Protest gegen italienische Schnellbahn: "Helden" gegen neuen Tunnel
Hunderte Verletzte bei Massenprotest gegen Eisenbahn-Bauprojekt an Italiens Grenze zu Frankreich. Kritiker halten die Hochgeschwindigkeitsstrecke für überflüssig.
ROM taz | Mindestens 200 Personen wurden am Sonntagnachmittag bei einer Schlacht nahe der Baustelle für eine Hochgeschwindigkeitslinie der Bahn im nordwestitalienischen Susatal verletzt. Nach Polizeiangaben waren 6.000, nach denen der Organisatoren zehntausende Menschen zum Baustellenzaun im Ort Chiomonte geströmt, um eine vergangene Woche begonnene Tunnelbohrung zu stoppen.
Die Strecke durch das Alpental soll in Zukunft das französische Lyon mit dem italienischen Turin verbinden. Sie ist Teil des "europäischen Korridors", der einmal Lissabon mit Kiew verbinden soll. Doch große Teile der Bevölkerung im Valle de Susa leisten erbitterten Widerstand. Sie halten das 15-Milliarden-Euro-Projekt für überflüssig.
Tatsächlich ist das Transportaufkommen auf der Strecke nicht geeignet, die hohe Investition zu rechtfertigen. Befürworter meinen, in Zukunft solle die Strecke erlauben, einen Großteil des Güterverkehrs - der bisher auf der Straße stattfindet -, aufs Gleis zu verlagern. Doch die Verbindung Turin-Lyon ist für den grenzüberschreitenden Güterverkehr zweitrangig - und niemand erwartet große Zuwächse. Daher ist fraglich, ob hier überhaupt eine Hochgeschwindigkeitsstrecke gebraucht wird.
Umwelt- und Gesundheitsschäfen befürchtet
Neben den Kosten kritisieren die Anwohner, dass ihr Tal durch die Bauarbeiten weiter verschandelt würde. Schon heute verlaufen hier eine Bahnstrecke, zwei Fernstraßen und eine Autobahn. Zudem fürchtet die Bevölkerung Umwelt- und Gesundheitsschäden.
Die Bergmassive, durch die insgesamt mehr als 50 Kilometer Tunnel gebohrt werden sollen, enthielten Asbest und Uran; beim Bau des mit dem Neubau vergleichbaren Frejus-Tunnels sei die Zahl der Krebserkrankungen deutlich gestiegen.
Im Susatal selbst hat sich über die Jahre - das Projekt ist seit 22 Jahren auf dem Tisch - eine breite Koalition gegen den Strecken-Neubau formiert. Auch zahlreiche Bürgermeister und Gemeinderäte vor allem aus der gemäßigt linken Demokratischen Partei (PD) haben sich in die Protestfront eingereiht. Auf nationaler Ebene dagegen macht eine Koalition aus Berlusconi-Lager und PD Druck für den Bau.
Italien dürfe nicht den Anschluss an die europäischen Entwicklungen verlieren, heißt es dort im Chor. Nur die radikale Linke - heute vor allem die Partei SEL (Linke, Ökologie, Freiheit) - und die "Fünf Sterne"-Bewegung des Komikers Beppe Grillo haben sich geschlossen an die Seite der Protestierer gestellt.
Vorerst aber wird die Debatte weniger über die Gründe des Protestes als über seine Formen dominiert. Die Auseinandersetzung am Bauzaun hatten etwa 800 Angehörige des schwarzen Blocks - die Polizei spricht von auch aus Deutschland, Österreich und Frankreich Angereisten - gesucht.
"Helden" seien die friedlich protestierenden Einwohner des Susatals, erklärte Grillo, die Mitglieder des schwarzen Blocks dagegen sollten "ausfindig gemacht und verhaftet" werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Sport und Krieg in der Ukraine
Helden am Ball
Nachhaltige Elektronik
Ein blauer Engel für die faire Maus
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Studie zu Zweitem Weltkrieg
„Die Deutschen sind nackt und sie schreien“
Bodycams bei Polizei und Feuerwehr
Ungeliebte Spielzeuge