Professor über das Leitbild Beteiligungsuni: "Nicht auf Ex und hopp setzen"
Erst hat Dieter Lenzen die Freie Universität Berlin aufgemöbelt, jetzt ist die gebeutelte Hamburger Hochschule dran. Ein Partzipationszentrum soll die gelähmten Mitarbeiter motivieren.
taz: Herr Lenzen, wir wollten mal über Demokratie an der Hochschule mit Ihnen sprechen.
Dieter Lenzen: Nur zu. Aber Sie müssten schon auch sagen, was Sie damit meinen.
Das wollen wir eigentlich von Ihnen wissen: Nach den starken Auseinandersetzungen um die Bologna-Reformen und die Exzellenzinitiative - ist die Zeit reif für neue Beteiligungsformen an der Uni?
Ich bin auf jeden Fall dafür, dass wir an der Hochschule Partizipationsformen etablieren, die es schaffen, die Motivation der Menschen, die in ihr arbeiten, wiederherzustellen.
Als Sie im März in Hamburg Ihren Job antraten, war Ihre Vorgängerin Monika Auweter-Kurtz gerade wegen ihrer autoritären Art vom Hofe gejagt worden …
Und deshalb wollen wir bei uns in Hamburg eine neue Balance finden, so dass überhaupt wieder eine Beteiligungsmotivation entsteht. Das gilt aber nicht nur für Hamburg. Das ist ein Problem, mit dem sich viele Hochschulen beschäftigen müssen.
Was ist für Sie denn der Unterschied zwischen "Partizipationsformen" und den Mitbestimmungsrechten einer alten Gremienuniversität?
Wollen Sie das genau wissen?
bringt das Kunststück fertig, mit 28 Jahren der jüngste deutsche Professor gewesen zu sein - und doch erst jetzt, mit der Reife eines 63-Jährigen, für Furore zu sorgen. Der Pädagoge und Philosoph hat den Loser-Kandidaten FU Berlin zu einer der besten deutschen Unis gepusht. Bei der Kür der Eliteunis landete die FU unter den Siegern. Das hatte ihr niemand zugetraut - außer dem Sohn eines Offiziers.
Lenzen erwarb sich in dieser Zeit bei den Studenten den Ruf, kein Demokrat zu sein. Sie widmeten ihm eine gefakte Homepage - um ihn als Elitisten zu entlarven. Aber Lenzen ist viel variabler, als die Studis denken. Er leitet seit vielen Jahren den Thinktank Aktionsrat Bildung, wo zu seinen Hauptforderungen zählt, mehr Arbeiterkinder zum Abi zu bringen. Lenzen hat nun die Uni Hamburg übernommen - und präsentiert ein völlig neues Leitbild: die Beteiligungsuni.
Aber sicher doch.
Es gibt in der Literatur drei Typen von Partizipation: informationelle, konsultative und dezisive Partizipation. Bei der informationellen werden die Leute nur über Entscheidungen benachrichtigt. Die dezisive ist, wenn sie schlecht gemacht ist, die Kultur der 70er Jahre: Wir bereden die Probleme, aber die Dinge laufen nicht weiter. Diese Formen unterliegen inzwischen den gleichen Legitimationsproblemen wie autoritäre Leitungen. Denn auch die Vertreter von Gremien können nicht mehr ohne weiteres beanspruchen, für alle zu sprechen. Selbst dann nicht, wenn sie in der Sache recht haben. Die Menschen von der Basis glauben ihnen nicht mehr.
Was schlagen Sie vor?
Wir brauchen eine konsultative Partizipation. Sie umschließt einen Zwang zur Einigung. Und das geht nur diskursiv. Es ist richtig, dass das sehr zeitaufwendig ist. Man muss halt üben, Diskurse zu führen, die zielorientiert sind, und Entscheidungen vorbereiten, die dann auch tragfähig sind.
