: Profitable Klauseln
DOKUMENTATION Wie Berlin den Käufern der Wasserbetriebe einen Gewinn garantiert hat, den selbst das Verfassungsgericht nicht aushebeln konnte
VON SEBASTIAN HEISER
Warum sollte man denn mit Wasser keine Gewinne machen dürfen?
Die Berliner Wasserbetriebe haben ein Monopol sowohl auf die Versorgung der Hauptstadt mit Leitungswasser als auch auf die Reinigung des Abwassers. Haushalte sind gesetzlich gezwungen, sich ans Netz anzuschließen. Die Wasserbetriebe sind, trotz der Beteiligung privater Anteilseigner, formal weiter eine Anstalt öffentlichen Rechts. Für ihre Tarife gelten der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Grundrecht auf Gleichbehandlung aus Artikel 3 des Grundgesetzes. Die Richter des Berliner Verfassungsgerichtshofes leiteten daraus ab, es müsse bei den Tarifen „eine sachgerechte Verknüpfung zwischen den Kosten und der Höhe des zu erhebenden Entgelts“ geben. Zwar gebe dies „dem Gesetzgeber innerhalb gewisser Grenzen einen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum“. Auch Gewinne seien möglich. Man dürfe die Tarife aber nicht „völlig unabhängig von den tatsächlichen Kosten“ ansetzen.
Auf welchem Wege sollten die Wasserbetriebe dennoch Gewinne machen?
Als das Land Berlin nach einem Käufer für die Wasserbetriebe suchte, griff es zu einem Trick, der bei öffentlichen Unternehmen bundesweit üblich ist: In die Tarife sollten auch fiktive Kosten einberechnet werden. Die Wasserbetriebe sollten für das Kapital, das für die Anlagen zur Wasserver- und -entsorgung notwendig ist, fiktive Zinsen berechnen. Diese Zinsen sollten dann den Kunden über die Wassertarife in Rechnung gestellt werden. Da tatsächlich gar keine Zinskosten in dieser Höhe anfallen, sollte dann ein Gewinn übrig bleiben. Und je höher die fiktiven Zinsen, desto höher der Gewinn.
Wie hoch sollten die fiktiven Zinsen ursprünglich sein?
Die Zinsen sollten sich nach der Rendite von Bundesanleihen richten, zusätzlich war noch ein fester Extrazuschlag vorgesehen. In Paragraf 3 Absatz 2 des 1999 beschlossenen Gesetzes zur Teilprivatisierung der Wasserbetriebe hieß es: „Als angemessene Verzinsung des betriebsnotwendigen Kapitals gilt die durchschnittliche Rendite zehnjähriger deutscher Bundesanleihen in einem Zeitraum von 20 Jahren, die der jeweiligen Kalkulationsperiode vorausgehen, zuzüglich 2 Prozentpunkte.“
Warum wurden die Zinsen in dieser Höhe zunächst gekippt?
Der Berliner Verfassungsgerichtshof urteilte im Oktober 1999, dass im Prinzip nichts gegen fiktive Zinsen einzuwenden sei. Die seien ein Ausgleich dafür, dass Kapital in den Wasserbetrieben steckt, das man ansonsten gegen Zinsen anlegen könnte. Es sei auch rechtmäßig, den Zinssatz für Bundesanleihen als Maßstab zu nehmen. Der Zuschlag von zwei Prozentpunkten unabhängig von der tatsächlichen Teilprivatisierung sei aber verfassungswidrig: „Die Einbeziehung des in Rede stehenden Zuschlags in die durch Benutzungsentgelte zu deckenden Kosten einer öffentlichen Einrichtung, die – wie hier – eine lebensnotwendige Staatsaufgabe im Bereich der Daseinsvorsorge erfüllt, muss sich der Höhe nach durch eine Betrachtungsweise rechtfertigen lassen, die die spezifisch erwerbswirtschaftlichen Kalkulationsmaximen der Privatwirtschaft nicht unbesehen übernimmt, sondern dem öffentlichen Auftrag der Gemeinwirtschaft Rechnung trägt.“ Das Gericht erklärte den Zweiprozentzuschlag daher für verfassungswidrig.
Und wie wurden die Gewinne trotzdem garantiert?
