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Pro Asyl zu Roma-Abschiebungen"Antiziganismus ist überall"

Trotz Abschiebungen auch hierzulande: Die deutsche Roma-Politik kann man mit der von Frankreichs Staatschef Sarkozy nicht gleichsetzen, sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.

Roma-Familie in Düsseldorf. Bild: dpa
Sabine am Orde
Interview von Sabine am Orde

taz: Herr Mesovic, Frankreichs Präsident Sarkozy hat behauptet, auch Deutschland wolle Roma-Lager räumen lassen, was die Bundesregierung umgehend dementierte. Gibt es in Deutschland überhaupt Roma-Lager?

Bernd Mesovic: Nein, im engeren Sinne gibt es diese provisorischen Unterkünfte wie in Frankreich nicht. Natürlich gibt es auch hier Roma zum Beispiel aus Rumänien und Bulgarien, die in prekären Verhältnissen leben.

Auch Deutschland schiebt derzeit Roma ab, vor allem in das Kosovo. Ist das vergleichbar mit der französischen Politik?

Nein, man muss die Dinge ganz klar auseinanderhalten. Im französischen Fall geht es um das Freizügigkeitsrecht von EU-Bürgern, was die betroffenen Roma ja sind. Sarkozys Politik ist rechtswidrig. Die Bundesregierung müsste das viel klarer sagen und das EU-Recht verteidigen, die Bundeskanzlerin aber schweigt dazu bislang. Bei den Abschiebungen aus Deutschland geht es um Roma, deren Flucht ein Folgeproblem des kosovarischen Sezessionsprozesses ist. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge.

BERND MESOVIC

56, ist rechtspolitischer Referent bei der Flüchtlingsorganisation Pro Asyl. Der gelernte Politologe und Germanist lebt in Frankfurt.

Sehen Sie trotzdem eine Verbindung?

Das Verbindende ist ein überall in der EU vorhandener Antiziganismus, der sich Anlässe sucht. Sarkozys Politik ist dabei Wasser auf die Mühlen derer, die Pogrome für eine politische Methode halten, wie das in osteuropäischen Ländern wie Ungarn immer wieder der Fall ist. Mit Blick auf Deutschland hätte er aber nicht zu so einer unhaltbaren Unterstellung greifen müssen, wenn er etwas in die Vergangenheit geblickt hätte.

Denn in Deutschland hat es durchaus eine Abschiebepolitik auch gegen rumänische Roma im großen Stil gegeben. Direkt nach den Pogromen von Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 hat Deutschland ein Rückübernahmeabkommen mit Rumänien unterschrieben, von dem viele Roma betroffen waren. Danach hat es Massenabschiebungen gegeben.

Worin genau liegt heute das Problem beim Umgang der deutschen Politik mit den Roma?

Für die Kosovo-Roma müsste es längst ein voraussetzungsloses Bleiberecht geben, weil Ausgrenzung und Diskriminierung im Kosovo fortbestehen. Das sagen eigentlich alle Quellen und auch der EU-Menschenrechtskommissar Hammarberg. Das einzige Zugeständnis des Bundesinnenministeriums ist aber, dass langsamer als ursprünglich geplant abgeschoben werden soll. Das ist keine Lösung.

Was müsste getan werden?

Das Europaparlament drängt auf eine Politik der Roma-Inklusion in den EU-Staaten. Deutschland müsste sich klar hinter diese Maßnahmen stellen und jeden Populismus vermeiden.

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8 Kommentare

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  • P
    Politischandersdenkender

    Wie hierzulande mit Fremden umgegangen wird ist teilweise nicht schön, wobei man das im Volksmund als fahrende Volk, was mit vielen negativen Klischees behaftet ist, nicht als Fremde bezeichnen kann das sie seit dem Spätmittelalter teil der Bevölkerung sind hier in Europa sind. Aber das ist in anderen Ländern ringsherum auch nicht besser und daher müssen sich Deutsche nicht gefallen lassen besonders als besonders schlecht bezeichnet zu werden, geschweige denn schlechter als andere zu sein. So etwas liegt nun mal in der Natur des Menschen. Selbst wenn jemand so etwas kritisiert sollte wissen das so etwas sich schon nicht ändern wird und solche Ressentiments durch kein öffentliche Kampagne so einfach aus den Köpfen verschwinden was zugegeben in diesem Fall bedauerlich ist.

  • R
    Ratz

    @ziganismus

    die entscheidung, ob "wir jetzt wieder Zigeuner und nicht mehr Sinti und Roma" sagen, muss jeder für sich selbst treffen. ich nehme mal an, es geht dir nicht ums bloße polemisieren. "zigeuner" kannst du sagen, wenn du es mit der pc nicht so eng siehst und/oder du mit roma/sinti zu tun hast, die das okay finden.

  • R
    Rübe

    @ziganismus

    "in dem Wikipedia-Artikel wird gleich im ersten Satz Antiziganismus mit Zigeunerfeindlichkeit gleichgesezt. Aber angenommen, der Begriff "Zigeuner" wäre romafeindlich, wäre damit nicht allein schon der Begriff "Zigeunerfeindlichkeit / Antiziganismus" romafeindlich?"

     

    das kann man in der tat so sehen. der begriff wurde von gadjes, also nicht-roma, wissenschaftlich eingeführt und ist nach wie vor umstritten, hat sich aber - auch in ermangelung an alternativen (mir sind jedenfalls keine bekannt) - in den sozialwissenschaften durchgesetzt, um fremdenfeindlichkeit gegenüber sinti und roma zu bezeichnen.

