Prozess um Unfallfahrer: Amtlich erlaubte Todesfahrt
Trotz mehrerer Unfälle und gerichtlich bekannter Epilepsie bekam Cesar S. seine Fahrerlaubnis zurück. Nun wird nur seine individuelle Schuld gesucht.
Hätte sich Caesar S. in Kenntnis seiner Epilepsie niemals hinters Steuer setzen dürfen? So lautet die Kernfrage im Strafverfahren gegen den „Todesfahrer von Eppendorf“, das am heutigen Montag vor dem Hamburger Landgerichts fortgesetzt wird. Der Beschuldigte war am 12. März 2011 mit einem Fiat an einer Eppendorfer Kreuzung in eine Menschentraube gerast und hatte den Schauspieler Dietmar Mues, dessen Frau Sibylle, den Sozialwissenschaftler Günter Amendt sowie die Künstlerin Angela Kurrer getötet. Angeklagt ist Caesar S. wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu fünf Jahre Freiheitsentzug.
Bei der gerichtlichen Beweiserhebung dreht sich derzeit alles um die Frage, ob der heute 39-Jährige infolge eines epileptischen Anfalls die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und ob seine Schuld darin begründet liegt, dass er trotz seiner Krankheit ein Fahrzeug lenkte. Denn zwischen 2004 und 2008 hatte der Epileptiker bereits drei schwere Crashs verursacht. „Wir werfen ihm vor, dass er sich im Wissen um seine Krankheit hinters Steuer gesetzt und dadurch einen sehr schweren Unfall verursacht hat“, fasst Oberstaatsanwalts Wilhelm Möllers die Vorwürfe zusammen.
Doch hinter der Suche nach der individuellen Schuld des Angeklagten verbirgt sich eine Frage, die in dem Verfahren nicht zur Debatte steht: Wieso war der Angeklagte überhaupt noch im Besitz seines Führerscheins?
Vor der Großen Strafkammer 28 des Hamburger Landgerichts soll insgesamt neun Tage lang verhandelt werden. Das Urteil wird nach derzeitiger Planung für den 10. Mai erwartet.
Rund 40 Zeugen ruft das Gericht um die Vorsitzende Birgit Woitas auf: Passanten, Ersthelfer, Ärzte, Polizisten, Feuerwehrmänner. Sie werden zum Unfallhergang befragt und vor allem, wie sie Caesar S. sofort nach dem Crash wahrgenommen haben.
Die zentralen Fragen lauten: Wie reagierte der Beschuldigte auf Ansprache? Und: Hatte er sich eingenässt? - was ein ein deutliches Indiz für einen epileptischen Anfall wäre.
Nach seinem vorletzten Unfall am 28. November 2008, bei dem er ohne Einwirkung Dritter von der Fahrbahn abkam, eröffnete Cesar S. der herbeigeeilten Polizei, er hätte einen epileptischen Anfall gehabt. Die Beamten nahmen ihm sofort den Führerschein weg. Doch Cesar S. revidierte sein Schuldeingeständnis.
Sein Anwalt legte vor dem Kieler Landgericht erfolgreich Beschwerde gegen den Führerscheinentzug ein. In einem Gerichtsbeschluss vom 21. Januar 2009, der der taz vorliegt, heißt es, es gäbe „keine dringend zu nennenden Gründe“, dem Beschuldigten die Fahrerlaubnis zu entziehen.
Dabei räumte die Kammer sogar freimütig ein, dass der Grund für den Unfall „in einem epilepsie- oder medikamentenbedingten Ausfall des Beschuldigten zu suchen“ sei. Auch war dem Gericht bekannt, dass Caesar S. bereits 2004 einen Unfall durch Epilepsie verursacht hatte. 2005 war der nächste Crash gefolgt – ausgelöst durch einen Krampfanfall.
Trotz dieser Vorgeschichte sah die Strafkammer „eine Vorhersehbarkeit“ des dritten Unfalls für „nicht ausreichend gesichert“ an. „Das Beschwerdeverfahren ist für derart umfangreiche Ermittlungen nicht vorgesehen“, befanden die Richter und nahmen so die Staatsanwaltschaft und das Gericht im sogenannten Hauptsacheverfahren in die Pflicht, die Unfallschuld genau aufzuklären.
Doch statt die Hintergründe zu durchleuchten, stellte die Staatsanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen eines „fehlendem Tatnachweises“ schließlich ein. Die Folge: In voller Kenntnis seiner Krankheit bekam Cäsar S. seinen Führerschein zurück und damit amtlich attestiert, er dürfe trotz seiner Epilepsie ein Fahrzeug führen.
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