Prozess gegen Todesschützen: Berliner Polizei im Visier

Im Prozess gegen den Todesschützen von Schönfließ beklagt der Staatsanwalt den "berühmten Korpsgeist der Berliner Polizei". Verteidiger wollen Freispruch.

Polizeiunterrsuchung am abgesperrten Tatort Bild: dpa

BERLIN taz | Im Prozess um den tödlichen Schuss auf den Neuköllner Kleinkriminellen Dennis J. hat die Staatsanwaltschaft Neuruppin am Montag drei Jahre und sechs Monate Haft für den angeklagten Polizisten gefordert. Der 36-jähriger Berliner Zivilfahnder Reinhard R. habe bei dem Festnahmeeinsatz an Silvester 2008 im brandenburgischen Schönfließ jegliches Maß verloren.

"Das Jagdfieber ist mit ihm durchgegangen", sagte Staatsanwalt Kai Klement. Für die beiden mitangeklagten Polizisten Heinz S. und Olaf B. forderte er 9 Monate auf Bewährung wegen versuchter Strafvereitelung. Die beiden hätten aus "Korpsgeist" bei den Ermittlungsbehörden wahrheitswidrige Angaben gemacht, um ihren Kollegen R. zu decken.

Der mit drei Haftbefehlen gesuchte Dennis J. hatte in Schönfließ in einem gestohlenen Jaguar gewartet, als die Berliner Zivilfahnder dort auftauchten. Das Geschehen, bei dem R. sein ganzes Magazin - acht Schuss - verballerte, spielte sich in dreißig Sekunden ab. Dennis J. starb durch einen Steckschuss in die Lunge, den R. aus maximal 1,50 Meter Entfernung durch die Fensterscheibe der Fahrertür des Autos abgegeben hatte.

In der Anklage war der Staatsanwalt noch davon ausgegangen, dass der Jaguar stand, als der tödliche Schuss fiel. Das korrigierte er am Montag: Der Schuss sei gefallen, als J. mit seinem Auto zu fliehen versuchte. Dass dadurch für die Polizisten eine gefährliche Situation entstanden sei, schloss Klement aber aus. Dennis J. hätte "einen Durchbruch mit Brachialgewalt" erzwingen können, er habe das Fahrzeug aber vor R. abgebremst. J. wollte das Auto nicht als Waffe gegen die Polizisten benutzen, steht für Klement fest. R. sei es mit der Schussabgabe einzig und allein darum gegangen, J. von der Flucht abzuhalten. Das sei unverhältnismäßig und durch nichts gerechtfertigt - schließlich sei J. kein Massenmörder, sondern ein Kleinkrimineller gewesen.

Die Verteidiger forderten Freispruch für ihre Mandanten. R.s Verteidiger Walter Venedey warf dem Staatsanwalt in seinem Plädoyer "Resteverwertung" der ursprünglichen Anklage vor. Schon im Ermittlungsverfahren sei klar gewesen, dass mit den Zeugen "kein Blumentopf zu gewinnen" sei. Der Prozess habe nichts Neues ergeben, nach wie vor sei unklar, in welcher Reihenfolge die Schüsse abgegeben worden seien und wo der Schütze gestanden habe. Die Beamten hätten nicht wissen können, dass Dennis J. sie nicht über den Haufen fahren wollte, und in Notwehr geschossen, sagte Venedey. Immerhin habe der Neuköllner schon einmal Pfefferspray gegen einen Polizisten eingesetzt, um seine Festnahme zu vereiteln: "Wo ist der Unterschied, ob man es mit Pfefferspray macht oder mit einem Auto?"

Die Mitangeklagten S. und B. hatten sich im Ermittlungsverfahren darauf berufen, vor lauter Silvesterknallerei nichts von den Schüssen mitbekommen zu haben. Es habe in der Straße aber keine Knallerei gegeben, sagte Klement. Polizeibeamte seien besonders zur Wahrheit verpflichtet, sagte er und sprach in diesem Zusammenhang vom "berühmten Korpsgeist" der Berliner Polizei.

Der Berliner Polizeijustiziar Oliver Tölle, der den Prozess beobachtet, stellte Klement daraufhin auf dem Gerichtsflur zur Rede. Wie dieser dazu komme, die Berliner Polizei pauschal als verschworenen Klüngel zu verurteilen, fragte Tölle erregt. Er könne sich kaum vorstellen, dass Polizeipräsident Glietsch das so stehen lasse. Klement erwiderte achselzuckend, er habe "ein breites Kreuz".

Die Anwälte, die die Familie des Getöteten als Nebenkläger vertreten, blieben in ihrem Plädoyer bei der Auffassung, dass der Jaguar stand, als der tödliche Schuss fiel. Durch ihre Vernebelungstaktik sei es den Angeklagten gelungen, die Aufklärung des Geschehens zu verhindern, sagte Anwalt Jan Stübing. Der Nebenklagevertreter Friedhelm Enners gratulierte dem Staatsanwalt zu der Entscheidung, Anklage wegen Totschlags zu erheben. "Sie haben das Sperrfeuer der Berliner Polizei erfolgreich abgewehrt."

Das Urteil wird am kommenden Samstag verkündet.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.