Heißt "konsultative Partizipation" nicht übersetzt: Ihr dürft ruhig alles sagen, aber nichts bestimmen?
Das darf es nicht heißen. Nehmen Sie die derzeitigen Proteste in Stuttgart. Da zeigt sich doch, dass es in einem Gemeinwesen eben nicht genügt, wenn man alle Prozesse legal abwickelt, so wie es im Gesetz steht. Alle Entscheidungen waren legal, dennoch war die Entscheidung nicht vermittelbar, dort 4 Milliarden Euro auszugeben. Nur weil etwas legal ist, heißt es nicht, dass die Menschen auch Lust darauf haben. An Stuttgart sieht man: Wir müssen uns etwas ganz Neues einfallen lassen. Und das gilt im selben Maße für Universitäten. Wir müssen neue Formen finden, die ein höheres Maß an Partizipation zulassen, ohne nur zurückzufallen in Muster aus den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts.
An Ihrer letzten Station in Berlin vertrieben Studierende Sie als Redner mit ironischen Jubelrufen und übertriebenem Klatschen aus einer Immatrikulationsfeier. Da war von Partizipation bei Ihnen nicht viel zu spüren. Im Gegenteil: Sie wirkten konsequent autoritär.
Bitte keine Legenden. Die von Ihnen angesprochene Veranstaltung ist wie geplant mit einer Rede des damaligen Bischofs verlaufen, den ich selbstverständlich nach seiner Rede nach draußen begleitet habe.
Aber zur Sache: Jetzt ist eine Zeit angebrochen, in der wir an den Hochschulen wieder langsamer und noch deutlicher arbeiten müssen. Das entspricht dem Gefühl vieler Lehrender. Es gibt ein Burn-out-Syndrom bei vielen Beschäftigten. Das hat auch etwas mit dem Irrsinnsdruck aus dem Bologna-Prozess zu tun. Und es hat etwas damit zu tun, dass Universitäten ständig in Wettbewerben an ihr Geld kommen müssen. Diesen Druck gab es in Berlin - und ein enormes Bündel von zukünftigen Problemen. Die Freie Universität stand unter einem realen Existenzdruck. Dem Eindruck, wir seien nicht gut genug, wir seien selbstreferenziell und nicht effizient, mussten wir etwas entgegensetzen.
Und Sie setzten eine Diktatur entgegen.
Das ist eine bedauerliche Attribuierung. Es ist heute auch nicht mehr wichtig, was da an Bewertungen von außen kam. Richtig ist, dass wir unter enormem Handlungsdruck standen und schnell handeln mussten. Die Universität Hamburg ist dagegen aus der Mitte der Gesellschaft heraus entstanden, vor bald hundert Jahren. Diese Universität braucht etwas ganz anderes als die FU Berlin. Hier habe ich eher die Rolle eines Moderators, Mentors, Mediators, oder etwas von dieser Art.
Sie werden ja wohl nicht nur moderieren. Was braucht denn die Universität Hamburg konkret?
Als ich meine Arbeit hier begann, machte diese Uni über Strecken den Eindruck dessen, was man als eine traumatisierte Institution bezeichnen könnte. Hier war es per Gesetz ausgeschlossen, dass sich unterhalb der sehr stark gemachten Fakultäten überhaupt Willensbildungsstrukturen entwickeln konnten. Manche Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen fühlten sich vielleicht wie Fachguerillas, die sich illegal zusammengetan haben. Sie durften sich zwar austauschen, das blieb aber aus ihrer Sicht oft folgenlos. Diese Kultur ändert sich.
Woran machen Sie das fest?
