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Protest gegen magere AssistenzlöhneRollstuhlfahrer geht in die Luft

AssistentInnen helfen Behinderten, den Alltag zu meistern. Doch deren Lohn ist knapp bemessen, kritisiert eine Initiative. Mit einer Aktion vor der Finanzverwaltung macht sie auf das Problem aufmerksam.

Hängender Protest Bild: dpa

"Ohne meine Assistenten könnte ich nicht leben", sagt Matthias Vernaldi. Der 51-Jährige leidet unter Muskelschwund und ist an den Rollstuhl gefesselt. Zehn Assistenten kümmern sich über die Woche verteilt um ihn: beim Anziehen und Zähneputzen, beim Essen und Toilettengang. Doch Vernaldi hat Probleme, sie bei der Stange zu halten: Knapp 10 Euro pro Stunde kann er nur bezahlen. Vernaldi ist nicht der Einzige mit diesem Problem.

Rund 100 Menschen, darunter viele pflegebedürftige Menschen und ihre Assistenten, haben am Montag vor der Senatsverwaltung für Finanzen gegen die schlechte finanzielle Ausstattung demonstriert. Der Hintergrund: Vernaldis Budget für die Betreuung wird zwischen den Assistenzdiensten, VertreterInnen der Pflegekassen und der Senatsverwaltung für Soziales ausgehandelt. Letztere stehe "unter einem enormen Spardruck durch die Finanzverwaltung", sagt Matthias Vernaldi. Deswegen würden die Stundensätze nicht erhöht.

Als Zeichen des Protests hat das "Bündnis für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen", dem auch Vernaldi angehört, eine waghalsige Aktion veranstaltet: Mit einem Kran soll der Rollstuhlfahrer vor die Fassade der Senatsverwaltung gehoben werden. Kurz vor dem Start ist er guter Laune: "Fahrt mich ruhig hoch, auf das Maximum", sagt der 51-Jährige. Sein Assistent prüft noch einmal die Gurte, dann wird Vernaldi in einer Kabine in die Luft gehoben. Über den Dächern des Ministeriums kommt er zum Stehen. Ein Helfer entrollt ein Plakat unter der Gondel. "Wer spart, lässt uns hängen", steht darauf.

Während Matthias Vernaldi 20 Meter über der Erde schwebt, halten die Demonstranten am Boden die Stellung. Auch Behindertenassistentin Heike ist heute gekommen, ihren vollen Namen möchte sie nicht nennen. Seit vier Jahren betreut die 37-Jährige eine spastische Frau, eine Schicht dauert bis zu zwölf Stunden. "Das ist physisch anstrengend", sagt Heike, "aber auch psychisch." Heike ist alleinerziehende Mutter zweier Kinder und kommt mit ihrem Verdienst kaum über die Runden. "Wenn ich Arbeitslosengeld beantragen würde, hätte ich nur 10 Euro weniger", sagt sie, "deshalb muss das Budget endlich erhöht werden."

Termin beim Senator

Gerne würden die Demonstranten ihre Forderungen mit dem Finanzsenator besprechen. "Nußbaum, komm raus", rufen sie - doch nichts passiert. Ein Gespräch mit dem Sprecher lehnen die Demonstranten ab. Als auch nach einer Stunde niemand auf sie reagiert, blockieren die Protestierer die stark befahrene Stralauer Straße vor der Senatsverwaltung. Daraufhin bietet der Sprecher einen Kompromiss: Das "Bündnis für selbstbestimmtes Leben" bekommt einen Termin beim Senator - gegen Voranmeldung.

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1 Kommentar

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  • R
    Rebecca

    Hallo Taz,

    danke für den guten Text. Aber bitte, bitte: trennt Euch doch endlich mal von der unsäglichen Formulierung "an den Rollstuhl gefesselt". Das geht so dermaßen an der Realität von Leuten im Rollstuhl vorbei und stilisiert sie zu Opfern. Ich z.B. benutze auch einen, konnte bisher aber noch immer aus dem Ding aussteigen, wenn ich wollte (an meinem Rolli zumindest sind keine Handschellen, Knebel, Fuß-Fesseln oder Paketklebestreifen dran). Außerdem ist das ist old school Fürsorgestaats-Sprache, ist doch sonst auch nicht Euer Ding. Alternativ-Vorschlag: Rollstuhlnutzer_in, Mensch im Rollstuhl, jemand braucht einen Rollstuhl...oder oder oder.