Projekt Schwarz-Gelb: Angela gegen den Rest der Welt
"Sie werden mich so kennenlernen, wie ich bin" – aber wie ist die Kanzlerin eigentlich? Sie wird es mit Guido Westerwelle schwerer haben als mit Frank-Walter Steinmeier.
BERLIN taz | Es war im Schlussspurt des Wahlkampfs, Hansestadt Stralsund, Angela Merkels eigener Wahlkreis. Ein westdeutscher Tourist kam auf die Kanzlerin zu, er wolle doch so gerne eine schwarz-grüne Regierung, was er denn dafür wählen müsse. Merkel biss sich auf die Zunge. "Ich habe tapfer gesagt, was ich in allen Interviews sage", erzählte sie später. Dass mit beiden Stimmen CDU wählen müsse, wer sie als Kanzlerin behalten wolle. Dass ihr Ziel Schwarz-Gelb sei, selbstverständlich.
Nur in Augenblicken wie diesem ließ Angela Merkel kurz aufblitzen, dass sie sich noch etwas anderes hätte vorstellen können. Etwas anderes als Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot, die beiden Alternativen, auf die der Wahlkampf am Ende zuzulaufen schien. Dass es sie durchaus gereizt hätte, zur ersten schwarz-grünen Kanzlerin der Republik zu werden. Nicht zu enden als bloße Wiedergängerin des Parteiheroen Helmut Kohl oder des als Großkoalitionär gescheiterten Kurt-Georg Kiesinger, sondern etwas wirklich Neues zu beginnen. Die große Koalition hinter sich zu lassen und doch die schroffe Lagerbildung zu vermeiden, die mit einer schwarz-gelben Regierung verbunden ist.
Merkels Leute in der CDU rechneten vor, wie das gehen könne. Eine Union, die dank ihres populären Wirtschaftsministers Stimmen von der FDP zurückholt und der Marke von 40 Prozent nahe rückt. Grüne, die einen kraftvollen Wahlkampf für ökologische Modernisierung führen und die geschwächte FDP überholen. Beides hat nicht geklappt. Ausgerechnet die CSU hat so viel an die FDP verloren wie kein anderer Landesverband, die Grünen haben einen schwachen Wahlkampf geführt und sich von der Piratenpartei Stimmen abjagen lassen.
Jetzt regiert Merkel also mit der FDP, in der Regierung, die sie während des Wahlkampfs tapfer als ihr Wunschbündnis bezeichnete. Von einem Projekt ist anders als 2005 keine Rede mehr, eher schon fürchtet Merkel die gelbe Gefahr. Eine rechnerische Mehrheit in Bundestag und Bundesrat, mehr nicht. Eine Mehrheit allerdings, von der sich viele in der FDP und auf dem Wirtschaftsflügel der Union einen Politikwechsel versprechen. Ein Regieren, das jetzt sehr viel leichter wird. Doch in Wahrheit wird es sehr viel schwerer. Vor allem, wenn die CDU künftig noch Wahlen gewinnen und Merkel ihre Popularität bewahren will.
Am Montag tat sie so, als habe sich nichts Besonderes ereignet. Als sei es im Grunde gleichgültig, von welchen Parteien sie zur Kanzlerin gewählt wird.
"Wir müssen den Mann davon abhalten, dass er alles kaputt macht in diesem Land. Das ist unser Auftrag!" (Über Schröder, Leipziger Parteitag, Dezember 2003)
"Dies ist eine Aufgabe, die mindestens die Quadratur des Kreises, wenn nicht die Kugelmachung des Würfels bedeutet." (Merkel über die Koalitionsverhandlungen mit der SPD, Oktober 2005)
"Nach 39 Jahren politischer Gegnerschaft im Bund wollen CDU, CSU und SPD in gemeinsamer Verantwortung das Land voranbringen." (Koalitionsvertrag, 11. November 2005)
"Ich habe die neue Koalition eine ,Koalition der Möglichkeiten' genannt. Ich wünsche mir, dass sie unserem Land und allen Deutschen neue Möglichkeiten eröffnet, und ich wünsche mir, dass wir diese Chancen auch nutzen und wahrnehmen." (Erste Regierungserklärung, 30. November 2005)
"Viele werden sagen: Diese Koalition geht viele kleine Schritte und nicht den einen großen. Und ich erwidere: Ja, genauso machen wir es." (Erste Regierungserklärung, 30. November 2005)
"Natürlich ist Sanierungsfall ein hartes Wort. Aber ich kann mich vor den Realitäten nicht drücken." (Im Bundestag zum Haushaltsdefizit, Juni 2006)
"Der Aufschwung kommt bei den Menschen an." (November 2007)
"Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind. Auch dafür steht die Bundesregierung ein." (5. Oktober 2008)
"Vertrauen ist die Währung, in der gezahlt wird." (Oktober 2008)
"Wenn Horst Seehofer sagt, die CSU habe wieder Biss, da sage ich: Das ist schön. Beißt die Richtigen, und dann wirds gut." (CSU-Parteitag, Juli 2009)
"Mein Verständnis war es und ist es, dass ich die Bundeskanzlerin aller Deutschen sein möchte." (27. September 2009)
Als Merkel nach der Sitzung der Parteigremien im Atrium der Berliner CDU-Zentrale vor die Presse trat, blieb der Anlass der Veranstaltung ein wenig im Diffusen. Dass am Vortag eine Bundestagswahl stattgefunden hatte, dass daraus eine neue Koalition hervorgeht, dass Merkel dieses schwarz-gelbe Regierungsbündnis noch vor vier Jahren mit der Aussicht auf einen ganz großen Politikwechsel verband - auf diese Ideen wäre ein unbeteiligter Beobachter nur wegen der vielen Übertragungswagen gekommen, die draußen vor der Haustür standen. Aus Merkels Worten hätte er es nicht schließen können.
