Proteste gegen Nazi-Aufmarsch in Dresden: Nazis einmal um den Block
Tausende Menschen demonstrieren gegen Rechtsextremismus und blockieren die Nazis. Die Strategie der Deeskalation geht auf. Die Nazis kommen nur einmal um den Bahnhof.
DRESDEN taz | Keine Gewalt, keine Krawalle: Mit verschiedensten Formen des Gedenkens und des Protests haben am Montag tausende Menschen in Dresden gegen Rechtsextremismus und Rassismus demonstriert und für viel Frust unter den Neonazis gesorgt.
Rund 13.000 Menschen kamen am frühen Abend in der Altstadt zusammen, um mit einer 3,6 Kilometer langen Menschenkette ein "Zeichen für Mut, Respekt und Toleranz" zu setzen.
Die Menschenkette sei ein "klares Bekenntnis gegen Nationalsozialismus, Rassismus und Gewalt", sagte Bürgermeister Dirk Hilbert (FDP). Das allein reiche aber nicht. Es gehe auch darum, Tag für Tag Rassismus und Intoleranz im Alltag zu bekämpfen.
Kritik am "Opfermythos"
Bei der traditionellen Gedenkveranstaltung am Nachmittag auf dem Heidefriedhof legten Landespolitiker und der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) weiße Rosen nieder. Sie sollten an das Leid erinnern, das der Stadt und ihren Einwohnern durch die Bombenangriffe am 13. Februar 1945 und durch die Gewaltherrschaft des Naziregimes im Zweiten Weltkrieg entstanden ist. Anders als in den Vorjahren beteiligten sich daran keine Vertreter der NPD.
Erstmals hatte die Stadt am Nachmittag auch einen "Täterrundgang" erlaubt. Um den "Dresdner Opfermythos" zu kritisieren, veranstaltete das Bündnis "Dresden Nazifrei" den Mahngang, der an insgesamt zehn Stationen auf die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt hinwies. An dem Rundgang beteiligten sich bis zu 2.500 Menschen.
Nazis gefrustet, Antifas glücklich
Für den Abend hatte die rechtsextreme "Junge Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO) zu einer Demonstration gerufen, an der nach Angaben der Polizei rund 1.600 Neonazis teilnahmen. Die taz schätzte die Zahl der Nazis auf rund 2.000 – in jedem Fall waren es weniger, als die Veranstalter sich erhofft und Gegendemonstranten und Polizei befürchtet hatten.
Doch noch ehe der Aufmarsch der Neonazis beginnen konnte, hatten tausende Antifaschisten am Sternplatz und in der Freibergerstraße Blockaden errichtet. Zeitweilig gab es entlang der ursprünglich geplanten Demonstrationsroute drei Blockaden. Und die Polizei zeigte keinen Willen, den Neonazis den Weg freizuräumen.
So marschierten die Neonazis nur auf einer deutlich verkürzten Route um den Bahnhof. Einige von ihnen antworteten mit einem Stehstreik auf die Verkürzung der Strecke.
Viele der Neonazis zogen am Abend frustriert ab, weil ihre Demonstration bereits nach einer Stunde wieder beendet war. Gegendemonstranten feierten am späten Abend ihren Erfolg, ehe auch sie sich auf den Heimweg machten.
Auch das Bündnis "Dresden Nazifrei" zeigte sich mit dem Verlauf des Tages zufrieden: "Wir ziehen eine rundum positive Bilanz. Rund 6.000 Menschen haben sich heute allein an den Blockaden beteiligt – und das mit Erfolg", sagte Bündnissprecher Stefan Thiele der taz.
Bundesregierung glänzt durch Abwesenheit
An den Protesten beteiligten sich auch zahlreiche führende Politiker aus den Reihen der Opposition. Sie forderten die Bundesregierung dazu auf, im Kampf gegen Rechtsextremismus deutlicher Position zu beziehen. Vor dem Hintergrund der Neonazi-Mordserie sagte die Linkspartei-Chefin Gesine Lötzsch der taz: "Im Deutschen Bundestag rufen Bundestagspräsident Norbert Lammert und die Bundesregierung dazu auf, dass sich alle demokratischen Kräfte entschlossen gegen Rechtsextremismus stellen sollten." Aber wenn es darauf ankomme, fehlten "relevante Teil der breiten demokratischen Öffentlichkeit".
Während die Bundestagsvizepräsidenten der Oppositionsparteien, Wolfgang Thierse (SPD), Katrin Göring-Eckardt (Grüne) und Petra Pau (Linkspartei), gegen die Neonazis demonstrierten und sich, wie zumindest im Fall Thierse, sogar an den Blockaden beteiligten, war aus der schwarz-gelben Bundesregierung offiziellen Angaben zufolge an diesem Tag niemand in Dresden.
In einer Antwort an Linkspartei-Chefin Lötzsch, die der taz vorliegt, hatte die Regierung zuvor eingeräumt, dass sich in dieser Legislaturperiode noch nie ein Regierungsvertreter von Amts wegen an Demonstrationen gegen Rechtsextreme beteiligt habe. Im vergangenen Jahr hatte sich allerdings der Dresdner Bundesminister Thomas de Maiziere (CDU) an einer Menschenkette beteiligt – offenbar privat.
Die Vorsitzende der Grünen, Claudia Roth, sagte dazu der taz: "Diese Haltung spiegelt das Versagen der demokratischen Verantwortung der Bundesregierung wieder. Mir fällt kaum ein Bundesminister ein, der nach der erschütternden Mordserie nicht hierher gehören würde." Lötzsch und Roth forderten die sofortige Abschaffung der sogenannten "Extremismusklausel", die "zivilgesellschaftliche Gruppen im Kampf gegen Rechts pauschal unter Generalverdacht stelle".
Eine vollständige Chronologie des 13. Februar 2012 in Dresden finden Sie im taz-Ticker: hier (12 Uhr bis 18 Uhr) und hier (19 Uhr bis 22 Uhr).
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen