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Protest gegen entlassenen SexstraftäterDie Wut im Wohnpark

Ein Sexualstraftäter, durch eine Justizpanne auf freiem Fuß, kehrt zurück in seinen Heimatort. Die Bevölkerung der brandenburgischen Kleinstadt ist empört.

Joachimsthaler Bürger protestieren gegen die Freilassung von Werner K. Bild: dpa

JOACHIMSTHAL taz Die Hexe Pixepax mit ihrem Zi-Za-Zauberhut überlegt sich was. "Ich muss mir irgendetwas ausdenken, vor dem sich die Kinder fürchten", murmelt sie in ihr Mikrofon. Sie wendet sich an eines der Kinder, das in der Mittagssonne vor ihr auf dem Boden sitzt: "Vor was hast du denn Angst?", fragt sie den Steppke. "Mumien", haucht der. "Schule", "Fledermäuse", werfen andere Kinder ein. Niemand sagt "Werner K.". Dabei hat hier in Joachimsthal doch jeder Angst vor ihm. Oder?

Eine brandenburgische Kleinstadt fürchtet sich. Das zumindest schreiben die Boulevardzeitungen. Denn Werner K. ist zurückgekehrt. Der 50-Jährige lebt wieder in dem beschaulichen 3.300-Einwohner-Städtchen am Rande der Schorfheide. Der Sexualstraftäter hat schon 22 Jahre seines Lebens in Haft verbracht. Werner K. hat mindestens fünf Frauen und mehrere Minderjährige vergewaltigt, weitere Fälle sind wahrscheinlich. Eigentlich hätte er länger hinter Gittern bleiben müssen, in Sicherungsverwahrung. Weil psychiatrische Gutachten in seinem Fall eine hohe Rückfallgefahr sehen, solange er nicht therapiert ist. Doch wegen einer Justizpanne, mit der sich selbst der Bundesgerichtshof beschäftigen musste, ist er nun doch auf freiem Fuß. In Joachimsthal. Eine Bürgerinitiative kämpft dagegen an. Und Neonazis wollen sich an die Sache ranhängen.

Peter Brobowski will die Rechten draußen halten. Er ist der Sprecher der Bürgerinitiative "Nachbarliche Solidaritätsgemeinschaft", die Werner K.s Aufenthalt in Joachimsthal so schnell wie möglich beenden will. Brobowski ist ein 35-jähriger Angestellter eines Sicherheitsdienstes. An diesem sonnigen Tag trägt der bärtige, sportliche Mann ein T-Shirt der Marke "Killtec". Brobowski arbeitet viel in Berlin, unter anderem als Bodyguard, er scheint keiner zu sein, der zu Panik neigt.

Aber übertreibt nicht auch er die Gefahr? Der gebürtige Koblenzer lebt seit ein paar Jahren am Stadtrand Joachimsthals im "Wohnpark", einer Ansammlung von 186 Wohnungen in Reihenhäusern, die sich um einen zentralen Parkplatz gruppieren. Die meisten Autos hier sind Familienkutschen mit Bugs-Bunny- oder Winnie-Pooh-Sonnenschützern an den Rücksitzfenstern. Brobowski ist der Liebe wegen zugezogen, seine frisch angetraute Frau und ihre achtjährigen Zwillinge haben eine Wohnung in der Siedlung. Hier, gerade mal einen Steinwurf entfernt, hat Mitte April auch Werner K. gewohnt. Nach seiner überraschenden Haftentlassung war er zu seiner Schwester nach Joachimsthal gezogen. Damals haben die Joachimsthaler erreicht, dass er wieder verschwindet, eine Therapie macht. Die Behandlung wurde jedoch Ende Mai abgebrochen, nun ist er wieder da, lebt jetzt in seinem früheren Elternhaus, am Ortsrand. Brobowski ist sauer.

Man muss sich die Situation vor zwei Monaten vorstellen: In diese scheinbar heile Welt, die höchstens ein wenig Kindergeschrei und Grillkohleduft stören, bricht, aus der Perspektive der Nachbarn, das Böse ein. Die Empörung, ja die Panik spiegelt sich in den Spruchbändern aus Bettlaken, die neben Deutschlandfahnen noch heute aus den Fenstern hängen: "Justizpanne! Er ist kein Einzelfall!!! Joachimsthal ist überall", "Vergewaltigung verjährt, aber für das Opfer verjährt nichts" oder "Psychiater warnen! Justiz lässt frei??? WARUM?"