Werden wir mit Schwarz-Gelb eine andere Angela Merkel kennenlernen, Frau Bundeskanzlerin? "Sie werden mich so kennenlernen, wie ich bin."
Aber wie ist Angela Merkel? Als ob das nicht die Frage wäre, die seit der Übernahme des Parteivorsitzes vor neun Jahren alle beschäftigt und die auch an diesem Montag im Berliner Adenauerhaus verhandelt wird.
Natürlich wollen alle wissen, wann denn die sozialen Grausamkeiten kommen, fast schon lustvoll wird danach gefragt. "Ich werde darauf achten, dass die Mehrheitsfähigkeit der CDU nicht gestört wird durch den Koalitionsvertrag", antwortet Merkel darauf nur. Die Termine, an denen diese Mehrheitsfähigkeit getestet wird, stehen ihr lebhaft vor Augen. Nicht nur die nordrhein-westfälische Landtagswahl nächsten Mai ist ihr präsent, sondern auch die baden-württembergische im Frühjahr 2011.
Früher hat Merkel bei solcher Gelegenheit gerne auf die SPD verwiesen, um die Begehrlichkeiten des eigenen Wirtschaftsflügels abzuwehren. Sie brauchte nur 24 Stunden, um die Krise als neuen Bündnispartner zu entdecken. "Solange wir im Tal sind, ist die Frage nach Sparmaßnahmen nicht richtig gestellt", sagt sie. Schon Franklin D. Roosevelt habe den Fehler begangen, die Staatsausgaben nach den Konjunkturprogrammen des New Deal zurückzufahren. Zur Roosevelt-Depression kam es acht Jahre nach dem Börsencrash von 1929. Da hat die Kanzlerin noch ein bisschen Zeit.
Fast schon verzweifelt fragte einer der konservativsten unter den anwesenden Journalisten, ob die Kanzlerin denn mit der SPD rein gar nichts beschlossen habe, was sie mit der FDP genauso wiederholen könnte. "Das wissen Sie doch, dass es das nicht heißt", gibt Merkel ein wenig angefasst zurück. Spontan fällt ihr ein Detail der Erbschaftsteuer ein: Die Sache mit der Lohnsumme, an die eine steuerfreie Weitergabe von Familienbetrieben gekoppelt ist, da müsse man wegen der Krise noch mal ran.
Immerhin, auch eine Wahlanalyse will Merkel diesmal machen, anders als nach dem Debakel von 2005. Nicht das schwache Abschneiden der Union soll dabei allerdings im Zentrum stehen, sondern die Frage, "was der gestrige Tag für das Parteienspektrum bedeutet". Besonders auf Jungwähler und Internetgeneration will sie dabei schauen. Nicht dass noch jemand auf den Gedanken komme, die Partei sei nicht konservativ genug.
Und was wird aus der Gipfelkanzlerin, der Frau, die in Heiligendamm medienwirksam fürs Weltklima focht und in Pittsburgh für die Zähmung der Finanzmärkte? Wird sie den Kapitalismus noch genauso energisch in die Schranken weisen, wenn sie nicht mehr neben dem Sozialdemokraten Peer Steinbrück im Regierungsflieger sitzt, sondern neben ihrem künftigen Vizekanzler Guido Westerwelle? "Bei internationalen Fragestellungen bin ich mit der FDP nicht auseinander", behauptet sie nur knapp.
Es ist ein finnischer Journalist, der dann die wirklich heikle Frage stellt. Was ist mit dem Ausstieg aus dem Atomausstieg, den die Kanzlerin für den Fall eines schwarz-gelben Bündnisses doch angekündigt hat? Von der technischen Beherrschbarkeit der Technik ist die Naturwissenschaftlerin Merkel überzeugt, wahltaktisch wäre es wohl besser gewesen, sie hätte das Thema in Koalitionsverhandlungen mit SPD oder Grünen nur als Verhandlungsmasse benutzt. Jetzt werden längere Laufzeiten wohl kommen. "Ich habe nicht die Absicht, mein Regierungsprogramm zu widerrufen", sagt sie.
Wirklich verarbeitet hat Merkel den Abschied von der großen Koalition offenbar noch nicht. Es gibt eine Frage, die bringt sie wirklich aus dem Konzept. Ob ihr Vizekanzler Frank-Walter Steinmeier denn bis zur Regierungsbildung im Amt bleiben könne, wenn er sich an diesem Dienstag schon zum Chef der SPD-Fraktion wählen lässt? Sie weiß es nicht. "Das war ja die spannendste Frage heute."
Es klingt, als ob sie noch nicht wirklich weiß, wie es jetzt wird ohne die SPD. Wenn sie allein ist mit Guido Westerwelle und den Kritikern in der eigenen Partei, allein gegen den Rest der Welt.
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