Prozess um Tod von Oury Jalloh: Polizei lässt von Mauertaktik ab
Warum musste der Asylsuchende Oury Jalloh in der Zelle eines Dessauer Polizeirevier sterben? Im neuen Prozess um Jallohs Tod sagt der angeklagte Beamte erstmals aus.
![](https://taz.de/picture/281129/14/OuryJallohAngeklagter.20110201-18.jpg)
MAGDEBURG taz | Im neu aufgerollten Prozess um den Feuertod des afrikanischen Asylbewerbers Oury Jalloh zeigt sich die Polizei von Sachsen-Anhalt bislang kooperativer als während des ersten Verfahrens. Nachdem Mitte Januar bereits der ehemals mitangeklagte und rechtskräftig freigesprochene Polizeibeamte ausführlich vor dem Landgericht Magdeburg ausgesagt hatte, brach am Dienstag auch der wegen Körperverletzung mit Todesfolge angeklagte Dienstgruppenleiter Andreas S. sein Schweigen.
Zuvor hatte er in einer schriftlichen Erklärung unter anderem eingeräumt, das Alarmsignal des Zellentrakt-Rauchmelders ausgeschaltet zu haben. Die Anlage hatte in der Vergangenheit mehrere Fehlalarme ausgelöst. Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 unter bislang ungeklärten Umständen in einer feuersicheren Zelle des Polizeireviers Dessau an einem Hitzeschock gestorben.
Bei der Verlesung seiner Erklärung in der Hauptverhandlung ließ der angeklagte Polizist den Schlusssatz weg, er fühle sich am Tode Jallohs unschuldig. Seinen Freispruch im ersten Prozess hatte der Bundesgerichtshof im Dezember 2009 aufgehoben.
In der entscheidenden Frage, ob Jallohs Leben durch rechtzeitiges Eingreifen hätte gerettet werden können, offenbarte S. ein neues Detail. Erst nach seiner Rückkehr aus der Teeküche des Reviers habe er "plätschernde Geräusche" aus der Wechselsprechanlage der Zelle wahrgenommen. Daraufhin - und nicht erst nach Aufforderung durch eine Kollegin - habe er den Entschluss gefasst, selbst in der Zelle nachzusehen. Zu keinem Zeitpunkt sei er von einem Feuer, sondern stets von einem möglichen Wasserschaden durch die darüber liegende Toilette ausgegangen.
Nach Aussagen von S. verhielt sich der volltrunkene Asylbewerber nicht nur bei seiner Festnahme, sondern auch im gefesselten Zustand in seiner Zelle mehr als drei Stunden lang sehr aggressiv. Seine Beschimpfungen seien über die Wechselsprechanlage zu hören gewesen, so dass noch kurz vor seinem Feuertod ein zusätzlicher Kontrollgang unternommen worden sei. Von diesen Auffälligkeiten findet sich allerdings keine Erwähnung in dem Buch über Freiheitsentzüge, die jedes Polizeirevier führen muss.
Anders als zum Prozessauftakt wirkte der Angeklagte souveräner und antwortete ohne Intervention seiner Anwälte. Durch einen Antrag der Nebenklage wurde bekannt, dass die zuständige Polizeidirektion Ost zwei offizielle Prozessbeobachter entsandt hat, darunter den Personalratsvorsitzenden. Das Landgericht Magdeburg hat Prozesstermine bis Anfang Dezember angesetzt. MICHAEL BARTSCH
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Trump und die Ukraine
Europa hat die Ukraine verraten
Social-Media-Star im Bundestagswahlkampf
Wie ein Phoenix aus der roten Asche
Gerhart Baum ist tot
Die FDP verliert ihr sozialliberales Gewissen
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Trump und Putin
Bei Anruf Frieden