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Prozess nach April-Unruhen in EstlandMutmaßliche Rädelsführer vor Gericht

Vier Russen sollen im April 2007 in Estlands Hauptstadt Tallinn Unruhen provoziert haben. Nun läuft ein Prozess gegen sie.

Drei der vier Angeklagten warten im Gerichtssaal auf den Prozess Bild: dpa

STOCKHOLM taz In der estnischen Hauptstadt Tallinn hat in dieser Woche der Prozess gegen vier angebliche Rädelsführer der Unruhen vom April vergangenen Jahres begonnen. Anlass für die Ausschreitungen war die Entfernung des Bronzesoldaten, einer russischen Statue, aus der Innenstadt Tallinns. Am Montag und Dienstag fand die Verlesung und Übersetzung der Anklageschrift statt. Klaus Dornemann, ein 65-jähriger Deutscher, der seit Jahren in Estland lebt und den Prozess im Gerichtssaal mit verfolgt, hält die Anklage für unsinnig. "Das war eine Provokation, in Szene gesetzt von Polizei und Behörden. Ich war mit meinem Sohn vor Ort, und wir sind auch verhaftet worden."

Für die Unruhen könne man nicht die vier Angeklagten, alle Angehörige der russischen Minderheit in Estland, verurteilen, meint Dornemann. Aber offenbar brauche die Regierung Sündenböcke. Auch viele Medien, die davon ausgehen, dass Moskau hinter den Unruhen stecken könnte, bezweifeln, dass die vier Angeklagten die Demonstrationen tausender Menschen organisiert haben sollen. Doch die Staatsanwaltschaft will das beweisen und behauptet, alle Proteste seien ein Jahr im voraus vorbereitet worden.

Dmitry Klenski, Dmitry Linter und Maksim Reva sind angeklagt, weil sie zu den "Nachtwächtern" gehörten. Das war eine Gruppe von Demonstranten, die den "Bronzesoldaten" bewachten, um dessen Entfernung zu verhindern. Die Statue war 1947 zum Gedenken an die Opfer der Roten Armee bei der Befreiung Estlands vom Faschismus errichtet worden.

Der vierte Angeklagte ist der 18-jährige Schüler Mark Siryk. Er ist Aktivist der antirassistischen Jugendgruppe "SiiN", die Mitglied von ENAR, dem Europäischen Netzwerk gegen Rassismus, ist. Ihm wird vorgeworfen, eine leitende Funktion in der estnischen Abteilung von Russlands nationalistischer Jugendgruppe "Nashi" zu haben.

Die Verteidigung bezeichnet alle Anklagen als grundlos. Sie spricht von einem politischen Prozess und einer Provokation der Unruhen durch Spitzel der estnischen Polizei, die im Auftrag von Ministerpräsident Andrus Ansip gehandelt hätten.

Der Premier war der einzige Gewinner der Unruhen, bei denen der Russe Dmitry Ganin getötet und Hunderte verletzt wurden und die zu einer tiefen Spaltung zwischen EstInnen und RussInnen im Land führte. Ansip machte der Umzug des Bronzesoldaten - für die meisten EstInnen ein Symbol sowjetischer Unterdrückung - zum populärsten Premier, den Estland je hatte. In Umfragen konnte seine liberale "Reformpartei" jede zweite Wählerstimme auf sich ziehen. Das nutzte Ansip aus und profilierte sich als Hardliner, der strengere Strafen und erweiterte Befugnisse für die Polizei fordert.

Die Höchststrafe für "Aufwiegelung" beträgt fünf Jahre Haft. Diese hatte Premier Ansip schon vor Prozessbeginn vom Gericht gefordert. Besonnene Stimmen in den Medien hoffen jedoch, dass das Gericht vermeiden wird, Märtyrer zu schaffen. Der Prozess wird am 28. Januar fortgesetzt.

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