Prozess gegen Khaled El Masri: Verschleppt und für immer gefangen
Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen Khaled El Masri - weil er den Neu-Ulmer Oberbürgermeister schlug. Eigentlich ist er ein Opfer von CIA und deutscher Stammtischpresse.
Am Ende blieb ihm nichts. Als die CIA den libanesischstämmigen Khaled El Masri 2003 verschleppte und monatelang folterte, verlor er die Freiheit. Als er in Deutschland keine Entschuldigung seiner Regierung für ihre Mitwisserschaft und Untätigkeit bekam, verlor er die Gewissheit, zu dieser Gesellschaft dazuzugehören. Als alle Instanzen der US-Gerichtsbarkeit seiner Schadensersatzklage gegen die CIA ablehnten, verlor er das Vertrauen in die Justiz. Als die Bild-Zeitung ihn als kriminellen, mutmaßlichen Lügner und "angebliches CIA-Opfer" verhöhnte, verlor er seine Würde. Als die Bundesregierung sich weigerte, die internationalen Haftbefehle der Staatsanwaltschaft München gegen dreizehn CIA-Agenten energisch weiterzuverfolgen, verlor er den Glauben daran, dass das noch Zufälle sein könnten. Und als er am 11. September 2009 ins Büro des Oberbürgermeisters von Neu-Ulm stürmte und ihn schlug, verlor er, nicht zum ersten Mal seit seiner Entführung, die Kontrolle.
Khaled El Masri ist ein Opfer. Und er ist ein Täter geworden. Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen ihn vor dem Landgericht Memmingen, weil er den Oberbürgermeister Gerold Noerenberg prügelte. Warum er ihn geschlagen hat, weiß nur El Masri selbst. Er schweigt. Selbst sein Anwalt hat seit Monaten keinen Kontakt mehr zu ihm.
Khaled El Masri hat viele Feinde. Ob die Geheimdienste, von denen er sich unablässig verfolgt fühlt, wirklich noch dazugehören, ist nicht nachzuweisen. Sicher ist hingegen, dass Bild-Zeitung und Lokalpresse ihm und seiner Familie den Kampf angesagt haben. "Wie wurde aus diesem Libanesen eigentlich ein Deutscher?", fragte die Bild im Dezember 2006. Damals beschäftigte die illegale Entführung El Masris in afghanische CIA-Geheimgefängnisse gerade einen Untersuchungsausschuss des Bundestages, der klären sollte, zu welchem Zeitpunkt die Regierung in Gestalt des früheren Kanzleramtschefs Frank-Walter Steinmeier und des Innenministers Otto Schily davon gewusst hatten. Beide haben sich bis heute nicht für ihr damaliges Verhalten entschuldigt. Und sie haben El Masri auch nicht gegen die Angriffe der Bild in Schutz genommen, die ihn als jemanden vorstellte, der sich qua Scheinehe die deutsche Staatsbürgerschaft ergaunert habe und dessen "Entführungsgeschichte" höchst unglaubwürdig sei.
Dies ist ein Text aus der sonntaz, die am 20. März erscheint – unter anderem mit einem Interview mit drei Menschen, die Terroristen gewesen sein sollen und dem Lebenswerk eines Baumsammlers. Das alles zusammen mit der aktuellen taz ab Samstag am Kiosk
Die Bild legte nach. Im Mai 2007, als El Masri in offenbar zunehmender Verwirrung einen Elektromarkt angesteckt hatte, schrieb die Redaktion der größten deutschen Zeitung: "Dieser Mann empört ganz Deutschland: Der Deutsch-Libanese Khaled al-Masri (43). Monatelang terrorisierte der Islamist als angebliches CIA-Folteropfer die Bundesregierung, Parlament und Öffentlichkeit! Nun stellt sich raus: Al-Masri ist ein durchgeknallter Schläger, Querulant und Brandstifter. Auch ein Lügner?"
Da hatten alle Gerichte längst festgestellt, dass die Schilderung El Masris über seine Entführung nahezu erschreckend akkurat ist. Aber die Bild legitimierte die Hetzfrage wohl durch ein vermutetes Volksempfinden: So einer kann doch kein Deutscher sein! Und eigentlich kein Opfer. Irgendwas an ihm wird faul sein.
Wer immer sich je mit der Traumatisierung von Opfern von Gewaltverbrechen, erst recht solchen im staatlichen Auftrag, beschäftigt hat, der weiß, welche Schäden solche Art von Berichterstattung bei den Betroffenen anrichten. Wenn das Unrecht, das die Opfer erlitten haben, auch noch gegen sie verwendet wird, verlieren sie jeden Boden unter den Füßen.
Seit seiner Freilassung durch die CIA ist El Masri mehrfach ausgerastet. Er fühlte sich bedroht und bedrohte andere. Einmal verprügelte er einen Lehrer der Dekra, wo er eine Fortbildung zum Lkw-Fahrer absolvierte. Dann legte er in dem Metro-Markt Feuer, weil er sich wegen eines defekten MP3-Players geärgert hatte. Haftstrafen, zur Bewährung ausgesetzt. Schließlich der Überfall auf den Neu-Ulmer Oberbürgermeister, dessen Motiv bis heute im Unklaren liegt, und seither Untersuchungshaft in Kempten. Machte El Masri den Lokalpolitiker für seine Entführung verantwortlich? Gibt es überhaupt solch ein nachvollziehbares Motiv?
Eine schützenswerte Privatsphäre scheint in den Augen der lokalen Presse auch El Masris Familie nicht zu haben. Ein Rechtsstreit von El Masris Frau Aischa, die mit den sechs Kindern der Familie in einem Mietshaus in Senden lebt, und der Vermieterin fand dieser Tage in allen Einzelheiten Eingang in die Berichterstattung der Augsburger Allgemeinen. Es ging um Drohbriefe El Masris an die Vermieterin und um Kinderlärm. Das Verfahren endete mit einem Vergleich - ein recht gewöhnlicher Vorgang. Die Zeitung hingegen zeigt sich mit dem Anwalt der Vermieterin erstaunt, dass der Staat im Wege der Prozesskostenhilfe die Kosten des Verfahrens für die Hartz-IV-Empfängerin übernimmt, deren Mann in Untersuchungshaft einsitzt. Schließlich beziehe sie monatlich rund 2.500 Euro Hartz IV für sich und die Kinder.
Seit El Masri von der CIA freigelassen wurde, kann er in Deutschland stets dasselbe lernen. Er wird nie dazugehören, man wird ihm immer misstrauen. Schlechte Voraussetzungen, um Traumatisierung und Verfolgungsangst zu heilen. Aber ausrasten, darüber wacht die deutsche Gesellschaft dann schon, darf er natürlich nicht. Denn dafür kommt man ins Gefängnis.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Wirtschaftsminister bei Klimakonferenz
Habeck, naiv in Baku
Aktienpaket-Vorschlag
Die CDU möchte allen Kindern ETFs zum Geburtstag schenken