Pro Deutschland in Kreuzberg: Die schon wieder
Rechtspopulisten mucken mal wieder am Rathaus Kreuzberg auf - und treffen erneut auf Gegenprotest. Der Wahlleiter freut sich über die lebendige Demokratie.
Seit zwanzig Jahren gebe er schon den Wahlausschussleiter, sagt der Mann mit der blauen Krawatte und blickt aus dem Fenster des ersten Stocks im Kreuzberger Rathaus. "Aber Aufmerksamkeit in dieser Intensität habe ich noch nicht erlebt", staunt Heinrich Baasen. Reihenweise Polizeigitter umstellen den Rathauseingang, rotes Flatterband sperrt den Ausschusssaal ab, überall Polizisten in Uniform und zivil. Und dazwischen lauter Protestler. Dabei, so Baasen, gehe es doch nur um eine nüchterne Prüfung von Wahlformalitäten.
Am Donnerstagnachmittag nicht nur: Die Rechtspopulisten von Pro Deutschland hatten sich zu einer Kundgebung angekündigt, parallel zum tagenden Bezirkswahlausschuss. Die Partei behauptete, im Bezirk aus politischen Gründen nicht zur Wahl zugelassen zu werden. Denn Ende Juni verhinderten 300 Kreuzberger mit Blockaden ein Treffen der Rechten im Rathaus - mit Wohlwollen des Bezirksamts. Vereine hatten nun dazu aufgerufen, daran anzuknüpfen.
Schon am Mittag postiert sich die Polizei mit einem Großaufgebot rund ums Rathaus. Als das Dutzend Pro-Deutschland-Anhänger auftaucht, riegelt sie die Yorckstraße ab. "Mehr als übertrieben", schüttelt der Grünen-Abgeordnete Dirk Behrendt den Kopf. Pro-Deutschland-Landeschef Lars Seidensticker wettert im Regen gegen Parallelgesellschaften. "Wer sich hier nicht integriert, soll hingehen, wo der Pfeffer wächst." Zu verstehen ist das kaum. "Haut ab"-Rufe übertönen die Rede. Rund 120 Demonstranten haben sich auf der anderen Straßenseite und vor dem Rathaus eingefunden.
Drinnen beginnt die Wahlausschusstagung. Vertreter aller Parteien sind eingetroffen, auch Seidensticker hat durch einen Nebeneingang seinen Weg an den großen Holztisch gefunden. Ausschussleiter Baasen ruft die Vertreter auf, verkündet die Ergebnisse der geprüften Unterschriften. Alle Parteien dürfen antreten, bei Pro Deutschland kommt eine Kandidatur nicht durch. Das wars. Seidensticker grinst breit. "War schön hier, wir kommen jetzt häufiger."
Volker Stoi, Glatzkopf und Vorsitzender der Anarcho-Partei APPD, schlendert danach aus dem Saal, winkt ab. Pro Deutschland könne man vergessen. "Hab mir mal das Programm angeguckt, totaler Schwachsinn." Seine Partei fordere dagegen die "Entschwabisierung Kreuzbergs" und Sperrstunden für Polizisten, sagt Stoi. Dies sei allemal sinnvoller. Figen Izgin von der Linken grübelt, ob die paar Rechtsaußen durch den Protest nicht aufgewertet würden. "Aber man kann die nicht einfach gewähren lassen. Deren Wahlprogramm ist Rassismus pur." Auch der Grüne Behrendt verteidigt den Protest. "Ich fände es unerträglich, wenn die hier unwidersprochen ihre Inszenierungen veranstalten könnten."
Heinrich Baasen steht vor dem nunmehr leeren Sitzungssaal. Etwas erschöpft sieht er aus, aber Baasen lächelt. Eigentlich sei der Trubel gar nicht negativ, er zeige ja vielmehr Interesse an Demokratie. "Und wir haben ja nichts zu verbergen."
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