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Protest gegen Kosovos UnabhängigkeitMillionen Serben in Aufruhr

Bisher randalierten Belgrads Hooligans, die Politik klatschte. Heute demonstrieren Bürger gegen die Anerkennung des Kosovo.

Für die Studenten fällt die Uni aus, um am Protestmarsch gegen Kosovos Unabhängigkeit teilzunehmen. Bild: dpa

BELGRAD taz Belgrads Schüler werden am heutigen Donnerstag frei haben. Denn auch die Kinder sollen sich dem Kampf für die Wiege des Serbentums anschließen. Eine Million Menschen werden vor dem serbischen Parlament im Zentrum Belgrads erwartet. Regierung und Opposition riefen zur Massendemo auf. Nationalistische, prowestliche und national-konservative Kräfte haben im Kampf für das Kosovo alle ideologischen Unterschiede unter den Tisch gekehrt. Die ganze Welt soll sehen, was die Bürger Serbiens von der Unabhängigkeit des Kosovo halten - nichts.

Zuvor hatte bereits das serbische Parlament die Unabhängigkeit der südserbischen Provinz für "null und nichtig erklärt" - für alle Zeiten. Der Protestmarsch soll bis zur Kirche des heiligen Sava ziehen, wo die Fürbitte für die Serben im Kosovo abgehalten werden soll - organisiert, friedlich und würdevoll.

Einige EU-Botschaften trauen dem Frieden jedoch nicht, sie haben seit Mittwoch vorübergehend geschlossen. Viele westliche Diplomaten in Belgrad fahren lieber mit dem Taxi zur Arbeit. Sie haben Angst, ihre Autos könnten zur Zielscheibe von Vandalen werden - wie es in den vergangenen Tagen geschah, als Steine flogen.

"Man ist natürlich beunruhigt", sagt Tiana Jocic, die österreichische stellvertretende Handelsdelegierte in Belgrad. Auch viele ausländische Firmen werden am Donnerstag in Serbien geschlossen bleiben. McDonalds hat seit Tagen zu, Lokale der amerikanischen Fastfood-Kette sind mehrmals demoliert worden. Die Raiffeisenbank, die Volksbank, die UniCredit-Bank und die Société Générale haben einige Steine abbekommen. Vorsichtshalber werden sie ihre Filialen schließen, bis die Kosovo-Kundgebung vorbei ist. Angestellte haben Anweisungen bekommen, wie sie sich zu verhalten haben - etwa ihre Wagen nicht auf der Straße zu parken.

Die Sorge westlicher Diplomaten und Geschäftsleute ist nachzuvollziehen. Seit Kosovo die Unabhängigkeit ausgerufen hat, sind bei Protestkundgebungen 81 Menschen verletzt worden, darunter 51 Polizisten. Die Botschaft Sloweniens, das den Europaratsvorsitzenden stellt, ist demoliert, die US-Botschaft mehrmals gestürmt werden. Einzelne albanische Lokale sind mit Steinen beworfen worden, eine Bombe ist auf dem Parkplatz des slowenischen Einkaufszentrums Merkator in Belgrad explodiert. E-Mails sind im Umlauf, die zum Boykott slowenischer Waren aufrufen. Wütende Hooligans lieferten sich Schlachten mit Sondereinheiten der Polizei.

Am Dienstag setzten serbische Demonstranten zwei Grenzkontrollpunkte zwischen dem Kosovo und Serbien in Brand. "Das ist zwar nicht schön, doch gerechtfertigt", erklärte Serbiens Kosovo-Minister, Slobodan Samardþic. "Die heutigen Aktionen stehen im Einklang mit der allgemeinen Regierungspolitik." Die illegalen kosovarischen Institutionen sei daran zu hindern, eine Staatsgrenze zwischen Serbien und dem Mutterland zu ziehen.

