nichts. Stalker, egal in welcher Altersgruppe sind übels gefährlich und Heike war alles andere als dumm, eher das was Deutschland fehlte. Lehrer mit höchstem IQ und Lebenserfahrung!

     

    Bitter, einfach nur bitter!

     

    Heike, ich habe Dich immer geliebt! Habe gehofft Dich wiederzusehen, 3x hat es ja geklappt, und nun muss ich hoffen Dich irgendwo im Himmel antreffen zu dürfen.

    Mein tiefstes Beileid an die Fam. Block aus HH

     

    In liebe Dein Pierre

  • S
    stimmviech

    Natürlich bedauere ich den gewaltsamen Tod der Frau. Es wird mir aber zuwenig bis gar nicht thematisiert, daß es üblicherweise das Schulsystem ist, was Menschen terrorisiert und kaputtmacht. Und dieser Schüler in sicher strafbarer Weise den Spieß umgedreht hat und eine Vertreterin einer Berufsgruppe getötet hat, die normalerweise ziemlich nonchalant Außenseiter unter den Schülern in den Selbstmord treibt. Letzteres ist viel mehr die Regel als dieser Ausnahmefall, diese traurige Ausgrenzfunktion der Schulen wird aber ungern thematisiert.