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Prozess gegen Mutter neun toter BabysDer Vater bleibt unbehelligt

Im Berufungsverfahren gegen die Mutter der neun toten Babys aus Brandenburg wird das Urteil erwartet. Obwohl sie ihren Mann belastete, wurde gegen ihn keine Anklage erhoben.

Stellen die Richter bei Sabine H. eine verminderte Schulfähigkeit fest, könnte das Strafmaß gesenkt werden. Bild: dpa

FRANKFURT(ODER) taz Sabine H. freut sich auf ihre Kinder. Sie schickt ein Lächeln durch den Saal. Tränen rinnen über ihre Wangen. Sie will den Kindern in die Augen schauen, buhlt um einen Blick, ein Zwinkern, eine Sekunde Nähe.

Doch die junge Frau und ihre beiden Brüder starren geradeaus. Nacheinander zwängen sie sich in die Zeugenbank. Sorgsam meiden sie den Blick hinüber zu ihrer Mutter. Alle drei tragen dunkle Oberteile zu blauen Jeans, als wollten sie schon durch ihre Kleider sagen: Wir gehören zusammen. Wir sind eine Familie. Auch ohne die zierliche Frau mit dem adrett frisierten Haar, die dort drüben auf der Anklagebank sitzt. Das Gericht nennt die Frau eine "gute Mutter", es nimmt zu Protokoll, dass Sabine H. ihre älteren Kinder geliebt und umsorgt hat. Es ist dieselbe Frau, die neun ihrer Kinder als Säuglinge sterben ließ.

AKTENZEICHEN 23 Kls 1/07

Der Fall: Zwischen 1988 und 1998 bringt Sabine H. aus Frankfurt (Oder) neun Kinder zur Welt. Sie lässt die Babys sterben. 2005 werden die Leichen entdeckt. Vater der Säuglinge ist ihr Ehemann Oliver, mit dem Sabine H. auch drei erwachsene Kinder hat. Außerdem ist sie Mutter einer 2003 geborenen Tochter. Das Verfahren: Im Juni 2006 wird Sabine H. vom Landgericht Frankfurt (Oder) wegen "Totschlags durch Unterlassen" in acht Fällen verurteilt. Ein Fall ist verjährt. 2007 bestätigt der Bundesgerichtshof den Schuldspruch wegen Totschlags. Es sei aber nicht hinreichend geprüft worden, ob Sabine H. voll schuldfähig ist. Am 14. Februar 2008 beginnt in Frankfurt (Oder) der Berufungsprozess. Am heutigen Montag könnte das Urteil fallen.Das Strafmaß beträgt zurzeit

15 Jahre. Sehen die Richter Sabine H. als vermindert schuldfähig an, könnte es gesenkt werden.

Das Landgericht in Frankfurt (Oder) verhandelt zum zweiten Mal gegen die 42-Jährige Frau. Im Juni 2006 hatte die Strafkammer sie zu 15 Jahren Haft verurteilt - wegen "Totschlags durch Unterlassen" in acht Fällen, ein neunter Fall ist verjährt. Im Berufungsverfahren geht es nun um die Frage, ob die Mutter voll schuldfähig war. Für heute wird das Urteil erwartet. Sabine H. hatte im ersten Prozess beharrlich geschwiegen. Jetzt aber äußert sie sich zu den Taten. Zum ersten Mal gibt sie Einblick in die Umstände des Falls, der einzigartig ist in der deutschen Rechtsgeschichte.

Sabine H. richtet sich auf, schaut der Richterin in die Augen, soll begreifbar machen, wie die Taten hineinpassen in ihr Selbstbild als liebevolle Mutter. "Ich verstehe mich doch selbst nicht", sagt Sabine H. Sie spricht leise, wendet sich ab vom Saal. Die Hände, die mehr verraten könnten, behält sie unter der Bank. Nur ihre Schultern zucken, drehen sich vor und zurück, als wollten sie sich herauswinden aus diesem Saal, diesem Gericht, diesem Leben. Oft sagt sie "man", wenn sie von sich spricht, nicht "ich" oder "wir". Als wäre ihr Leben etwas, was außerhalb von ihr stattgefunden hat.

Vielleicht hätte man mehr über ihre Gedanken erfahren, wenn in dem neuen Prozess eine Gutachterin die Mutter beurteilt hätte und nicht ein Gutachter. Wenn Sabine H. all die Details über Geburt und Schmerz und Eheprobleme mit einer Frau hätte besprechen können statt mit einem Mann im Pensionsalter.

