Prozess gegen 88-Jährigen in Aachen: Ex-SS-Mann gesteht Tötungen

Der wegen dreier Morde angeklagte Heinrich Boere beruft sich darauf, er hätte Befehlen folgen müssen, um nicht getötet zu werden.

"Heute sehe ich das aus anderem Blickwinkel": Heinrich Boere. Bild: dpa

BERLIN taz Der wegen dreifachen Mordes angeklagte ehemalige SS-Angehörige Heinrich Boere hat die ihm zur Last gelegten Taten zugegeben. "Ich habe 1944 zu keinem Zeitpunkt mit dem Bewusstsein oder mit dem Gefühl gehandelt, ein Verbrechen zu begehen. Heute nach 65 Jahren sehe ich das natürlich aus anderem Blickwinkel", sagte der 88-Jährige am Dienstag vor dem Aachener Landgericht.

Boere wird vorgeworfen, in den Niederlanden zusammen mit weiteren SS-Männern drei als "deutschfeindlich" eingestufte Zivilisten heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen ermordet zu haben. Bei den Opfern handelte es sich um einen Apotheker, einen Fahrradhändler und einen Prokuristen. Die Hinrichtungen liefen unter dem Codenamen "Aktion Silbertanne" und galten als Vergeltungsmaßnahmen gegen Aktionen des niederländischen Widerstands. Insgesamt fielen den Mordanschlägen mehr als 50 Menschen zum Opfer. Die Getöteten hatten jedoch keinen direkten Anteil an Widerstandstaten und wurden völlig unvorbereitet in ihrem Geschäft oder der Wohnung von den verdeckt arbeitenden SS-Kommandos erschossen.

Boere wurde bereits im Jahre 1949 in Abwesenheit in den Niederlanden zum Tode verurteilt. Später wurde die Strafe in lebenslängliche Haft umgewandelt. Der Sohn einer Deutschen und eines Holländers trat die Haft aber niemals an, sondern lebte unbehelligt unter seinem richtigen Namen im Raum Aachen. Eine Auslieferung in die Niederlande fand nie statt.

Die Verteidigung scheiterte gestern mit einem Antrag auf Einstellung des Verfahrens wegen Doppelverfolgung. Sie hatte argumentiert, der gerade in Kraft getretene EU-Lissabon-Vertrag und die darin enthaltene Grundrechte-Charta sehe vor, dass man wegen einer Straftat nur einmal verurteilt werden dürfe. Die Staatsanwaltschaft erwiderte, dass eine solche Doppelbestrafung nur dann gelte, wenn die Strafe tatsächlich vollstreckt worden sei.

Trotz Boeres Geständnis will der gebrechliche Angeklagte offenbar straffrei davonkommen. Sein Verteidiger Gordon Christiansen erklärte gestern gegenüber ap, das Gericht müsse ihn freisprechen, da er im Befehlsnotstand gehandelt habe. Mit dieser Argumentation, nach der man morden musste, um nicht selbst ermordet zu werden, war es in den 1950er- und 1960er-Jahren vielen NS-Tätern gelungen, sich einer Strafe zu entziehen.

Auch die Einlassungen des Angeklagten weisen in diese Richtung: "Als einfacher Soldat habe ich gelernt, Befehle auszuführen, und wusste, dass ich bei Nichtbefolgen eines Befehls meinen Eid brechen und selbst erschossen werden würde", sagte Boere gestern.

Allerdings gab es nach Auffassung von Historikern während des Nationalsozialismus keinesfalls einen entsprechenden Automatismus. Bis heute ist etwa kein Fall bekannt, wo ein SS-Mann, der sich weigerte an Judenmorden teilzunehmen, deshalb umgebracht worden ist.

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