In den Geheimverträgen ist festgelegt: Wenn der Paragraf des Gesetzes, in dem die Höhe der fiktiven Zinsen vorgegeben wird, für verfassungswidrig erklärt wird, muss das Land für die Folgen aufkommen: Es muss den privaten Anteilseignern der Wasserbetriebe (die sich in der BB-AG zusammengeschlossen hatten) die entgangenen Gewinne ersetzen. In Paragraf 23 Absatz 7 des bislang geheimen Konsortialvertrages heißt es: „Wird § 3 des Teilprivatisierungsgesetzes ganz oder teilweise für nichtig oder aufgrund einer Entscheidung eines Verfassungsgerichts mit höherrangigem Recht für unvereinbar erklärt und führt die Nichtigerklärung zu wirtschaftlichen Nachteilen der Berliner Wasserbetriebe, so ist das Land Berlin verpflichtet, unverzüglich gemeinsam mit den Berliner Wasserbetrieben, der Holding und der BB-AG zu prüfen, welche rechtlichen und/oder tatsächlichen Maßnahmen geeignet sind, die Nachteile der Berliner Wasserbetriebe in vollem Umfang auszugleichen. Der Senat von Berlin wird insbesondere prüfen, ob die Nachteile durch eine Novellierung des Teilprivatisierungsgesetzes ausgeglichen werden können. […] Soweit die Nachteile der Berliner Wasserbetriebe durch die in Satz 2 oder Satz 3 genannten Maßnahmen nicht ausgeglichen werden […], verpflichtet sich das Land Berlin, der BB-AG die geringeren Gewinne oder höheren Verluste der BB-AG aus dem Vertrag über die Gründung einer stillen Gesellschaft, die auf der Nichtigerklärung beruhen, in vollem Umfang auszugleichen. […] Der Ausgleich nach Satz 4 und Satz 5 erfolgt durch eine teilweise oder vollständige Abtretung des Gewinnanspruchs des Landes Berlin gegen die Berliner Wasserbetriebe für das jeweilige Geschäftsjahr.“
Wie wirkte sich die Gewinngarantie aus?
Um die privaten Anteilseigner schadlos zu stellen, musste das Land auf einen Teil der ihm zustehenden Gewinne verzichten. Obwohl die Konzerne fast gleich viele Anteile an den Wasserbetrieben halten wie das Land Berlin, erhielten sie einen deutlich höheren Anteil an den Gewinnen (siehe Grafik). Die stiegen zudem deutlich an, nachdem die Wasserbetriebe sich von verlustbringenden Tochterunternehmen trennten und hauptsächlich auf ihr Monopolgeschäft konzentrierten. Die tatsächliche Eigenkapitalrendite der Konzerne aus dem Geschäft lag in den vergangenen sechs Jahren bei durchschnittlich 10,5 Prozent.
Wie wird inzwischen der Zinssatz offiziell berechnet?
Das Gesetz gibt inzwischen keine verbindliche Berechnung mehr vor. In Paragraf 16 Absatz 5 des Berliner Betriebegesetzes heißt es: „Das betriebsnotwendige Kapital ist jährlich jeweils durch einen von dem Senat durch Rechtsverordnung nach Absatz 8 festzulegenden Zinssatz angemessen kalkulatorisch zu verzinsen.“
Wie wird der Zinssatz denn tatsächlich berechnet?
Das ist in einer geheimen Änderungsvereinbarung zu den Wasserverträgen geregelt, die das Land Berlin im Jahr 2004 mit den Konzernen vereinbart hat (siehe Ausriss). Seit dem Jahr 2008 legt der rot-rote Senat den Zinssatz demzufolge in Höhe des „Referenzzinssatzes“ fest. Dies ist die Bezeichnung für die ursprüngliche Formel inklusive des Zweiprozentzuschlags, der vom Verfassungsgericht gekippt wurde. Die Formel gilt also weiter – sie wurde lediglich aus dem öffentlichen Gesetz in die Geheimverträge verschoben. Die Wasserbetriebe können also wieder die fiktiven Zinsen in voller Höhe auf die Tarife umlegen. Dadurch stiegen die Verbraucherpreise in den vergangenen Jahren weiter – und inzwischen macht auch das Land Berlin fast so viel Gewinn mit den Wasserkunden wie die Konzerne.
■ Mehr Daten und Fakten: www.taz.de/wasservertrag