Bislang aber werden allenfalls die Begleitumstände fassbar. Dass Sabine H. sich eingesperrt fühlte in einem Alltag als Hausfrau und Mutter. Dass sie zermürbt war von einer freudlosen Eheroutine. Mit ihrem Mann tauschte sie kaum mehr ein Wort aus, legte sich aber Nacht für Nacht zu ihm ins Bett. Ein- oder zweimal pro Woche hätten sie Sex gehabt, "ich denke, wie in jeder Ehe".

Sabine H. wächst in Brandenburg auf. Sie ist ein begabtes Kind. "Die Schule ist mir leichtgefallen", sagt sie der Richterin. Die Lehrer drängen sie, Abitur zu machen. Sie meldet sich für die Erweiterte Oberschule an, geht dann aber doch nicht hin. Zum ersten Mal zeichnet sich ein Muster ab, das sich durch ihr Leben zieht - dass der Weg, den sie eigentlich wählen will, so nahe liegt und sie ihn doch nicht geht.

Sie wird Zahnarzthelferin, obwohl sie lieber einen anderen Beruf ergriffen hätte. Sie heiratet einen Mann, der sie schon vor der Ehe betrügt und mit dem sie kaum einen Gedanken austauscht. Als junge Mutter bleibt sie ganztags zu Hause, obwohl sie gar keine Hausfrau sein wollte, obwohl sie sich gelangweilt und unterfordert fühlt und "die Kinder in der Kita gut aufgehoben gewesen wären". Immer hemmungsloser trinkt sie gegen die Einsamkeit an, in die sie sich gedrängt sieht. Oft kippte sie drei Flaschen Klaren am Tag.

"Ich habe getrunken, weil ich unfähig war, Probleme zu lösen", sagt sie der Richterin. Gefangen sei sie gewesen, in einer Ehe ohne Worte. "Heute würde ich die Sicherung vom Fernseher rausdrehen und sagen: Reden wir mal!" Damals aber habe sie sich in den Alkohol geflüchtet. "Es war leichter. Dann hats mich nicht mehr gestört, dass mein Mann nicht mit mir geredet hat."

Der Kreislauf des Sterbens begann 1988. Sabine H. will erst spät bemerkt haben, dass sie schwanger war. Ihrem Ehemann sagte sie nichts. Denn er, der nur zwei Kinder gewollt habe, hatte schon bei der Geburt des dritten Kindes getobt. Sie habe gehofft, er werde sie von selbst ansprechen, gab sie später an.

Eines Nachts wacht sie auf, geht zur Toilette und hört es plumpsen. Noch heute sieht sie dieses Bild, sagt sie, wie ein Blitz erscheine es vor ihren Augen, ein blauhäutiges Kind in einer Keramikschüssel. Sie nimmt das Baby aus der Toilette, wickelt es in ein Handtuch, bringt es ins Wohnzimmer und trinkt eine Flasche Wein. Die Leiche vergräbt sie in einem unbenutzten Aquarium.

Das nächste Kind kam 1992, als Sabine H. auf einem Lehrgang war. Sie gebar einen Sohn, ließ ihn unversorgt zwischen ihren Beinen liegen. Als ihre Kollegin ins Zimmer kam, deckte sie ihn zu. Zu Hause vergrub sie das tote Baby in einer Plastikbadewanne auf dem Balkon.

Immer wieder wurde Sabine H. in den Folgejahren schwanger. Einen Gynäkologen suchte sie nie auf. Sie fürchtete, er könne die heimlichen Geburten bemerken. Mit ihrem Mann sprach sie nie über die Schwangerschaften. Sie fürchtete, er könne sie verärgert verlassen und die Kinder mitnehmen. Bald verfestigte sich ein Schema: Sobald die Wehen einsetzen, betrank sie sich, presste den Säugling aus ihrem Körper und ließ ihn liegen. Ohne Decke, ohne Wärme, ohne Muttermilch. Wenn das Baby nicht mehr atmete, vergrub sie es in einem Eimer, einer Wanne oder einem Weidewäschekorb. Die Gefäße stellte sie auf den Balkon. Manchmal pflanzte sie Petersilie über das Grab.

Als ihr Mann sich schließlich von ihr trennt, muss sie aus der Wohnung ausziehen. Sie stellt die Gefäße auf dem Grundstück ihrer Mutter ab. Dort entdeckten Verwandte dann zufällig die Leichen der Babys. Warum hat Sabine H. sie nicht versteckt? Warum behielt sie die toten Babys immer in ihrer Nähe? Warum beteuert sie im Gericht, sie habe sich auf "jedes der Kinder gefreut" - und ließ sie doch sterben?

