Pro und Contra: Rente - interessiert mich das?
Sorgen nur die Dummen nicht für die Rente vor? Oder wird einem nur permanent die Angst eingeimpft, im Alter arm und mittellos dazustehen?
P RO
Schön blöd, wer sich nicht für seine Finanzen im Alter interessiert. Denn diese Ignoranz wird für die meisten richtig teuer. Nirgendwo versenken die Deutschen so viel Geld wie bei der privaten Altersvorsorge. Wenn ein Schrank oder ein Auto angeschafft werden soll, dann wird monatelang gegrübelt und der Katalog studiert. Aber sobald es um ihre finanzielle Zukunft geht, werden die Deutschen leichtsinnig. Da schmeißen sie Milliarden weg - und schließen eine Kapitallebensversicherung ab.
Wer diese Dummheit in Zahlen nachvollziehen will, muss nur Seite 444 des aktuellen Statistischen Jahrbuchs aufschlagen. Da stehts: 2006 haben die Bundesbürger rund 74 Milliarden Euro an die Finanzkonzerne überwiesen, um ihre Lebensversicherungen zu bedienen. Dahinter verbirgt sich ein gigantisches Verlustgeschäft, denn mehr als die Hälfte aller Versicherten kündigt ihre Verträge vorzeitig. Außer Spesen ist dann nichts gewesen. Jedes normale Sparbuch hätte mehr Rendite gebracht.
Für die Finanzkonzerne ist diese kollektive Ignoranz außerordentlich profitabel, wie das Condultingunternehmen CapQM ermittelt hat. Rund 24 Milliarden Euro dürften die Deutschen in diesem Jahr an Gebühren ausgeben, um Kapitalanlagen zu kaufen, zu verkaufen oder verwalten zu lassen. Besonders teuer sind dabei die Kapitallebensversicherungen, die Milliarden an Provisionen verschlingen. Von diesem Wahnsinn ist übrigens fast jeder Haushalt befallen: Auf 82 Millionen Bundesbürger kommen etwa 97 Millionen "Versorgungsverträge fürs Alter".
Manche sind immerhin so schlau - und dazu gehört offenbar auch mein Contra Georg Baltissen -, auf eine Kapitallebensversicherung zu verzichten. Daraus folgt jedoch nicht, dass man auch die staatliche Rente verdammen sollte. Sie ist nämlich lukrativ. Heute 57-Jährige wie Georg können dort mit einer Rendite von rund 3 Prozent rechnen. Selbst für deutlich Jüngere lohnt es sich: 2040 dürfte die Rendite der staatlichen Rente immer noch bei 2,8 Prozent liegen - für Männer. Bei Frauen werden es sogar 3,3 Prozent sein, weil sie länger leben. Eine bessere Anlage gibt es nicht.
ULRIKE HERRMANN ist Wirtschaftskorrespondentin der taz
***************
CONTRA
Diese Rentendebatte ist Terror hoch drei. Permanent wird einem Angst eingeimpft, im Alter arm und mittellos dazustehen. Wenn ich den Bedarf hochrechne, den Banken und Versicherungen angeben, um meinen Lebensstandard im Alter zu halten, dann liegt der glattweg höher als mein derzeitiges Einkommen. Das ist reinster Psychoterror.
Die Botschaft ist klar: Sie müssen was machen. Prompt setzt dieser Vorsorgeterror ein, der einem einredet, nur gut abgesichert käme man im Alter durchs Leben. Dann wird alles aufgefahren, vom Riestern übers Sparen bis zur Börsenspekulation.
Als Drittes stellt sich zwangsläufig bei einem selbst dieser Schlechte-Gewissen-Terror ein, dass man nicht genug mache und im Alter dem Staat auf der Tasche liege. Nur deshalb verschickt ja diese Bundesanstalt für irgendwas ihre furchtbaren potenziellen Rentenbescheide, die mir in meinem Falle völlig ungefragt mitteilen, dass ich mit 400 Euro Rente rechnen dürfe, wenn ich bis 65,5 weiterarbeite und einzahle wie bisher.
Ich weiß längst, dass es nicht reicht. Und die Kohle anderswo herkommen muss. Also basta! Schluss jetzt! Das interessiert mich nicht mehr. Ich will mein Leben nicht daran ausrichten, wie viel Rente ich am Ende kriege und was ich mir damit leisten kann oder nicht.
Deswegen habe ich meinen Riester-Vertrag wieder gekündigt, mich von der Börse zurückgezogen, und statt bei den Minizinsen zu sparen, habe ich mir einen VW Käfer Cabrio gekauft, mit dem ich wesentlich angenehmer durchs Leben fahre. Und das nicht nur im Sommer.
Gewiss, solange ich kann, werde ich arbeiten (wollen und müssen). Eine Erbschaft steht leider nicht ins Haus. Bei meiner Frau sieht es nicht anders aus.
Für mich gilt das Motto: Lebe so, als ob morgen dein letzter Tag wäre. Dann kannst du diesen Rententerror schlicht ignorieren. Ich habs probiert. Es geht. Und wenn am Ende alles verjubelt ist, dann gibt es eben die Sozialrente.
GEORG BALTISSEN ist Redakteur im Auslandsressort der taz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge