Pro Reli I: Religionsunterricht ist Glaubenssache

Seit Montag läuft das Volksbegehren "Pro Reli". Die Initiatoren der Kampagne zur Einführung von Religion als Wahlpflichtfach sind engagierte Christen - und Christdemokraten.

Müssen sich alle Schüler ab der ersten Klasse in Zukunft zwischen Ethik und Religion entscheiden? Das will die Initiative "Pro Reli". Bild: AP

Auf dem Hof hinter der Parochialkirche rüsten sich die Kirchenvertreter zum basisdemokratischen Angriff. Es ist schon dunkel. Rund 25 Christen aus Mitte und Pankow stehen vor einem Lieferwagen Schlange. Einer nach dem anderen nehmen sie die Kartons entgegen. Jeweils 750 Unterschriftenbögen befinden sich darin. "Jeder erst mal nur einen Karton", dirigiert der junge Mann, der die Bögen herausreicht. Christoph Lehmann, der Chef von "Pro Reli", hält sich etwas abseits und scherzt: "Das ist ja wie bei der Armenspeisung."

Seit dieser Woche läuft das Volksbegehren für Religion als Wahlpflichtfach an den Schulen. Vier Monate haben die Initiatoren von "Pro Reli" Zeit, um 170.000 Unterschriften zu sammeln. Auf den Straßen und in den Kirchengemeinden wollen sie für ihr Anliegen werben. Bekommen sie genug Unterstützer zusammen, findet nach der Abstimmung über die Schließung von Tempelhof im nächsten Jahr der zweite landesweite Volksentscheid statt.

Lehmann und seine Mitstreiter touren nun jeden Abend durch die Gemeinden, um die ehrenamtlichen Helfer über die Ziele der Kampagne zu informieren. So auch am Mittwochabend in der St.-Petri- und St.-Marien-Gemeinde in Mitte. Nachdem die Unterschriftenlisten verteilt sind, versammeln sich alle im Gemeindehaus. Neben einem hölzernen Altar haben die "Pro Reli"-Initiatoren schon ihren Laptop aufgebaut.

Was sind das für Leute, die hinter dem Volksbegehren stehen? Lehmann trägt einen dunklen Anzug mit Schlips, er ist groß und schlank. Höflich begrüßt er die Kirchenvertreter. Man merkt, es bereitet ihm keine Mühe, vor Gruppen zu sprechen: Der 47-Jährige arbeitet als Rechtsanwalt, er hat eine Kanzlei in bester Kudamm-Lage.

Religion ist in Berlin - anders als in den meisten Bundesländern - seit der Nachkriegszeit freiwilliges Zusatzfach. Der Senat hat 2006 einen verpflichtenden Ethikunterricht für die Klassen sieben bis zehn eingeführt. Die Initiatoren von "Pro Reli" wollen erreichen, dass die Schüler zwischen Ethik und Religion wählen können. Beide Fächer sollen gleichberechtigt nebeneinander stehen - und zwar vom ersten Schuljahr an.

Man könnte meinen, ein so religiöses Begehren habe in einer weltoffenen, zu großen Teilen atheistisch geprägten Stadt wie Berlin keine Chance. Aber die Initiatoren von "Pro Reli" machen es ihren Gegnern nicht leicht. Lehmann nimmt deren Argumente und dreht sie um: "Berlin ist eine tolerante Stadt. Jeder sollte hier nach seiner Facon selig werden." Genau deshalb müssten die Schüler zwischen Ethik und Religion wählen können. "Wer kulturelle Vielfalt ernst nimmt, der sollte den einzelnen Gruppen auch die Möglichkeit geben, sich in ihrer Religion zu bilden", wirbt er.

Zwar kann auch zurzeit schon jeder den freiwilligen Religionsunterricht besuchen. Doch Lehmann bemängelt, dass die Belastung der Schüler schon jetzt so groß sei, dass viele sich vom zusätzlichen Religionsunterricht abmeldeten.

Das Volksbegehren organisiert Lehmann neben seinem Job als Anwalt. Er arbeite oft 10 bis 12 Stunden am Tag, erzählt er. Seine Frau, eine promovierte Pharmazeutin, kümmert sich zu Hause um die vier Kinder. Warum sich Lehmann die Arbeit antut? "Ich habe gesehen, ich kann da etwas bewegen, also mache ich es." Er wolle nicht einfach so dahinleben, sagt er, das entspreche nicht seinem Glauben als überzeugter Katholik. "Ich habe mein Leben schließlich vor Gott zu verantworten und werde irgendwann Rechenschaft ablegen müssen."