     

    " Im Wikipedia-Artikel "Zigeuner" steht, dass eine (zugegebenermaßen weniger bedeutende) Sintigruppe dem Begriff "Zigeuner" nicht ablehnend gegenübersteht."

     

    ja, stimmt. hierbei handelt es sich um die sintiallianz:

     

    http://www.sintiallianz-deutschland.de/index2.html

     

    die sintiallianz hätte, im gegensatz zum zentralrat der sinti und roma in deutschland, ja auch kein problem damit gehabt, wenn der begriff "zigeuner" an stelle von "sinti und roma" für den mahnmal-text verwendung gefunden hätte. da gab's im vorwege allerhand zoff in dieser frage.

     

    "Dass die etymologische Herkunft insgesamt unsicher ist, heißt nicht, dass Tsigane / Zigeuner nicht die gleiche etymologische Wurzel haben. Schon allein die Ähnlichkeit ist doch frappierend."

     

    habe ich auch nicht behauptet. fest steht: es handelt sich um eine fremdbezeichnung. "zigeuner" wird in deutschland vom "zentralrat der deutschen sinti und roma" (der, by the way, aus einer bürgerrechtsbewegung in den 70er jahren hervorgegangen ist, also ein politisches selbstverständnis hat) abgelehnt, da er, der begriff, überwiegend abwertend konnotiert ist.

     

    "Ist es da entscheidend, ob die aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsame Wurzel griechisch oder persisch ist?"

     

    nö.

  • Z
    Ziganismus

    @Rübe: in dem Wikipedia-Artikel wird gleich im ersten Satz Antiziganismus mit Zigeunerfeindlichkeit gleichgesezt. Aber angenommen, der Begriff "Zigeuner" wäre romafeindlich, wäre damit nicht allein schon der Begriff "Zigeunerfeindlichkeit / Antiziganismus" romafeindlich? Im Wikipedia-Artikel "Zigeuner" steht, dass eine (zugegebenermaßen weniger bedeutende) Sintigruppe dem Begriff "Zigeuner" nicht ablehnend gegenübersteht.

    Dass die etymologische Herkunft insgesamt unsicher ist, heißt nicht, dass Tsigane / Zigeuner nicht die gleiche etymologische Wurzel haben. Schon allein die Ähnlichkeit ist doch frappierend. Ist es da entscheidend, ob die aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsame Wurzel griechisch oder persisch ist?

  • K
    Kritiker

    Der Begriff Zigan ist Rumänisch geprägt.

    Wird nur anders geschrieben.

    Es gibt 8 Millionen dieser Volksminderheit in der Europäischen Union.

    Davon die Hälfte aus Rumänien.

    Bevor Rumänien Demokratisch wurde,

    hat Ceausescu, gegen Bares, alle Rumänischen Roma/Zigan, in Rumänien aufgenommen, obwohl sie nie wirklich in Rumänien aufgenommen/angenommen wurden.

  • R
    Rübe

    @ziganismus

    mal abgesehen davon, dass die ethymologische herkunft des begriffs "tsigane" nicht wasserdicht gesichert ist, hast du natürlich einen wichtigen punkt angesprochen. hier eine antwort auf deine frage, wie sie wikipedia anbietet:

     

    "Die Begriffsbildung „Antiziganismus“ ist umstritten. Eine Kritik richtet sich darauf, daß er einen „Ziganismus“ impliziere, den es nicht gebe und der dem Selbstverständnis vieler Sinti und Roma als deutsche nationale Minderheit bzw. als europäische Minderheit widerspreche. Eine andere Kritik sieht in der Verwendung des Begriffs die Festlegung auf einen Opferstatus.[22] Eine dritte Kritik lehnt den Begriff ab, weil die Verwendung von „Zigeuner“, den er enthalte, abzulehnen sei.

     

    Obwohl auch der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma das Ethnonym Zigeuner zurückweist, da es eine lange Geschichte als abwertendes Etikett habe und nationalsozialistisch kontaminiert sei, spricht er nicht anders als andere gewichtige Selbstorganisationen der Roma von „Antiziganismus“ und parallelisiert so mit „Antisemitismus“ und mit der jüdischen Verfolgungsgeschichte. In Tschechien hat der Roma-Schriftsteller und Aktivist Václav Miko den Begriff in seinem Buch von 2009 eingeführt und geprägt.[16]"

     

    Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Antiziganismus

  • Z
    Ziganismus

    Man staune über das Wort Antiziganismus. Tzigane bedeutet nichts anderes als Zigeuner. Das französische Wort Tzigane ist laut Leo-Wörterbuch zu übersetzen mit Zigeuner. Die etymologische Identität ist eh klar. Ich dachte immer, der Begriff Zigeuner wäre verpönt oder politisch nicht ganz korrekt. Also was nun? Sagen wir jetzt wieder Zigeuner und nicht mehr Sinti und Roma?

  • V
    vic

    "Bei den Abschiebungen aus Deutschland geht es um Roma, deren Flucht ein Folgeproblem des kosovarischen Sezessionsprozesses ist. Das sind zwei ganz unterschiedliche Dinge", sagt Bernd Mesovic von Pro Asyl.

    Ach- und mit diesem Sezessionsprozess haben wir gar nichts zu tun, stimmts?

     

    Außerdem herrscht in Deutschland ein allgemeiner Fremdenhass gegen alles und jeden, sogar gegen Deutsche mit Vorfahren aus nichtdeutschen Ländern.

    Früher waren`s Italiener, auch Spaghetti

    *scusi amici* genannt.

    Hier und heute ist der Feind der Moslem als solcher, aber "Zigeuner" bleiben natürlich immer im Visier, selbst wenn sie noch so integriert und "sesshaft" sind.