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Pro & Contra Zivilcourage-Preis des CSDWar die Absage von Judith Butler das richtige Signal?

Zu kommerziell, zu wenig antirassistisch: Judith Butler kritisierte auf der Berliner Waldbühne den Christopher Street Day der Hauptstadt - und lehnte den Zivilcouragepreis ab.

Der "große" Christopher Street Day zog in Berlin vom Kurfürstendamm zum Brandenburger Tor. Bild: reuters

P RO

Die international renommierte Gender- und Queer-Theoretikerin Judith Butler hat den Zivilcourage-Preis des Berliner CSD e.V. abgelehnt. In einer bewegenden Rede auf der Bühne am Brandenburger Tor unterstrich sie immer wieder, dass der Kampf gegen Homophobie nicht isoliert zu betrachten ist und dass die Rechte von Frauen, Lesben und Schwulen ohne eine klar antirassistische Ausrichtung der Arbeit nicht durchsetzbar sind: «Einige der Veranstalter_innen haben sich explizit rassistisch geäußert bzw. sich nicht von diesen Äußerungen distanziert.

Die veranstaltenden Organisationen weigern sich, antirassistische Politiken als wesentlichen Teil ihrer Arbeit zu verstehen. In diesem Sinne muss ich mich von der Komplizenschaft mit Rassismus, einschließlich anti-muslimischem Rassismus, distanzieren.» Wir gratulieren Judith Butler zu dieser Entscheidung, die einen praktischen wie auch notwendigen Akt der Zivilcourage darstellt.

Ob es um den Einwanderungs- und Integrationsdiskurs in Deutschland geht oder um die Auslandseinsätze der Bundeswehr: An der Oberfläche werden immer auch wir verhandelt: Als Frauen und queere Menschen sollen wir verteidigt werden gegen die sexistischen und homophoben Muslime und MigrantInnen. Butler: «Wir haben alle bemerkt, dass Homo-, Bi-, Lesbisch-, Trans-, Queerleute benutzt werden können von jenen, die Kriege führen wollen, das heißt: kulturelle Kriege gegen Migrant_innen durch forcierte Islamophobie und militärische Kriege gegen Irak und Afghanistan. (…) Durch diese Mittel werden wir rekrutiert für Nationalismus und Militarismus.»

Einige feministische und schwule AktivistInnen sind Teil dieser Maschinerie, die die Welt in zwei Blöcke geteilt sieht: Hier die Guten, dort die Bösen. Diese bewusst vereinfachende, Ausgrenzung befördernde Logik lehnen wir ab.

Unsere Welt lässt sich nicht teilen – so wenig wie sich unsere Erfahrungen teilen lassen in Sexismus/Homophobie oder Rassismus. Von Butlers Rede bei der Abschlusskundgebung des CSD und ihrer Ablehnung des Zivilcourage-Preises geht das wichtige Signal aus, endlich Mehrfachzugehörigkeiten und Mehrfachdiskriminierung in den Fokus zu nehmen: In einer globalisierten Welt und in unserer komplexer gewordenen Gesellschaft funktionieren eindimensionale Identitäten nicht mehr. Niemand ist mehr «nur» lesbisch oder «nur» Migrant.

Es ist an der Zeit, Geschlecht, Herkunft und sexuelle Orientierung zusammenzudenken und nicht gegen einander. Der Applaus für Butler am Brandenburger Tor zeugt: Homo gleich deutsch, migrantisch gleich homophob lässt sich heute niemandem mehr verkaufen!

TÜLIN DUMAN

ist Geschäftsführerin von "Gays & Lesbians aus der Türkei" (GLADT), einer Eigenorganisation queerer MigrantInnen. GLADT kämpft seit mehr als zehn Jahren dafür, dass die Bekämpfung von Homo- und Transphobie als gesamtgesellschaftliches Phänomen gesehen wird.

***

CONTRA

Judith Butler hätte den Zivilcouragepreis des Berliner CSD e.V. schon ablehnen können, als man ihr diesen antrug. Das war vor drei Monaten. Ausweislich der Mailkorrespondenz zeigte sie sich höchst erfreut – ebenso wie der andere Preisträger, Martin Dannecker, der renommierteste deutsche Homosexualitätsforscher der Jetztzeit; er hat wie kein anderer in den vergangenen 40 Jahren zum Homosexualitätsthema gearbeitet, ohne das Schwule dem gewöhnlichen Begriff der Normalität zu opfern.