Dies alles lässt sich nur mutmaßen. Nähert sich das Gespräch den Geburten, fehlen der Angeklagten, deren Sätze eben noch gewandt dahinglitten, plötzlich die Worte. Ihre Sätze brechen ab, zerreißen zu Fetzen, lassen kaum mehr einen Sinn erkennen. "Wenn ich da mehr …" "Ich kenn nicht …" "Was meinen Mann betrifft, du wirst es doch …" Als ob sich etwas in ihr sträubt, in das Vergangene einzutauchen. Sie könne sich nicht erinnern, beteuert sie immer wieder.

Oliver H., 45, einst bei der Stasi beschäftigt, heute arbeitssuchend, ist der Vater aller toten Kinder. Anders als seine Exfrau saß er bislang nicht auf der Anklagebank. Er habe von alledem nichts bemerkt, versicherte er der Polizei. Eine Aussage, die Zweifel aufwirft: Wie realistisch ist es, dass ein Mann nicht merkt, dass die Frau, mit der er regelmäßig schläft, neunmal hintereinander immer dicker wird? Wie wahrscheinlich ist es, dass er nie einen Blutfleck sah, nie ein Stöhnen hörte, wenn seine Frau ein Kind gebar? Warum wurden Kolleginnen auf die Schwangerschaften aufmerksam - aber er will nichts geahnt haben?

Erst jetzt, im zweiten Prozess, rückt der Vater stärker ins Blickfeld. Die Staatsanwälte ermitteln. Denn nun hat Sabine H. ihren Mann doch noch belastet: Bei einem Streit 1999 oder 2000 habe Oliver H. gesagt, sie solle bloß nicht glauben, er habe von den Schwangerschaften nichts gewusst. So sagt sie es der Staatsanwältin. Später gab sie zu Protokoll, schon Anfang der Neunziger habe er in einem Gespräch gemutmaßt, sie hätte heimlich ein Kind abgetrieben - auch das ein Hinweis darauf, dass er die Veränderungen im Körper seiner Frau bemerkt haben könnte.

Stimmen diese Aussagen, dann würde umso rätselhafter, was tatsächlich in der Wohnung der Wöchnerin geschah. Bisher hatten die Richter angenommen, Sabine H. sei trotz der Schnäpse und Weine voll schuldfähig gewesen. Sonst hätte sie nicht so sorgsam alle Spuren verwischen können, dass nicht einmal der eigene Mann die Geburten bemerkte. Was aber, wenn das gar nicht stimmt? Wenn der Kindsvater sehr wohl etwas sah, vielleicht sogar mit anpackte, um die Säuglingsleichen zu verstecken? Dies wird sich bis zum Urteil kaum klären lassen. Den Antrag des Verteidigers, das Verfahren so lange auszusetzen, bis die Rolle der Vaters von insgesamt 12 Kindern der Sabine H. abschließend beurteilt ist, lehnte das Gericht am vergangenen Montag ab.

Die neuen Hinweise aber werfen auch ein neues Licht auf die Beweggründe der Mutter. Die Staatsanwältin bohrt nach, pocht auf die Logik. Wenn ihr Mann ohnehin etwas wusste - welchen Sinn hatte es da, die Geburten vor ihm zu verheimlichen? Wenn sie die Kinder gewollt hatte - warum versuchte sie nie, mit dem Mann zu sprechen, den tödlichen Ablauf zu durchbrechen?

Die Frau zuckt mit den Schultern, starrt durch den Saal, am Kopf der Staatsanwältin vorbei auf die Fensterfront. "Ich würde das gern meinen großen Kindern erklären können", sagt sie, senkt die Lider und seufzt.

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4 Kommentare

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  • S
    sk1ny

    @ peinlich:

    sorry, aber dein kommentar passt wirklich gut zu deinem user-namen. ich bin sehr froh darüber, dass wir ein Rechtssystem haben das Beweggründe nicht außer acht lässt. grade bei schweren verbrechen ist es unerlässlich sich zu fragen was einen Menschen zu einer gewissen Tat getrieben hat. ohne solche informationen ist es unmöglich ein gerechtes Urteil zu fällen oder andere Menschen in ähnlicher Lage vor gleichen fehlern zu bewahren.

    eine Frau, die erfolgreich 3 kinder großgezogen hat, wird nicht plötzlich zum seelenlosen kinder-tötendem Monster, diese Frau hat ernste probleme und ihr sollte geholfen werden oder wenigstens sollte man ihr zuhören.

    und vielleicht, nur ganz vielleicht, sollte man sich seine meinung nicht nur durch die boulevard-medien bilden.

