: Prolet und Präsident
■ Arbeiterkammer-Präsident Spanjer kann vorlesen
Zu den Eigenschaften, die den Kollegen Günter Spanjer auszeichnen, gehören diese gewiß nicht: Sprunghaftigkeit und Unberechenbarkeit. Nein, Spanjer hatte andere Qualitäten, entpuppt sich bei näherem Hinhören z.B. als recht passabler Vorleser. Und gelegentlich - wenn man ihn bittet, wie auf der gestrigen Landespressekonferenz - gibt Spanjer im kleinen Kreise sogar Kostproben dieses selten gewordenen kulturtechnischen Könnens.
Zehn eigens unter der Überschrift „Ausführungen des Präsidenten vor der Landespressekonferenz“ verfaßte Seiten verlas Günter Spanjer gestern, nachdem er zuvor alle Anwesenden vorsorglich mit einer Durchschrift seines Manuskripts versorgt hatte - eine nebenbei völlig überflüssige, von sympathisch übertriebenen Selbstzweifeln zeugende Vorsichtsmaßnahme: Spanjers Vortrag geriet nahezu fehlerfrei!
Der Sache nach ging es, wie könnte es anders sein, bei einem Mann, der 18 Jahre seines Lebens vorwiegend mit vorsitzenden und vorstehenden Tätigkeiten in Kampforganisationen der Arbeiterbewegung verbracht hat, um die Bremer Arbeiterkammer. Auch ihrem Vorstand gehört Spanjer seit nunmehr 18 Jahren an, ein Zeitraum, der selbst so kühne Erkenntnisse wie die folgende durchaus mit einer gewissen Sachautorität beschwert: „Arbeitnehmer sind auch in demokratischen Gemeinwesen auf Institutionen, die ihre Rechtstellung in der Gesellschaft stützen, angewiesen...“ Es mag durchaus als Beleg für die Überzeugungskraft des Günter Spanjer gewertet werden: Selbst gewerkschaftskritische Journalisten konnten diesem Satz ihr Einverständnis nicht verwehren.
Nein, Kurzlebigkeiten des Zeitgeistes, Launen der Mode - sie prallen ab an einem Mann wie Günter Spanjer und seinem tiefen Gespür für dauerhaft Wahres. Nicht zufällig genießt der gelernte Hafenarbeiter, der seit einem Dreivierteljahr gelegentlich gern und wahrheitsgemäß den einen oder anderen Hinweis auf „meine Präsidentschaft in der Arbeiterkammer“ in seine Sätze einstreut, auch das ungebrochene Vertrauen seiner Kollegen als Gesamt-Hafen-Betriebsrats-Vorsitzender. Und auch dort beweist Spanjer, der sich heute in seine Grundsatzreden gern auch Elaborierteres hineinschreiben läßt, Gespür für rechte Worte am rechten Platz. Was Spanjer vor Journalisten so abliest: „Wenn in der politischen Diskussion auf einem für die Betroffenen ziemlich abgehobenen Niveau von strukturellem Wandel gesprochen wird..., meint man damit gemeinhin eine technologisch begründete Um- und Neuorganisation der menschlichen Arbeit in Produktions-, Handels- und Dienstleistungsunternehmen, die sich im Maßstab weltweit veränderter privatwirtschaftlicher Wettbewerbsbedingungen vollzieht,“ kann er in seinen Konsequenzen frei-sprechend auch so analysieren: „Jeder Angestellte hält sich heute gleich für was Bessres, bloß weil er beim Chef mal auf'm Schoß gesessen hat.“ - Mit Günter Spanjer an ihrer Spitze ist die Bremer Arbeiterkammer allen aktuellen Herausforderungen analytisch gewachsen, ohne ihre gewerkschaftliche Tradition menschlich verleugnen zu müssen.
K.S.
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