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■ Pro und contra gesellschaftliche FreiräumeFreiräume schaffen

Wieviel Demokratie darf sich eine „multikulturelle“ Gesellschaft wirklich in bezug auf ihre ethnischen oder religiösen Minderheiten leisten? Auf Deutschland bezogen, ließe sich diese Frage sicherlich leicht beantworten, läßt doch die herrschende politische Klasse keine Gelegenheit aus, um zu erklären, dieses Land sei kein Einwanderungsland. Folglich sei dies auch keine Gesellschaft, die sich aus Menschen verschiedenster kultureller und religiöser Herkunft zusammensetzt, sondern ein deutsches Gemeinwesen mit ausländischen Gästen. Spätestens dann, wenn Mädchen und Frauen mit schwarzem Chador durch die Straßen laufen, spätestens dann wenn sich der deutsche Otto Normalbürger ärgert, daß die Spanier ihr Weihnachtsfest mal wieder jubelnd anstatt besinnlich feiern... Spätestens dann wissen wir, wie konfliktträchtig diese bestehende Multikultur ist.

Wo sind eigentlich die Grenzen zu ziehen, wenn religiöse und kulturelle Minderheiten in diesem Land Freiräume einklagen, um die ihrer Religion oder Kultur eigenen Formen und Riten auszuleben? Wobei sich überhaupt die Frage stellt, sind das tatsächlich „typische“ Ausdrucksformen einer bestimmten Religion? Wird da nicht etwas religiös begründet, was sich bei näherer Betrachtung soziologisch erklären läßt? Was unterscheidet einen spanischen Vater in Düsseldorf, der seine Tochter zwingt, abends um 19 Uhr zu Hause zu sein, von türkischen Eltern, die dasselbe tun? Wahrscheinlich werden dem einen irgendwelche tradierte Erziehungsformen untergeschoben, dem anderen religiöses Bekenntnis. In beiden Fällen besteht ein Konflikt zwischen hiesigen Lebensformen und elterlichen Erziehungsvorstellungen. In beiden Fällen muß die Antwort dieselbe sein: Auseinandersetzung und Debatte über die eigenen Lebensformen in einer Gesellschaft, in der man als Minderheit lebt.

Ein Gemeinwesen, das sich de facto „multikulturell“ gibt, muß jedoch jene Freiräume schaffen, in denen sich seine Minderheiten frei bewegen und frei äußern können. Gleichzeitig muß es auch Ebenen der Konfliktaustragung schaffen, um sich mit den Lebensformen „seiner“ Minderheiten auseinandersetzen zu können. Wenn die Kommunalverwaltung einer Stadt Extrabadezeiten für muslimische Frauen schafft, wenn sie Synagogen oder Moscheen bauen läßt, dann ist das nicht gleichzusetzen mit der Kapitulation der liberalen Gesellschaft von religiösem oder kulturellem Fanatismus. Problematisch wäre es erst dann, wenn die Verhaltensmuster bestimmter Minderheiten der Mehrheit aufgezwungen werden sollten: wenn die allgemein akzeptierten Werte bürgerlicher Freiheiten in Frage gestellt, gar bedroht würden. Doch eine Moschee, eine Synagoge mehr, ein Metzger mit koscherem Fleisch, wen bedroht das? Pablo Diaz

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