     

    @ polito:

    bin mir jetzt nicht ganz sicher was deine "emanzipations"-tirade mit der Frau aus dem Artikel zutun hat? sie hat doch 3 kinder großgezogen, und scheinbar war eher der mann gegen weitere kinder..was genau sie dazu getrieben hat kann ich natürlich mangels informationen auch nicht sagen...aber die emanzipations-sache klingt doch irgendwie n bisschen arg allgemein.

    und mal was ganz abwegiges: vielleicht ist es durchaus eine gute sache wenn nicht alle leute kinder bekommen. gründe dafür gibts ne menge, aber das überlasse ich jetzt mal euch.

    greetz

    //sk1ny

  • A
    adecentone

    Typisch TAZ, typisch Feminismus. Unterschwellig ist natürlich der Mann an allem Schuld.

    Könnt ihr euch eigentlich noch morgens im Spiegel anschauen?

    Was soll man schon erwarten, wenn der Geist ideologisch blockiert ist. Dieser Artikel ist eine Beleidigung gegen jede Frau, da dieser Artikel ganz offensichtlich impliziert, völlig abhängig vom Lebenspartner/Ehemann zu sein.

    Kann mir die Emanzen richtig vorstellen, wie sie mit einer Tasse Tee zusammen sitzen, und diese Ungeheuerlichkeiten der Täterin beiseite schieben, um genüsslich auf dem Ehemann, dem Gericht, dem Gutachter und der schrecklich maskulinen, natürlich zutiefst unfairen Männerwelt zu schimpfen und zu hetzen.

  • P
    Pollito

    Ich bin zwar keine Medizinerin, aber Mutter, und weiß zufällig, dass Kinder, die "unversort liegen bleiben" nicht einfach so innerhalb von 3 Minuten sterben, um dann begraben werden zu können.

     

    Hab ich da irgendwas verpasst, oder fehlt da was, in dem Artikel? Z.B., wie ganz genau die Kinder der bedauernswerten gelangweilten Hausfrau und des Macho-Mannes vom Leben zum Tode befördert wurden - wurden sie langsam erstickt, zu Tode geschüttelt oder mit dem Spaten erschlagen, mit dem sie dann begraben wurden?

     

    Oder würde eine detaillierte Schilderung nicht ins Bild passen? Mir ist klar, dass Frauen, die ihre neugeborenen Kinder töten, sich in einem seelischen Ausnahmezustand befinden. Trotzdem hält sich mein Mitleid auch so irgendwie in Grenzen.

     

    "Emanzipation" der Frau wird heute mit totaler Unabhängigkeit von allen und allem gleichsetzt (sprich kompletter Beziehungsgestörtheit) - mit Ausnahme nur des gesellschaftlichen Ansehens, was sich durch Berufstätigkeit erworben werden muss.

     

    Ich finde das eine ziemlich schlichte Definition und ärgere mich oft darüber. Noch mehr ärgere ich mich aber über die Tatsache, dass dies automatisch zu einer eX- oder impliziten Abwertung von Frauen (die, ob es nun gefällt oder nicht, eine entweder gesunde oder pervertierte Neigung zur Mütterlichkeit haben) und Kindern (einschließlich dessen Leben) führt.

     

    Frauen, überwindet etwaige primitive Kinderwünsche! und Kinder, seht zu, dass ihr schnell groß werdet! Damit ihr möglichst schnell zu einem gut geschmierten Rädchen im Getriebe werdet! Die portraitierte Dame hat diesen Ratschlag doch nur in etwas perverser Weise in die Realität umgesetzt.

  • P
    peinlich

    Ich finde es peinlich, dass in diesem Artikel diese graussame Frau in Schutz genommen wird.

    ...oh ja, arme Frau,... langweilst sich in der Ehe... alles zu normal...hmm am besten mal 9 Menschen töten. In Anbetracht dessen was sie gemacht hat, ist es eher drittrangig, wie es in ihr aussieht. Absolut egal was für ein Gutachter sie vernimmt, ob Frau oder Mann, diese Frau war schwerst kriminell. Eine Mutter die 9 Kinder tötet, verdient absolut kein Mitgefühl, sondern sollte eine gerechte Strafe erhalten.