Nicht nur Peter Brobowski hat Spruchbänder dieses Kalibers rausgehängt, auch andere Mitglieder seiner Bürgerinitiative demonstrieren so ihren Ärger. Das gemeinsame Engagement schweißt zusammen: Als Brobowski am Parkplatz eine Nachbarin trifft, erzählt er ihr im Vorbeigehen, es gebe wieder "richtig geile Artikel. Ich habe alle Zeitungen gekauft."

Rollt hier eine Bürgerwehr an? "Wir wollen keine Gewalt", betont Brobowski, "wir wollen keine Pogromstimmung gegen Werner K. machen." Brobowski distanziert sich von einem Nachbarn, der in einem Krawallsender gefordert hatte, Werner K. einen Kopf kürzer zu machen. Auch das Spruchband "Todesstrafe für Kinderschänder" im Wohnpark wurde auf Druck der Bürgerinitiative entfernt, erzählt Brobowski. Zu seiner Gruppe gehören etwa zehn Leute, einige leben im Wohnpark, alle sind Eltern. Sie fordern Sicherungsverwahrung für Werner K., und sie erwägen, einen Verein zu gründen. Sie wollen Opfern sexueller Gewalt helfen. "Mittlerweile", sagt Brobowski, "kann man ja in Deutschland von Täterschutz reden."

In manche Familien hat sich tatsächlich die Angst geschlichen. Sein Junge schaue ihm abends zu, wenn er die Tür zuschließt, berichtet Brobowski, alle Kinder im Wohnpark seien verängstigt: "Die wissen, dass hier ein böser Onkel ist." Die Eltern in Joachimsthal erzählen einander von Kinderfragen wie: "Papa, wenn es dunkel ist, bist du doch zuhause, oder?"

Gegen die Angst setzt die Bürgerinitiative Aktion: Sie hat eine Demonstration gegen Werner K. veranstaltet, mitten durch die Stadt, 200 Leute waren dabei. Immer wieder halten sie Mahnwachen, erst vor dem Haus von K.s Schwester, nun vor dem Elternhaus. Sie planen eine Fahrt nach Leipzig, dort wollen sie vor dem Bundesgerichtshof demonstrieren - die Justiz soll endlich handeln. Auch über ein Fest denken sie nach, "um irgendwie was Positives rauszuziehen", so Brobowski. Aber das scheitere derzeit noch am Geld - und an der "Angst, dass sich Rechte damit auf den Weg machen", genauer: "dass die NPD auf den Plan tritt". Die Neonazis neigten ja dazu, "unbemerkt zu infiltrieren". Seit langem fordert die NPD "Todesstrafe für Kinderschänder".

Wie schnell die Sache kippen kann, erzählt einer von Brobowskis Nachbarn, der gerade in sein Auto steigt, genau gegenüber der Wohnung, in der Werner K.s Schwester mit dem gehbehinderten Vater lebt. Die Frau sei von der lieben Nachbarschaft arg bedrängt worden, hasserfüllte Sprüche wie "Lass den bloß nicht raus, den schlagen wir tot" seien zu hören gewesen. Völlig verschüchtert habe sie gewirkt, weinend sei sie durch den Wohnpark gelaufen.

Auch Philipp kritisiert die Leute von der Bürgerinitiative. Der 16-Jährige, der von der Schule heimkommt, meint zwar, dass Werner K. "in den Knast gehört. Aber die pushen das ein bisschen auf, ist n bisschen extrem." Ein älterer Herr, der den Müll wegbringt, sagt, manche hier hätten offenbar "noch nie was von Vergebung gehört". Er erzählt, dass im Schaukasten der Kirche das 5. Gebot - "Du sollst nicht töten!" - hing, als im Wohnpark das Transparent "Todesstrafe für Kinderschänder" forderte. "Ich bin jedenfalls froh, dass es keine Todesstrafe mehr gibt", sagt er im Weggehen.

Auf dem Kinderfest der Gemeinde mit der Hexe Pixepax will die ehrenamtliche Bürgermeisterin Gerlinde Schneider der Presse am liebsten gar nichts mehr über den Fall Werner K. sagen. Anfangs, erzählt die Parteilose dann doch, habe sie öffentlich vor Selbstjustiz gewarnt: "Wir müssen verhindern, dass irgendjemand noch Straftaten wegen dieses Mannes verübt. Nicht, dass es noch so weit kommt, dass die Polizei den Mann vor den Joachimsthalern schützen muss", wurde sie zitiert. Sie steht dazu. Diese Warnung sei "am Anfang nicht übertrieben gewesen".

Zum Glück habe sich die Lage etwas beruhigt, auch wenn Werner K. wieder da sei. Aber, das will sie noch sagen, ehe die Pflicht als Gastgeberin der Kinder ruft: "Selbstjustiz ist die schlechteste Justiz, die wir machen können." Eltern auf dem Kinderfest scheinen weniger Probleme damit zu haben: "Wer sein Kind liebt, dem gehen solche Gedanken durch den Kopf", sagt eine blonde Mutter. Werner K. sollte man "wegsperren", sagt ein Vater, "und die Verantwortlichen gleich mit".

Pfarrerin Beatrix Spreng, die sich seit Jahren gegen rechtsextreme Tendenzen in der Gegend engagiert, ist gelassener. "Die Pfarrerin fürchtet um ihr neunjähriges Kind", äfft sie den dramatischen Tonfall eines Privatsenders nach - und lacht. Die 54-Jährige hat im vergangenen Jahr die Mutter von Werner K. bestattet. Die Familie sei hier mit Neffen, Cousinen und anderen Verwandten fest verwurzelt, erzählt Spreng. Sie habe schon von der Kanzel gemahnt, "dass diese Familie zu uns gehört". Dennoch fragt sie: "Wie kann man sich schützen, ohne die Freiheit aufzugeben?" Bürgermeisterin Schneider, lobt sie, agiere klug in dieser Angelegenheit - und ihre Warnungen vor Selbstjustiz seien im April berechtigt gewesen: "Damals stimmte das." Nun müssten auch Justiz und Land aktiv werden: "Ein kleiner Ort kommt an Grenzen bei so einer Frage."

Immerhin, die Gefahr der Unterwanderung durch Extremisten habe die Bürgerinitiative abgewehrt. Nur ganz am Anfang habe sich eine Gruppe Rechter in die Sache einzuklinken versucht, erzählt die Pfarrerin. Die Initiative habe sich eindeutig von diesen Leuten distanziert, die Einflussnahme "sofort gestoppt", indem sie sich eine feste Struktur und einen Sprecher gegeben habe. Insgesamt, sagt sie lachend, "sind wir derzeit ja die bestbewachte Stadt".

Wie diese Bewachung konkret aussieht, kann man vor dem Elternhaus von Werner K. sehen. Vor dem abgeranzten Altbau gleich an der Hauptstraße steht ein Auto. Die beiden gelangweilt wirkenden Herren darin versuchen gar nicht zu verbergen, dass sie Werner K. bewachen. Zwei 16-jährige Mädchen schlendern am Haus vorbei. "Nö", sagt die eine mit der Maulfaulheit von Pubertierenden, Angst hätten sie nicht. "Der wird ja sowieso bewacht", sagt die Schwarzhaarige mit dem Piercing unter der Lippe. "Ist aber nicht gut, dass sie ihn rausgelassen haben", ergänzt sie, "das kann ja immer wieder passieren." Dann stopfen die beiden wieder die Stöpsel ihrer Handys ins Ohr und gehen cool ihres Weges.

Und was sagt Werner K. dazu? Tatsächlich, die Tür seines Elternhauses öffnet sich nach kurzem Klingeln. Ein Mann steht da, glatt rasiert, im Blaumann, vielleicht Ende vierzig. Er beugt sich nieder, um ein Hündchen daran zu hindern, aus dem Haus zu flitzen. "Tut mir leid, der ist nicht da", antwortet er auf die Frage, ob Werner K. zuhause sei. Dann schließt er sofort die Tür. War das Werner K.? Der Sexualstraftäter, der Triebtäter, der seine Taten nie bereut haben soll? Der Mann sieht harmlos aus.

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8 Kommentare

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  • E
    eleonora

    Ich kann die Bürger sehr gut verstehen. Von der Polizei ist erst Hilfe zu erwarten, wenn es wieder neue Übergriffe gegeben hat. Ich denke, die Bevölkerung in Deutschland ist in Punkto Pädokriminalität viel zu passiv ! Eine Bürgerwehr/ Demonstrationen und Veröffentlichung der Täter können den Tätern wenigsten zeigen, dass auch sie nicht ungestraft kleine Kinder schänden können. Solange Menschen nicht einschreiten und gefangen sind in ihrer abgehobenen Starrheit, können Pädosexuelle zuschlagen!

  • AK
    Aus Koblenz

    Hallo und guten Tag zusammen,

     

    Mir wird schlecht. Ein hier mehrfach gennanter Herr aus einem kleinen Ort in Brandenburg lehnt sich als Sprecher einer Bürgerinitiative sehr, sehr weit aus dem Fenster. Das die Bevölkerung des kleinen Ortes Angst vor diesem entlassenen Sexualstraftäter hat ist vollkommen klar.

     

    Ich denke aber, dass man nicht unterscheiden darf zwischen einem Fremden oder einem Familienmitglied, der als Sexualstraftäter auffällig geworden ist. Meiner Meinung nach, geht es dem "Wortführer" hier nicht mehr um die eigentliche Sache, sondern nur um seine eigene Medienpräsenz.

  • A
    ARE

    Ich verstehe etwas an dem Fall noch nicht: wenn ein Fehler passiert und aufgrund von diesem eine Person (ein Kind) zu Schaden kommt, haftet dann nicht normalerweise derjenige, dem der Fehler unterlaufen ist, d.h. die Sachbearbeiter und Verantwortlichen der Behörde?

    Wenn das so ist, warum werden diese dann nicht benannt? Wäre hier nicht eher zu berichten, z.B. über fehlerhafte Abläufe, Entscheidungen etc. sodass es weniger zu solchen Vorfällen kommen sollte? Zusammengefasst: warum wird nur der schon bekannte Sexualstraftäter genannt, die "Schreibtischtäter im Hintergrund" dagegen nicht?

    @taz:

    Kommt da noch was nach?

  • G
    gregor

    Ich weiß nicht, was der letzte Satz soll... unheilschwanger? verharmlosend? "neutral", eine Beobachtung?

    schlechter Stil...

  • MT
    Micaela True

    Einem Verbrecher kann man unter gewissen Voraussetzungen vergeben. Einem anarchistischen, ungebildeten Mob niemals. Diese Leute stellen sich aktiv gegen die Staatsgewalt. Unverzeihlich.

  • P
    Phädra

    Wiederum ein klassischer Fall, wo ein Täter zum (potentiellen) Opfer gemacht wird. Klar, nicht die Bevölkerung des kleinen Ortes muß vor einem verurteilten Sexualstraftäter, dem Experten eine hohe Rückfallgefahr bescheinigen, geschützt werden, . Nein, der Autor suggeriert, die eigentliche Gefahr gehe von einer Bürgerinitiative aus, die angeblich kurz davor steht, Selbstjustiz zu begehen. Und schlimmer noch: die "Bürgerwehr" drohe, von Rechtsextremen unterwandert zu werden. DARIN sieht der Autor des Artikels das eigentliche Problem, nicht in der Tatsache, dass ein möglicherweise gewalttätiger Mann frei in der Gegend herumläuft, ohne dass die Justiz etwas dagegen machen kann. DAS ist nämlich der eigentliche Skandal, nicht die berechtigten Proteste der Bürger.

    Die Ängste der Bürger sollten ernstgenommen werden und nicht durch einen Artikel, der das Ganze verharmlost, lächerlich gemacht werden...

    Und wo ist ein konstruktiver Lösungsvorschlag für das Problem, was man eigentlich mit dem "harmlos aussehenden" Mann machen soll?

  • JK
    Jürgen Küster

    Käme der Straftäter aus dem rechten Spektrum und hätte, anstatt Minderjährige zu vergewaltigen, ausländische Mitbürger angegriffen, würde die Empörung der taz keine Grenzen kennen.

    So aber werden Bürger, die sich zur Wehr setzen, süffisant als Spiesser oder Normalos abqualifiziert, in deren heile Welt das Böse einbricht, und die deshalb latent faschistoid reagieren.

    Doppelte Moral eines ansonsten schätzenswerten Blattes!

  • K
    Knorf

    Danke Herr Gessler für ihren unaufgeregten und sachlichen Bericht aus Joachimstal. Ich hatte mich schon gefragt was aus der Geschichte geworden ist.