Pro und Kontra Grundeinkommen: Geld für jeden ohne Vorbedingung?

Ein Grundeinkommen garantiert, dass jeder ohne Existenzängste leben kann, sagen die Befürworter. Ein Gegenargument ist, dass damit die soziale Ghettoisierung zementiert wird.

Menschen wollen mehr tun als ständig "in der Hängematte" zu liegen. Bild: ap

Pro

Ich halte es mit dem Humanisten Erich Fromm: "Dieses Recht auf Leben, Nahrung und Unterkunft, Bildung usw. ist ein dem Menschen angeborenes Recht, das unter keinen Umständen eingeschränkt werden darf, nicht einmal im Hinblick darauf, ob der Betreffende für die Gesellschaft ,von Nutzen ist'."

Aus diesem Grund setze ich mich für die emanzipatorische Forderung nach einem bedingungslosen Grundeinkommen ein. Häufig wird dagegen eingewandt, Leistung müsse sich doch lohnen! Doch was verstehen wir unter Leistung? Landläufig wird Erwerbsarbeit mit Leistung gleichgesetzt, denn nur die Nichterfüllung dieser Arbeitsform wird vom Staat sanktioniert.

Hinter diese Gleichsetzung gehört aber ein doppeltes Fragezeichen. Zum einen weil es auch Formen von Erwerbsarbeit gibt, die zwar Profit bringen und das Bruttoinlandsprodukt steigen lassen, aber der Menschheit eher schaden. Oder will jemand ernsthaft behaupten, die Produktion von Atombomben stelle eine Leistung an der Gesellschaft dar? Zum anderen, weil es neben der Erwerbsarbeit andere gleichberechtigte Arbeitsbereiche gibt - dazu gehören die Haus- und Familienarbeit, das politische Engagement und die Arbeit an sich selbst, vorstellbar als Muße. Und deren Umfang ist größer, als oft vermutet wird.

Eine Umfrage des Statistischen Bundesamtes zeigt: In diesem Land werden fast doppelt so viele Stunden in unbezahlter Arbeit geleistet wie in bezahlter Arbeit. Unsere Gesellschaft wird also bereits heute zu einem Großteil innerlich durch Tätigkeiten zusammengehalten, die jenseits der Erwerbsarbeit liegen.

Wer nun meint, man könne ja die Erfüllung dieser Tätigkeiten als Bedingung anlegen, der muss sich der Frage stellen, welche Instanz das Recht haben soll zu entscheiden, welche Tätigkeit eine Leistung ist? In einer demokratischen Gesellschaft kann es darauf nicht die eine, abschließende Antwort, sondern nur viele Antworten geben. Jeder muss für sich selbst entscheiden können, mit welchem Beitrag er oder sie sich einbringen will. Dies setzt voraus, dass jeder Mensch frei von Existenzangst leben kann.

Katja Kipping ist stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei.

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Kontra

Die Idee, vom Staat ohne jede Prüfung, Gegenleistung und Zwang Geld zu bekommen, ist faszinierend. Sie scheint eine Antwort darauf zu geben, dass nicht genug Arbeit für alle da ist. Die Rationalisierungsschübe der kapitalistischen Ökonomie vernichten stetig Jobs. Die politische Klasse schürt, von links bis rechts, hilflos die Illusion, dass es bald wieder Arbeit für alle geben könnte. Doch dafür spricht nichts.

Warum also kein bedingungsloses Grundeinkommen einführen, um so die Einzelnen vor dem Zugriff der staatlichen Bürokratie zu schützen? Weil diese Idee ein paar absehbare hässliche Nebenwirkungen hat. Wenn man das Tauschprinzip von Geben und Nehmen vollständig aushebelt, fördert man die populistische Gefahr. Gerade dann kann es Westerwelles geben, die ärmere Arbeitende gegen jene aufwiegeln, die uns vermeintlich faul auf der Tasche liegen. Diese Möglichkeit sollte man gerade für Krisenzeiten nicht unterschätzen.

Man könnte diese Gefahr getrost in Kauf nehmen und auf die segensreiche Kraft der Aufklärung setzen, wäre die entscheidende Frage klar: Ist ein bedingungsloses Einkommen für alle Empfänger wirklich das reine Glück? Das ist zweifelhaft. Schon heute gibt es große Gruppen von jugendlichen Verlierern im Bildungssystem, die sich nichts außer einem Leben am Rand vorstellen können. Deshalb ist es nötig – auch mit Druck –, dafür zu sorgen, dass das Grundeinkommen an Bedingungen, nämlich (Aus-)Bildungsanstrengungen, gekoppelt wird.

Kann sein, dass dieses Konzept irgendwie uncool wirkt, weil so das individuelle Selbstbestimmungsrecht beschnitten wird. Kann auch sein, dass darin ein gewisser bildungsbürgerlicher Paternalismus durchscheint: definieren zu dürfen, was das gute Leben ist, und dass Alkohol und Glotze dafür nicht reichen. Aber diese Skrupel wiegen leicht, wenn es zu verhindern gilt, dass sich eine sozial komplett abgemeldete Unterschicht verfestigt. Das bedingungslose Grundeinkommen mag für manche der Traum vom freien Leben ohne staatliche Bevormundung sein. Für andere kann es die soziale Ghettoisierung zementieren.

Stefan Reinecke ist Autor der taz.

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