piwik no script img

Archiv-Artikel

Prostitution und Doppelmoral

betr.: „Die Freier werden zum Gegner“, taz vom 22. 5. 08

Sehr geehrte Frau Mitrovic, ich habe Ihr Interview gelesen und wollte Ihnen mitteilen, dass ich vollkommen Ihrer Meinung bin. Hier in Berlin gibt es ein gutes Beispiel für die Doppelmoral gerade der CDU.

Aufgrund der historischen Entwicklung ist Berlin in Sachen Prostitution sehr liberal. So gibt es schon seit den Achtzigern viele Wohnungsbordelle, welche folgende Dinge vereinbaren: Sie werden meistens von Frauen geführt wie Familienbetriebe – kaum Zuhälterei. Die Damen entscheiden frei über ihre Arbeitszeiten, daher auch viele Deutsche (Hausfrauen oder Studentinnen, die beispielsweise nur ein- oder zweimal pro Woche arbeiten). Sie sind polizeilich gemeldet und zahlen Steuern. Sie sind meistens nur tagsüber geöffnet, und außer Sekt gibt es keinen Alkoholausschank. Sie sind diskret in Hinterhöfen gelegen, keine Begleiterscheinungen wie Drogenhandel oder Rotlichtreklame.

Viele davon gibt es nun im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf, wo es leider den Baustadtrat Gröhler von der CDU gibt. Dieser ist nun der Meinung, dass Wohnungsbordelle die Anwohner stören (es handelt sich um Mischgebiete mit Supermärkten, Tankstellen usw., also eigentlich keine reinen Wohngebiete). Daher will er am liebsten Dutzende dieser Bordelle schließen, um die Anwohner, die das seit 20 Jahren nicht stört, vor Sodom und Gomorrha zu bewahren.

Gleichzeitig aber hat Herr Gröhler das größte Bordell in Berlin überhaupt genehmigt – den Saunaclub Artemis, der in einem reinen Gewerbegebiet liegt und in dem pro Schicht mindestens 30 Frauen arbeiten. Allerdings haben die Damen in diesem Club nicht dieselben Bedingungen wie bei den Wohnungsbordellen, 12- bis 16-Stunden-Schichten sind normal, Oralverkehr ohne Kondom wird den Frauen nahegelegt, wenn sie dort arbeiten wollen (das kann die Frau im Wohnungsbordell selbst entscheiden), und zu 90 Prozent kommen die Damen aus Osteuropa. Außerdem wird dieses Riesenbordell von türkischen Kurden geführt, die sich nur durch ihren Anwalt vertreten lassen.

Im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg regiert zum Beispiel ein Grünen-Bürgermeister, und hier hat man sich dafür ausgesprochen, die Wohnungsbordelle in Wohn- oder Mischgebieten zu erhalten, da man weiß, dass die Arbeitsbedingungen hier besser sind als in Großraumbordellen, wo Fließbandarbeit herrscht und man eine Zentralisierung des Rotlichtmilieus in Gewerbegebieten vermeiden will.

An diesem Beispiel sieht man, wie ernst es der CDU mit den Rechten der Frauen ist – Hauptsache, in der gutbürgerlichen Gegend ist alles sauber, und man kann schön am Sonntag mit der Familie zur Kirche gehen, und in der Woche nach Feierabend fährt Papa (Unternehmer, Anwalt usw.) in den Puff im Gewerbegebiet, der von der Russen- oder Türkenmafia betrieben wird. Das ist ein wenig überspitzt.

Das beste Beispiel für Doppelmoral sind sicherlich Länder wie Frankreich und Schweden, wo man Prostitution ganz kriminalisiert und dann, wie in Paris nicht unüblich, die Prostituierten nach einer Massenvergewaltigung durch Polizisten nicht mal Anzeige erstatten können, da sie einen illegalen Beruf ausüben. UWE H., Berlin