Staatspräsident Boris Tadic und Premier Vojislav Koðtunica riefen zwar zur Ruhe auf. Im Parlament zeigten jedoch oppositionelle Fraktionschefs Verständnis für den "gerechtfertigten Groll" der Bevölkerung. Was seien schon fünf zerbrochene Fenster, verglichen mit fünfzehn Prozent des serbischen Territoriums, das Serbien mit Gewalt weggenommen werde, erklärte Tomislav Nikolic, Chef der stärksten "Serbischen Radikalen Partei". Wären es doch wenigsten fünfzehn eingeschlagene Scheiben gewesen, meinte Nikolic. Auch die Schlagzeilen der serbischen Medien haben ein großes Leitmotiv: Kampf für das Kosovo.

Bürgerbewegungen kritisierten Spitzenpolitiker, nicht energisch genug die Gewaltausbrüche verurteilt zu haben, aus Angst, der Unmut des Volkes könnte sich gegen sie richten. Für die bisherige Zerstörung sind zwar nur vereinzelte Gruppen von Fußballhooligans und nationalistischen Organisationen verantwortlich. Doch wenn der Staat nicht mit aller Kraft dagegenhält, könnte die zugespitzte Lage bald außer Kontrolle geraten. Viele haben Angst, dass die unentschlossen bis billigende Haltung der Politik ein Risiko für Serbien ist, ein Land, in dem es viele Arbeitslose und zehntausende Flüchtlinge gibt. Genug Frust, der sich an der Kosovofrage entladen könnte.

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6 Kommentare

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  • S
    Samca

    Rabea, DU hast das festgestellt.

     

    Aber bitte ich lasse mich belehren. Berichte doch mal über antialbanische Massenkundgebungen jenseits der gängigen Klisches. Wo sind denn die westlichen Zeitungsberichte über Massenvertreibungen IN den 90ern im Kosovo.

     

    Die hat man dann erfunden, als es politisch in den Kram passte, nämlich kurz vor den Nato angriffen aus Serbien.

     

    Wie gesagt: bringe mir berichte über den kosovo und hetzt gegen die albaner aus den jahren 90-98 und wir reden weiter!

  • S
    Shrike

    Ich war noch nie im Kosovo, aber gehört habe ich auch einiges.

     

    Es soll im Kosovo tatsächlich in hohem Maße organisiertes Verbrechen geben.

    Es stellt sich ohnehin die Frage, wie es langfristig mit der ökonomischen Lebensfähigkeit des Kosovo aussieht.

    Und auch die Kosovo-Albaner haben Verbrechen gegen die dortigen Serben verübt.

    Da hat sich die Bundeswehr jedoch nur zögerlich verhalten.

    Dies sollte man schon bedenken:

    Beide Seiten haben Verbrechen begangen, aber der Westen stellt sich recht einseitig auf eine Seite.

  • AN
    Agron Nikolla

    Ihr Serben habt doch andere Probleme als das Kosovo. Und die meisten, die da protestieren war noch nie in Kosovo, obwohl das "ihre Wiege" sein soll. Es ist vorallem die Wiege für nationalistische Mystifikationen und Propaganda. Ich hab einige serbische Freunde, nette Menschen! Aber viele haben eigentlich keine Ahnung was in Kosovo geschehen ist. Statdessen zitiert man aus Geschichtsbüchern und der jahrelangen Propaganda.

  • F
    Freiheit

    Ihr Serben habt doch andere Probleme als das Kosovo. Und die meisten, die da protestieren war noch nie in Kosovo, obwohl das "ihre Wiege" sein soll. Es ist vorallem die Wiege für nationalistische Mystifikationen und Propaganda. Ich hab einige serbische Freunde, nette Menschen! Aber viele haben eigentlich keine Ahnung was in Kosovo geschehen ist. Statdessen zitiert man aus Geschichtsbüchern und der jahrelangen Propaganda. Und die Albaner sind sowieso Ratten und keine Menschen. Im Krieg sind viele schlimme Dinge geschehen, von allen Ethnien. Aber was sich die Serben geleistet haben, ist absolut unmoralisch. Es ist Zeit, endlich diesen Krieg zu verarbeiten und vorwärts zuschauen. Für Kosovo gibt es keine Alternative, als die Unabhängigkeit. Mit einem Land, dass gemordet, vergewaltigt, ..., Lehrer verprügelt, Rekruten massakriert, und viele andere schlimme Dinge über mehrere Jahrezehnte ausgeübt hat, gibt es keine Zukunft. Ich hoffe das serbische Volk kann irgendwann hinter dem Propaganda-Vorhang sehen, und sich ... für die Verbrechen entschuldigen.

    Fazit:

    1. Serbien hat ganz andere Probleme, als das Kosovo

    2. Sogar der kleine Bruder Montenegro wollte sich von euch lösen, Wieso wohl? Was erwartet ihr dann von den Albaner, welche ihr jahrelang missbraucht habt?

    3. In einer Demokratie entscheidet die Mehrheit, 93% wollen Unabhängigkeit.

    4. Nationalistischer Stolz ist der Tumor des Balkans

    .....

     

     

    p.s. Anna du bist in Kosovo herzlich willkommen.

    Wir sind keine Rassisten.

  • R
    Rabea

    Wir schon oft und richtig festgestellt, gab es keine Aufarbeitung in Serbien - und auch nicht unter den Serben in der Diaspora. Die serbische Geschichte kennt nur drei Daten: 1389, den Tag, als die NATO intervenierte und den 17.02.2008.

    Keine Selbstreflexion, kein Wille, über das nachzudenken, was 1998, 1999 und auch schon viel, viel früher passierte. Was im Namen eines ganzen Volkes im Kosovo an der albanischen Bevölkerung verübt wurde. Nein, man negiert es - oder noch besser: man verherrlicht es. Dazu braucht man nicht viel Fantasie.

    Diese Serben, die sich nun empören, griffen nicht zu ihren Kerzen und liefen auch nicht auf die Straßen, als die Welt mitansehen musste, was in Bosnien und später im Kosovo passierte. Man kann auch nicht sagen, sie hätten es nicht gesehen. Man hat es schweigend hingenommen, auch akzeptiert und somit sein "JA" zu dem abgegeben, was passierte. Und nun? Nun will man mit den Konsequenzen nicht leben, windet sich in seiner augenscheinlichen Opferolle und will immernoch nicht einsehen, warum all dies passiert ist.

     

    Serbien wollte die Erde dieses Gebietes, das Stück Land, jedoch nicht die Menschen, nicht die Albaner. Denn die waren und sind immernoch für die meisten serbischen Bürger Menschen zweiter Klasse. Wozu gab es schon früher Vertreibungen, Abkommen mit der Türkei etc?

     

    Man lebt von Mythen, sieht das eigene Heil in Prinz Lazar und die Heiligkeit der konservativ-orthodoxen Tradition - und begründet damit einen kultivierten Albanerhass, der schon Jahre vor dem Krieg zum guten Ton in Serbien gehörte.

     

    Da man sich nun nicht mehr zu helfen weiß, startet man Verleumdungsaktionen. Diffamiert Albaner als angehende Gründer einen Islamstaates (jede halbwegs gebildete Person weiß, dass die Albaner des Kosovo eine säkulare, ja sogar agnostische Lebensweise haben), als kollektivkriminell und als unrechtes Volk.

     

    Dass dies die Wurzel des Nationalismus ist, die doe Kriege des Balkan in den 1990ern hervorgerufen hat, liegt auf der Hand. Das schlimmste: Dieser ungesunde Nationalismus wird nicht verschwinden. Er kultiviert sich weiter; in einer Art und Weise, die wir in Deutschland nicht (mehr) kennen. Das ist Rechtsextremismus der feiensten Sorte. Und dies sollte auch gesagt werden.

  • A
    anna

    ich kann es mir nur mit unwissenheit dank manipulation einerseits und ignoranz andererseits erklären dass eu-bürgerInnen die gündung eines mafia-staates nach uno-gnaden feiern. der "staat" kosovo hätte nur dann einen sinn und eine chance, wenn die un-verwaltung endlich einmal gegen alle lokalen mafiabosse (und auch kriegsverbrecher) vulgo "staatsmänner"/"politiker" hart durchgreifen und sie aus dem politisch-wirtschaftlichen verkehr ziehen würde. da das aber karrierehinderlich und lebensgefährlich wäre, heißt es weiter: kopf in den sand und jubeln.