Lehmann stemmt das Begehren nicht allein. Er ist Mitglied der CDU und hat für die Initiative auch Parteifreunde um sich geschart. Die Geschäftsführung des Vereins übernahm Martin Schröder, ein energischer 31-Jähriger, er kennt Lehmann von den Christdemokraten in Charlottenburg-Wilmersdorf. Für "Pro Reli" hat er seine Doktorarbeit in Politikwissenschaften auf Eis gelegt und kümmert sich jetzt hauptberuflich um das Volksbegehren.

Ganz Profi ist dagegen der Dritte im Bunde. Der Kampagnen-Manager, Matthias Wambach, war früher Landesgeschäftsführer und Sprecher der Berliner CDU. Auch Erfahrung mit Basisdemokratie bringt der PR-Mann mit: Er leitete bereits die Kampagne zum Volksentscheid für den Erhalt des Flughafens Tempelhof.

Ist "Pro Reli" also eine Art außerparlamentarische Opposition, eine Vorfeldorganisation der CDU?

"Politisch bewegt mein Mann mit dem Volksbegehren viel mehr als früher", sagt Petra Lehmann, die Frau des Vereinschefs. Sie sei froh, dass er nicht mehr in der Partei aktiv mitmache. "Da gab es so viele Personalquerelen." Wambach sagt, es gehe ihm natürlich um die Sache. Er sei wie Lehmann ein "christlicher Überzeugungstäter".

Lehmann selbst will nicht, dass die Initiative in die Nähe der CDU gerückt wird. Er weiß: Das kann Stimmen kosten. Denn wenn er und seine Mitstreiter erfolgreich sein wollen, brauchen sie Unterstützer in anderen politischen Lagern. Da könnte ein zu starker Bezug zur CDU abschrecken.

Schon in den Gemeinden treffen die "Pro Reli"-Organisatoren auf andere Milieus: Wambach und Lehmann sind die Einzigen, die im Anzug zum Treffen in der Gemeinde am Mittwochabend kommen. Junge Männer mit Dreitagebart und Pferdeschwanz sitzen in den Stuhlreihen. Frauen tragen bunte Tücher um den Hals.

Lehmann verabschiedet sich an diesem Abend bald, er muss noch zu einer anderen "Pro Reli"-Veranstaltung. Wambach, ein freundlicher kleiner Mann mit Bauch, stellt sich vor den Altar und präsentiert die Kampagne: Logo, Spruchbanner, Kugelschreiber. Viele im Raum nicken zustimmend. Es gibt sogar Aufkleber für Bananen. "Glaube ist nicht Banane" steht darauf. Einige schmunzeln.

Eine junge Frau will wissen, warum der Slogan "Freie Wahl zwischen Ethik und Religion" lautet. Es behagt ihr nicht, dass diese beiden Dinge als Gegensätze erscheinen. "Eigentlich geht es doch nur um den Unterricht, aber das wird im Logo nicht deutlich."

Wambach erklärt: Man habe geprüft, welche Argumente am ehesten mehrheitsfähig seien. "Kommt es zum Volksentscheid, brauchen wir auch die Stimmen von den Leuten, die nichts mit Religion am Hut haben." Das Thema Wahlfreiheit würde auch diese Menschen ansprechen, deshalb setze die Kampagne darauf.

Die meisten sind mit der Stoßrichtung des Begehrens offenbar einverstanden. Was die Kirchenmitglieder mit den Pro-Reli-Leuten verbindet, ist der Wunsch, den Glauben jungen Menschen näherzubringen.

Sie könnten dem rot-roten Senat in der Schulpolitik tatsächlich einigen Ärger machen. Denn anders als beim Streit um den Flughafen Tempelhof wäre das Ergebnis eines Volksentscheids über den Religionsunterricht für den Senat bindend. Bei Tempelhof entschieden die Berliner nicht über ein Gesetz, sondern über einen Vorschlag ohne rechtliche Wirkung. Selbst wenn im April dieses Jahres genug Stimmen für den Erhalt des Flughafens zusammengekommen wären, hätte der Senat sich nicht an den Entscheid halten müssen.

Bei "Pro Reli" dagegen würden die Bürger über einen Gesetzentwurf abstimmen. Wäre der Volksentscheid erfolgreich, müsste der Senat Religion als Wahlpflichtfach einführen.

Ein junger Mann in grünem Parka und schwarzen Turnschuhen hört sich Wambachs Vortrag an. Später wird er sagen, dass er doch etwas skeptisch sei. Die Kirchen bekämen vom Staat ja nur die Religionslehrer bezahlt, die gebraucht würden. "Da ist auch viel Geld im Spiel. Vielleicht sorgen sich die Kirchen vor allem um ihre Finanzen?" Er jedenfalls werde aus der Kampagne nicht schlau.

Am Ende des Abends sagt Matthias Wambach: "Ich glaube fest daran, dass wir das gemeinsam schaffen."

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.