Noch eine Stunde vor der Preisverleihung hatte Butler kein Bedenken gegen diesen Preis, auch nicht gegen den Berliner CSD geäußert. Im Gegenteil hat sie gemütlich nach Berlin kommen können, um die Auszeichnung aus der Hand der grünen Fraktionsvorsitzenden Renate Künast entgegenzunehmen.

Ihre schließlich auf der Bühne formulierte Ablehnung war nicht nur eine krasse Form der Taktlosigkeit den Veranstaltern gegenüber, eine Täuschung in eigener Sache und die ihrer Gastgeber, sondern auch eine Brüskierung Martin Danneckers. Inhaltlich hatte Butler nur zu sagen, dass ihr die ganze Tendenz des CSD auf die Nerven gehe; ihre Stichworte lauteten „Kommerzialität“ sowie „Mainstream“. Von den persönlichen Umständen abgesehen, dass Butler sowohl auf einen Flug aus den USA nach Berlin in der Business bestand – sonst hätte sie nicht kommen wollen – als auch eine Unterkunft in einer Nobelherberge sah, als Philosophin in Sachen Gender ist sie - wie unstrittig sein dürfte - inzwischen Mainstream und nicht Underground. Butler und ihre Gedanklichkeit geben den interpretierenden Ton vor.

Dass der Berliner CSD e.V. sie wie auch Dannecker ehren wollte, war auch eine Verneigung vor diesen theoretischen Mühen. Butler wie Dannecker sollten den Preis erhalten - gerad weil sie als "Schreibtischtäter" erheblich Erhellendes geleistet haben. Die US-amerikanische Wissenschaftlerin außerdem auch trotz des Wissens der CSD-Verantwortlichen, dass sie, die Startheoretikerin, CSDs in ihrer politisch bürgerrechtlich orientierten, nicht ausgrenzenden Anordnung nicht besonders goutiert. Aber Butler hat dem Preis zugestimmt. Das Motto des CSD hieß: "Normal ist anders". Hätte der Anspruch der queeren Community auf die Umdefinition dessen, was normal sein kann, radikaler, politischer formuliert werden können? Wie überhaupt der hauptstädtische CSD seit vielen Jahren Politik nicht nur für sich selbst, sondern – das sollte man im besten Sinne Mainstream nennen – für das Publikum jenseits der eingeweihten Kerne formuliert. Für die politische Elite, für gesellschaftliche MultiplikatorInnen und – vor allem – für die Hunderttausenden, die Jahr für Jahr den CSD bilden.

Butler hingegen bediente mit ihrer schroffen Abweisung des Preises ein Milieu, das den sogenannten „Transgenialen CSD“ zu seiner Sache macht – und in erster Linie an Selbstidentifikation, an Selbstfindung und wenig an Öffentlichkeit interessiert ist. Der Hinweis von Butlers Applaudeuren nach deren Aktion auf der CSD-Bühne, sie habe damit ein Statement gegen, wie erwähnt, Kommerzialismus und Rassismus setzen wollen und können, geht ins Leere: Der CSD rund um die Siegessäule (und dieses Jahr am Brandenburger Tor) hat in den vergangenen Jahren keinen anderen Inhalt als den, gegen Homophobie, Sexismus, Rassismus sich zu artikulieren.

Der Kreuzberger CSD ist ein dörflicher CSD und das mag er auch bleiben. Er unterscheidet sich vom großen CSD durch ein Bekenntnis, mit den sogenannten gewöhnlichen Homosexuellen nichts zu tun haben zu wollen. Politisch ist für ihn und seine OrganisatorInnen, wenn alle irgendwie in einem grundsätzlichen Sinne gegen Kapitalismus sind. Er ist ein CSD der GesinnungshüterInnen, der reinen Lehre – und wie man bei einem von diesen auch ersehen konnte, hat man dort stark etwas gegen proisraelische Bekundungen wie auch gegen die Kneipen, die sie nicht kennen.

Judith Butler hat einen Preis ausgeschlagen, der diesen – als ein dialektisch errungenes Resultat ihrer Aktion – noch wichtiger macht. Sie mag man bedauern, ihre Art von Politik, alles in allem, ist für akademische Zwecke perfekt geeignet. Für das Politische im wahren Leben bringt sie das Gegenteil: Abstinenz aus Gründen der Abschottung gegen alles, was man nicht mag.

Die Toleranz, die der Berliner CSD einer wie Butler entgegenbrachte, war in einem bürgerlichen Sinne selbstverständlich, insofern angemessen. Sie haben eine ehren wollen, die theoretisch viel, womöglich sehr viel geleistet hat. Diese hat sich kapriziös gezeigt, obendrein frei von Souveränität. Als eine Diva ohne Glamour – ein Stilschaden, der nur auf sie selbst zurückfällt.

In welcher Hinsicht der Berliner CSD im Gegensatz zum „Transgenialen CSD“ rassistisch sein soll, bleibt bis heute im Dunkeln. Wie auch das Politische. Sicher ist nur: Sie sind sich ihrer Identitäten offenbar sicher. Das muss Angst machen.

JAN FEDDERSEN

war Mitinitiator des ersten bundesdeutschen CSD 1980 in Bremen, ist taz-Redakteur für besondere Aufgaben. Von 2005 bis 2009 war er politischer Koordinator des Berliner CSD e.V.

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24 Kommentare

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  • L
    Locke

    Wer erwähnt, dass Gewalt gegen Schwule und Lesben in Berlin zur Zeit verstärkt von jungen Männern islamischen Glaubens ausgeht, ist also ein "Rassist" (Butler)? Und Hamas und Hisbollah sind "progressive soziale Bewegungen" (ebd.)?

     

    Vielleicht sollte man doch wieder Simone de Beauvoir lesen und die Diskursanalyse Diskursanalyse sein lassen. Denn wenn dich ein Mob durch die Straßen jagt, ist das unter einen wie immer auch erweiterten Diskursbegriff nur schwer zu subsummieren.

     

    Ich bin mir ziemlich sicher, dass man über Homophobie im Islam sprechen kann, ohne zum Rassisten zu mutieren. Butler-Fans aber, die die Probe auf's Exempel machen möchten, sollten bei Gelegenheit mit einem Geschlechtsgenossen oder einer Geschlechtsgenossin Händchen haltend den Kottbusser Damm entlang spazieren. Da klärt sich dann vieles wie von selbst.

  • MS
    Michael Scheier

    Warum müssen bei der TAZ eigentlich meistens die Schwulen selbst die schwulen Themen kommentieren? Trauen sich da keine anderen Redakteure/Redakteurinnen ran? Ist "der Schwule" am Ende immer noch das unbekannte Wesen mit ganz eigenen Themen, mit denen die TAZ-Mehrheit nichts anfangen kann? Traut sich etwa von Euren anderen Redakteuren keiner auf den CSD? Oder fürchtet Ihr am Ende Prügel von Feddersen und Co?

  • G
    Grimgerde

    @MartinE

     

    Entschuldigung, aber das Zitat von Dannecker habe ich nicht ganz verstanden. Wie soll "die Darstellung der verschiedenen schwulen Sexualitäten und Identitäten" und der "Differenz des schwulen Begehrens" die "Pluralität der Homosexuellen" zeigen? Und dann auch noch "gelungen"?

  • KS
    kirk speicher

    Judith Butler hat sowohl ihren Flug als auch das Hotel - das sie sich nicht selbst ausgesucht hat, sondern von den CSD-OrganisatorInnen gewählt wurde –, selbst gezahlt. Es wäre schön gewesen, wenn der CSD e.V., bei aller Brüskiertheit über die Nichtannahme des Preises, dies öffentlich klar gestellt hätte.

  • M
    MartinE

    @George: Wenn sie das nicht so empfinden, kann ich auch nichts dafür. Ich war zumindest vom Kreuzberger CSD enttäuscht, als ich feststellte, dass dort eigentlich auch nur die meiner Meinung nach bessere Musik gespielt wird. Ansonsten waren abends auch viele vom Feiern betrunken. Ich finde das auch nicht grundsätzlich verwerflich. Wie Dannecker heute schon in einem Interview sagte:

     

    "Der CSD bekommt seinen politischen Charakter durch die Darstellung der verschiedenen schwulen Sexualitäten und Identitäten. Der CSD ist eben auch schrill, laut und bunt und schafft es damit, die Differenz des schwulen Begehrens, die sich eben nicht so leicht kategorisieren läßt, auszudrücken. Insofern empfinde ich auch die Parade als Form äußerst gelungen, sie zeigt sehr gut die Pluralität der Homosexuellen."

     

    Zusätzlich dazu setzt er sich für die Umsetzung politischer Ziele ein und hat damit ja teilweise sogar Erfolg, in dem er selbst Debatten anschiebt, die auf der parlamentarischen Ebene dann weiter diskutiert werden.

     

    Und das Verhalten des Moderators würde ich nicht überbewerten. Denen war durchaus bewusst, dass die Damen und Herren bewusst zum Stören der Veranstaltung vor Ort waren. Und auch nur sie waren es, die in dem Moment jubelten und klatschten. Die Eingeweihten, die sich schadenfroh freuten, dass sie dem CSD eins Auswischen konnten. Ich denke, die Moderation war einfach aufgebracht, dass man ihnen so vor den Karren gefahren ist. Natürlich ist es richtig, dass die Formulierung "ihr seid in der Minderheit" einen negativen Beigeschmack hat und man den Vorwurf des Rassismus nicht einfach wegwischen kann, in dem man sagt, er kommt nur von wenigen. Umgekehrt aber wurde der Vorwurf ja bis heute nicht öffentlich begründet. Und ehrlich gesagt weiß ich auch immer noch nicht, warum man bis heute meint, der CSD sei rassistisch.

  • GB
    Georges Bataille

    @ MartinE: Die Erwähnung eines Programms / einer Forderung auf dem Papier und die praktische Anwendung klaffen da auf dem CSD, wie er in Großstädten geführt wird, weit auseinander. Ich frage mich immer noch: Wo wurde auf den CSDs der letzten 15 Jahre wirklich demonstriert und nicht nur gefeiert?

     

    Abschließend denke ich, dass Butler auch dringend auf Vereinheitlichung von Gruppen aufmerksam machen wollte, Gruppendynamik, die "Andere" macht und diese abstempelt (Stichwort: verhalten des Moderators "Ihr seid hier nur die Minderheit" Dieser Ausspruch an sich war schon auf eine ziemlich harte Art und Weise faschistoid). Das "Andere" wird konstruiert, um sich eine eigene Identität zu schaffen.

  • M
    MartinE

    @George: Die Hauptforderung war nicht "das homoeigene (?) Recht auf Feiern", sondern es war unter anderem Intersexuellen und trans* Menschen endlich die Rechte einzuräumen, die sie verdienen. Eine der fünf Forderungen war es übrigens auch Rassismus innerhalb der Community zu bekämpfen. Jaja, ich weiß, lesen ist nicht ganz leicht.

     

    @Hans: Du hast sicher nicht ganz unrecht, dass Menschen mit Migrationshintergrund selten in Vorständen und ähnlichen Auftauchen. Das ist etwas, dass übrigens das alle Ebenen unserer Gesellschaft betrifft. Zum Teil hängt es natürlich damit zusammen, dass es schlicht auch an aktiven Mitglieder/Ehrenamtlern mit Migrationshintergrund fehlt. Und wenn sie das jetzt darauf schieben wollen, dass in den entsprechenden Vereinen ein schlechtes Klima herrscht, dann fühle ich mich persönlich angegriffen.

     

     

    Was ich übrigens ganz am Rande interessant fand. Ein Freund aus Ägypten besucht den Kreuzköllner CSD, weil er es mutiger findet, in die Teile der Stadt zu gehen, wo queere Menschen größere Ablehnungen erfahren. Auf die Frage hin, wer denn das in dieser Gegend sei, sagte er nur, dass es natürlich die Muslimen sein. Er wüsste wie sie ticken. ^^ - Also ich würde das trotz seiner Aussage nicht behaupten, aber fand es ganz amüsant, mit welcher Intention er auf dem CSD ein Kreuzberg ist. ^^

  • HA
    Hans Ali

    Judith Butler hat mit ihrer Absage auf ein wichtiges Problem vieler deutschen Schwulen und Lesben aufmerksam gemacht (was in anderen Ländern nicht in diesem Maße gegeben ist), dass der/die Durchschnittsweisse bzw. -deutsche Homosexuelle gerne übersieht: Dass eben Homosexuelle mit Zuwanderungsgeschichte auch von deutschen Schwulen und Lesben diskriminiert werden können. Das fängt bei den Schwulen- und Lesbenverbänden an, in denen diese ein Nischendasein führen, aber nie z. B. im Vorstand zu finden sind oder wichtige Entscheidungen treffen können und nur zum Vorzeigen dienen, als auch im schwullesbischen Alltag, in der viele Diskriminierung von Menschen anderer kultureller Hintergründe und/oder Hautfarbe als ein Mittel sehen, sich mit der (diskriminierenden) Mehrheitsgesellschaft zu identifizieren, um somit "Normalität" für sich herzustellen.

    Kein Wunder also, dass die weisse deutsche schwule "Führerschaft" keinen Bedarf sieht, zu diesem Thema Stellung zu beziehen, da sie sonst zugeben müsste, dass sie oft selber diskriminiert. Denn Rassismus gibt es ja nach deren Definition nicht, da man ihn ja selber nicht erlebt.

  • GB
    Georges Bataille

    Ein Blick auf das Plakat des CSD und seine Ikonografie (weiße, glatte Männer, ebenso Frauen mit abgebundenen Brüsten(!)), ein Blick auf die gesamte Durchführung des CSD zum Brandenburger Tor an den Touristen vorbei, inklusive der VIP-Berieche für angesehene Politker, Moderatoren etc., ein Großteil der Trucks aus kommerziellen bereichen inklusive der Pornobranche sollten Bände sprechen.

    Gleichzeitig wird in Berlin vereinnahmend von vermehrten Übergriffen auf Schwule berichtet, wobei in den Meldungen und woanders sehr vereinheitlichend und rassistisch über "Menschen mit Migrantehintergrund" als die bösen, gewaltbereiten, dummen(?) Urheber sämtlicher Gewalt geredet wird. Wer sind diese "Menschen mit Migrationshintergrund"? Wer sind die "Islamisten" und "homophoben Moslems"? Und was ist mit Leuten, die einen "Migrationshintergrund" haben und / oder "Moslem" sind und Begehren auf das gleiche Geschlchte haben? Wie können oder sollten sich diese Menschen mit ihrer Kultur, ihrem Glauben und diesem begehren auseinander setzen?

    All das sind wirklich wichtige Fragen, die man auf einem CSD hätte stellen können, auf dem man demonstrieren und die Menschen, der eigenen Szene besonders, darauf aufmerksam machen könnte.

    Ich denke Butler wie ich und ein großer Teil der Kommentatoren hier waren der gleichen Meinung, dass es 2010 sehr viel wichtigere Dinge gibt, als das homoeigene (?) Recht auf Feiern, wenn anderen Menschen immer noch ein Recht, als "lebenswerte" Wesen anerkannt zu werden, verwehrt bleibt.

  • M
    MartinE

    Einige haben offenbar immer noch nicht verstanden, was für eine großartige Situation wir hier in Berlin haben. 600.000 Menschen identifizieren sich mit dem CSD. Man kann am nächsten Tag (mehr oder weniger) ohne Probleme auf der Arbeit sagen, dass man beim CSD war.

     

    Für viele Menschen auch in Deutschland ist das nicht so. Egal welche Hautfarbe sie haben, sie werden noch immer diskriminiert, weil sie homosexuell sind.

     

    Und weil wir so eine komfortable Situation haben, nimmt sich der CSD immer wieder auch Themen an, sie nicht bequem sind. Inhaltlich im Forderungskatalog sowieso. Den gibt es übrigens im Internet auch zum Nachlesen: http://www.csd-berlin.de/index.php?m=16&id=247

     

    Die Hauptforderung in diesem Jahr war es Intersexuellen und trans* Menschen ein selbstbestimmtes, diskriminierungsfreies Leben zu ermöglichen. Das spiegelte auch die Demo in Teilen sehr gut wieder.

     

    Am schlimmsten finde ich aber den Rassismus-Vorwurf. Der erklärt sich für mich einfach nicht.

  • O
    Oliver

    Ich kann Feddersens Argumentation und seine Irritation in Bezug auf Butler verstehen.

    Das bedeutet nicht, dass ich die Diskussion um Homophobie und Rassismus in der Community geringschätzen will - spezielle und fundamentale Kritik erweitert sicherlich den Horizont und kann auf wichtige Missstände hinweisen. Allerdings habe ich den Eindruck: Nachvollziehbar ist sowohl Butlers Verhalten als auch die Argumentation der Pro-Fraktion in ihrem Kern für viele nicht. Und zwar nicht, weil diese rassistisch und homophob durchseucht sind - sondern weil sie dem gesunden Menschenverstand folgend den Streit nicht nachvollziehen können. Ein schwadronieren von "rassistischen Veranstaltern... usw" ohne Nennung der Hintergrunde kommt erstmal sehr abstrus daher.

    Damit das Verständnis der (schwulen) Mehrheitsgesellschaft zunimmt wäre eine nachvollziehbare Argumentation und ein entsprechendes Verhalten der Vordenker sicherlich sinnvoll.

    Möglicherweise definiert sich die "alternative" schwule Szene auch über ihre radikale Interpretation von Wirklichkeit. Dann ist das zu besichtigende Verhalten mehr einer Anti-Haltung als der Sache verpflichtet.

    Das wäre schade.

  • M
    Mehrheitsschwuler

    Die Kommentare hier sprechen für sich. Es muß sich niemand wundern, wenn Jan Feddersen und viele andere die Kritik nicht verstehen, wenn sie mit sprachlichen Ungetümen wie "mit stärkerer Konfrontation der herreschenden Normalität, intersektionalen und queer-feministsichen Inhalten", "heteronormative Politik (den militaristischen und ökonomischen Normalkonsens)" einhergeht.

    Es handelt sich hier ganz einfach um Elitismus. Solche Sprache verstehen zu können, ist natürlich Herrschaftswissen. Auf Facebook etc verraten die Kommentare der GLADT-und-so-weiter-Sympathisanten viel. Da wird hämisch gefeixt, daß die Moderatoren und das Publikum "Judy's point" nicht kapiert hätten. Anstatt sich zu fragen, warum das so ist, wird sich noch darüber gefreut, daß man unverstanden bleibt. Immer schön feste druff auf den intellektuell unterlegenen Mainstream-Pöbel!

     

    Und natürlich spielen Business Class und Nobelhotel hier eine Rolle! Wer so sehr Kapitalismus mit Heteronormativität gleichsetzt, daß er Hamas und Fatah als progressive, linke Gruppen dargestellt (und damit folgerichtig zu den natürlichen Verbündeten der Queers? Geht's eigentlich noch?!?), der muß sich schon die Frage gefallen lassen, warum er selbst solche einfachen Widersprüche im eigenen Verhalten nicht auflöst.

  • S
    Spin

    Zu Herrn Feddersens abschließender Frage, worin der Rassismus besteht, muss er ja nur den Beitrag Dumans lesen. Worin darüber hinaus das Politische liegt? Nun, der von Feddersen gescholtene 'Transgeniale' bedient sich

    -- mit stärerer Konfrontation der herreschenden Normalität, intersektionalen und queer-feministsichen Inhalten und z.B. dem Kampf gegen das Plattmachen queerer Freiräume --

    sichtbar einer anderen Strategie als die - durchaus witzige, aber nur in Spuerenelementen noch politische - Gay-Loveparade.

    Die Behauptung eigener "Toleranz" - igitt - einer Intellektuellen gegenüber, kleine Attacken ad personam (Nobelherberge) und die Denunziation anderer als "GesinnungshüterInnen" und politisch Desinteressierte kann darüber nicht hinwegtäuschen.

    Es wäre schön, wenn Feddersen und andere nach der ersten nachvollziehbaren Hysterie ob der Kränkung wieder zur Debatte über Strategien zurückfänden.

  • AB
    Anke Billern

    Jan Feddersens Beitrag ist wirklich nur peinlich. Er bezeugt wie recht Judith Butler hat. Nichts als rumgeheule... ist doch klar, dass Butler nicht vorher gesagt hat, dass sie den Preis ablehnen wird, es hätte sonst ganz sicher nicht die Öffentlichkeit gegeben, die es nun gegeben hat, das sollte doch für einen Feddersen nachvollziehbar sein, bemüht er doch selbst das Argument der Öffentlichkeit. Wie schon andere vor mir gesagt haben: Feddersen ist nicht in der Lage die Argumentation von Butler zu verstehen. Aus seinen Worten spricht einfach nur beledigt sein. Hätte er in der taz ausgewalzt, dass Butler einen business class Flug wollte und ein "Nobelhotel", wenn sie den Preis angenommen hätte? Wohl kaum...

    Und warum sollte Butler nicht einen angenehmen Flug und Aufenthalt haben dürfen (zumal wenn es innerhalb nur weniger Tage zwei Mal über den Atlantik geht)? Fedderson plädiert doch gerade für Schwulen-Lesben-Schicki-Micki-Szene, wie es oberflächlicher nicht geht. Der CSD ist doch nichts anderes als die Integration der Schwulen- und Lesben in die Volksgemeinschaft - aber eben nur derer die Geld haben. Arm und schwul ist immer noch pfui...

  • S
    sue

    lieber herr feddersen, ihre persönliche enttäuschung kann ich nachvollziehen. ein sachlicher gegen-kommentar ist da kaum zu erwarten. sie treten aber in einer weise zurück, die auch nicht gerade von stilsicherheit zeugt (gelinde ausgedrückt): butler schamlos kompromittierend, machen sie sich über sie her. nein, mit verlaub, das hat sie nicht verdient, denn tatsächlich hat sie enormes geleistet. und wie kräftig sie der löwin in den schwanz beißen - geradezu peinlich, wenn sie sie eine "Diva ohne Glamour" nennen (ja klar, wer eine unpopuläre meinung selbstbewusst öffentlich macht, selbstverständlich business class fliegen will (wen geht das denn was an?) ist natürlich "divenhaft" - abgeschmackt und beinah - ja: frauenfeindlich! "ohne glamour" soll heißen "möchte gern"? platt und gemein ist das, also wirklich ...) ;"frei von Souveränität"? mit ihrer begründung zur ablehnung des preises hat sie doch g e r a d e souveränität (und übrigens auch größe) bewiesen. sie lässt sich halt weder kaufen noch becircen, sie lässt sich nicht die sicht vernebeln - und DAS ist auch gut so!

  • T
    Tom

    Diskriminierung von Lesben/Schwulen/Transmenschen ist immernoch Alltag in D-Land. Wieviele von ihnen können sich denn in der Öffentlichkeit wirklich frei bewegen und in ihrer Identität zeigen, wenn gerade mal kein CSD ist? Ich bin sehr beeindruckt davon, dass J. Butler den Preis nicht angenommen hat und danke ihr dafür!

     

    Wir dürfen die Doppelmoral der "Toleranzgewährung" nicht unhinterfragt akzeptieren. Toleranz für die eigene sexuelle Identität einzufordern heißt auch, gegen jegliche heteronormative Politik (den militaristischen und ökonomischen Normalkonsens) das Maul aufzumachen :)

  • K
    Keinelesbe

    Ich finde es richtig und beachtenswert, was diese Dame signalisiert hat. Schwule und Lesben sind verantwortlich für die Dinge, die sie politisch nicht bekämpfen und sie können auf der einen Seite nicht verlangen, dass man sie ach so bedauert, weil sie diskriminiert werden und auf der anderen Seite selber in ihren Ämtern und Aufgabenbereichen diskriminieren. Wenn sie nicht begreifen, was Marginalisieren bedeutet, haben sie noch lange nichts erreicht und darum sind Frauen wie Judith Butler so notwendig, wie eins Frau Rosa Parks.

  • P
    Pascal

    Naja, von bzw. vor einer Meute, die proseccoberauscht fordert, man möge doch das Gelaber sein lassen und endlich Musik spielen, da würd ich mir auch keinen Preis verleihen lassen.

     

    Inwieweit natürlich eine Ablehnung des Preises in letzter Minute eine Brüskierung und ein Betrug an den Verleihern darstellt, eine sinnvolle Bühne für Protest bietet oder einfach ranitzkieske Selbstdarstellung - das muss wohl jeder selber beurteilen.

  • E
    emil

    ouh ouh, da hat aber jemand seine hausaufgaben nicht gemacht... methoden, fehlanzeige?!

     

    ob der herr feddersen mal den zusammenhang zwischen butler kommt in einem privat jet geflogen und wird von kindersklaven auf die bühne getragen und ihrem statement erklären kann?

     

    das sind doch keine argumente, das ist bewusste irreführung!

     

    überrascht wäre ich dennoch, wenn eine flugzeug-rassismus brücke geschlagen würde ha ha

  • H
    hessebub

    Da musste die überprivilegierte weiße "business class" Akademikerin wohl mal wieder Authentizität tanken und sich ganz platt in Szene setzen. Richtig hier, falsch dort, wie ordinär-binär und taktlos. Gut schreiben kann se ooch nich.

  • GB
    Georges Bataille

    Mit Verlaub, eine vorherige Absage Butlers hätte den lange nötigen und jetzt endlich geführten Diskurs über Homosexualität und Rassismus nicht entfacht. Außerdem redet gerade der Kontra-Bericht sehr gern am Thema vorbei: Eben nicht nur die Kommerzialisierung des CSD (Der bestimmt viele Einnahmen und das glatte, weiße Menschenbild, das schon auf dem Banner der Website und den Plakaten prangt, wunderbar weiterhin in Szene setzen wird) war ein Kritikpunkt, sondern die Pseudoeinheitlichkeit, die von schwuler Seite gern suggeriert wird.

     

    Die hier gepriesene Identiät ist eben nicht fest. Sie grenzt viele Menschen aus, und ist nur insoweit in Ordnung, als wie sie vom System und der Politik als "normal" akzeptiert wird.

  • H
    Hatem

    Frau Butler fliegt auf Kosten der Veranstalter Business, logiert im Nobelhotel und spuckt dann den Leuten, die sie ehren wollen, ins Gesicht.

     

    Egal, ob man ihr inhaltlich recht geben will oder nicht - das ist so mies, dass Frau Butler damit ihr eigenes Anliegen gründlich diskreditiert.

  • N
    Nigredo

    Was hier als "Taktlosigkeit" bezeichnet wird, ist ein deutliches Zeichen von Zivilcourage.

    Tue Gutes und rede darüber: Hätte sie vorher abgelehnt, hätte man schon irgendeinen anderen gefunden, so aber steht's in der Zeitung...

    Genau genommen ist es immer ein Zeichen von Zivialcourage, einen Preis abzulehnen, weil man damit den angeblich Guten den Spiegel vorhält, und zeigt, dass jeder zu kritisieren ist.

    Insofern ist auch die Kritik hier angemessen - man muss sich ja nicht mit ihr gemein machen.

     

    Den CSD zu kritisieren, mit den angeführten Argumenten, scheint mir jedoch sehr schlüssig; für mich ist dieses alljährliche Ritual inzwischen wenig mehr als ein "brasilianisierter Karneval" - und das dürfte für viele, auch der Teilnehmer, gelten. Es ist (glücklicherweise) längst kein Zeichen von Courage mehr, daran teilzunehmen, wie dies etwa in Russland der Fall ist. In Deutschland hat sich der CSD als Demonstration weitgehend überlebt, Ablehnung von LGBT findet man doch heute eher bei den Ewiggestrigen an den Stammtischen, im Fußballstadion und in der Kirche - und die erreicht man so eh nicht.

    Somit handelt es sich wohl eher um fruchtlose Selbstbestätigung, wie übrigens bei den "Happenings" gegen den Atommülltransport oder den "Bildungsprotesten" auch...

  • JN
    joerg Neubauer

    Wer den Artikel von Martin Reichert am letzten Freitag in der taz lesen musste - Tenor: man wird doch wohl mal sagen dürfen - der weiß, weshalb die taz, bzw. Jan Feddersen und Martin Reichert überhaupt nicht verstehen, was Judith Butler eigentlich meint.

     

    Da helfen zum Ausgleich auch keine konstruierten "Volltrottel" aus Oberbayern, die Reichert zur "Neutralisierung" seiner rassifizierenden Denke einsetzt.

     

    Bravo, Judith Butler!