Sehen Sie: Inzwischen gibt selbst das Bundesverfassungsgericht meiner Einschätzung recht, die ich bereits bei meinem Amtsantritt geäußert habe: Das derzeitige Hamburger Hochschulgesetz hat die Beteiligung der Wissenschaftler hier so sehr eingeschränkt, dass nicht nur ihre Rechte, sondern auch ihre Leistungsmotivation stark beeinträchtigt wurden. Der Versuch, in Hamburg Konzepte US-amerikanischer privater Schools auf eine deutsche staatliche Universität zu übertragen, war von Anfang an belastet. Er lässt unberücksichtigt, dass deutsche Hochschulen im Gegensatz zu privaten Unis in den USA keine Firmen sind, die ihr Budget selbst erwirtschaften müssen. Wir brauchen hierzulande aber keine strenge Vorstandslösung, sondern Kollegialorganisationen, die selbstverwaltet nur ein Ziel verfolgen: die Durchführung von Forschung und Lehre unter Bedingungen weitestgehender Wissenschaftsfreiheit.
Wie können Sie selbst dazu beitragen?
Ich habe mich gefragt, wie man eine Einrichtung schafft, die sich wirklich auch wissenschaftlich mit der Frage beschäftigt, wie geeignete Partizipationsformen in öffentlichen Einrichtungen aussehen können. Fangen wir dabei doch mal mit uns selbst an.
Moment mal: Sie wollen an einer vor lauter Entmündigung traumatisierten Uni ein Partizipationszentrum gründen? Hamburg als Leuchtprojekt eines Feldversuches der Partizipation?
Das Wort Feldversuch ist nicht schlecht. Eine zeitgemäße Form zu suchen, die die Menschen mitnimmt und trotzdem veranlasst, Wissenschaft auf dem ihnen verfügbaren höchsten Niveau zu machen, das widerspricht sich nicht.
Sind Sie mit dieser Idee auch bei der Exzellenzinitiative angetreten?
Ja. Wir bieten eine "Universität der Nachhaltigkeit" an, die in vier Dimensionen gedacht ist: Erstens müssen unsere Gegenstände nachhaltig gewählt sein und zweitens die Art und Weise, wie wir Wissenschaft betreiben. Drittens müssen wir in der Lehre nicht auf Ex und hopp setzen, sondern langfristiger, nachhaltiger lehren und lernen. Und viertens müssen wir die Steuerung von Hochschulen erneuern, hin zu einer stärkeren Einbeziehung der Hochschulmitglieder. Mit diesem Vierklang versuchen wir, in Hamburg ein Muster für neue Partizipationsformen zu etablieren.
Werden Sie dafür Geld bekommen?
Wir sagen zumindest: Wenn wir es nicht bekommen, dann möge man sich dazu bekennen, dass die innere Struktur der Hochschulen egal sei. Dabei funktioniert eine nachhaltige Wissenschaft auch in der Spitzenforschung, dem eigentlichen Ziel des Wettbewerbs, nur, wenn auch ihre Entscheidungsstrukturen nachhaltig sind.
Sie machen nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Art und Weise, wie eine Universität ihre Entscheidungen trifft, zum Gegenstand der Exzellenz-Bewerbung.
Ja. Und damit haben wir auch etwas zu bieten. Wir interessieren uns zum Beispiel sehr dafür, neue Verbindungen zwischen Professoren- und Doktorandenteams zu etablieren, in denen gemeinsam entschieden wird, was und wie geforscht wird. Und wir beschäftigen uns mit Methoden des "Real-Time Change Managements", die uns ermöglichen könnten, in Echtzeit bis zu 45.000 Menschen an unserer Uni in Veränderungsprozesse einzubeziehen. Da kann wirklich jeder gefragt werden, nicht nur Delegierte. Doch dazu braucht es Geld. Und das erhoffen wir uns aus der dritten Runde des sogenannten Exzellenzwettbewerbs.
Wo stehen in dieser Vision denn die Studierenden?
Sie sind ebenso Mitglieder der Universität wie die Beschäftigten, mit vielen Ideen, mit Kritik und mit ihren Zukunftsprojektionen. Es geht letztlich um ihre Zukunft. Und diese beginnt ja bekanntlich immer sofort.
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