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Prozeß zur Unzeit

Der HMI-Reaktor war über den Klageweg nicht zu kippen  ■ K O M M E N T A R

Als das Hauptverfahren gegen den Umbau des HMI-Reaktors nach fünfjährigem zermürbendem juristischem Hickhack endlich stieg, war der Prozeß für die Kläger praktisch schon verloren. Das Urteil ist für keine Seite überraschend, nicht nur, weil in Wannsee längst Fakten geschaffen wurden. Es klingt paradox: aber die rot-grüne Machtübernahme hat die Chancen, das Atomprojekt auf diesem, dem Klageweg, noch zu kippen, gegen Null gedrückt.

Nicht die Sachargumente bestimmten am Ende das Verfahren, sondern das politisch-juristische Umfeld. Die Justiz ist unabhängig, heißt es. Im luftleeren Raum jedoch agiert sie nicht. Kaum denkbar war von vornherein, daß das Gericht eine Genehmigung des früheren CDU/FDP-Senats kassiert, die selbst von Michaele Schreyers atomkritischer Behörde, wenn auch zähneknirschend, als „nicht rechtswidrig“ bewertet wird.

Die prekäre Situation, in die der Prozeß just zu diesem Zeitpunkt die Umweltsenatorin zwang, brachte gestern ein Mitarbeiter der Behörde auf den Begriff. Wie auch immer das Verfahren ausgehen würde, meinte er vor der Urteilsverkündung: „Wir können nicht mal richtig unterliegen“ - gewinnen konnten sie erst recht nicht. Tatsächlich blieb der Schreyer-Behörde wohl keine Wahl. Juristisch ist es für jede Atombehörde nur in ganz spezifischen Ausnahmesituationen möglich, einmal erteilte atomrechtliche Genehmigungen zu widerrufen und damit auch vor Gericht - in diesem Fall gegen das HMI - zu bestehen. Außerdem: Politisch hätte Michaele Schreyer mit einem Genehmigungswiderruf in der gegenwärtigen Situation den rot-grünen Druckkessel wohl zum Bersten gebracht.

Die Atomkritiker in dieser Stadt werden nun sehr genau beobachten, wie die AL-geführte Behörde weiter agiert. Als Hebel - mindestens zur Verzögerung oder positiv: zur Risikominderung für die Bevölkerung - könnte sich die noch ausstehende Betriebsgenehmigung für den Reaktor entpuppen. Sie muß von restriktiven Auflagen abhängig gemacht werden: zum „Containment“, zur Entsorgung und zu den radioaktiven Strahlengrenzwerten. Je schärfer diese Auflagen, um so schneller wird Gras wachsen über Frau Schreyers merkwürdige Rolle in diesem unseligen Prozeß zur Unzeit.

Gerd Rosenkranz

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