Pro & Contra Bürgerbegehren zum "Spreeufer für alle": Mehr Freiraum! - Mehr Realismus!
Der Bürgerentscheid zur Bebauung des Spreeufers spaltet Grüne, Linke,. Sozialdemokraten und taz-Redakteure - ein Pro und Contra. P
PRO BÜGERBEGEHREN: MEHR FREIRUM! von GEREON ASMUTH
"Spreeufer für alle" lautet die Forderung des Bürgerentscheids. Das sei zwar sympathisch, heißt es quer durch die Parteien. Nur komme die Initiative leider zu spät. Schließlich seien den politisch Verantwortlichen die Hände durch Sachzwänge gebunden. Was klingt wie ein zwingendes Argument, ist nichts anders als eine Kapitulation vor dem eigenen Unvermögen.
Denn Sachzwänge fallen nicht einfach vom Himmel, sie sind immer bloß Folge politischer Entscheidungen. Aber die lassen sich durchaus ändern. Von Politikern zum Beispiel. Und wenn die nicht wollen, dann eben vom Souverän - per Bürgerentscheid.
Die Politiker entgegnen dann gern, sie müssten sich potenziellen Investoren als verlässliche Partner anbieten. Aber wie wäre es zur Abwechslung mal, wenn sie sich den Wählern als verlässliche Partner anböten? Stattdessen betonen sie zum wiederholten Mal schon vor einem basisdemokratischen Urnengang, dass der ja unverbindlich sei.
Das Grundproblem aber liegt woanders. Stadtentwicklungspolitiker nehmen ihren Job zu ernst. Sie verplanen die Stadt bis in den letzten Winkel. Sehen sie eine Brache, fällt ihnen nur Hochhaus ein. Und da es in Berlin nicht nur im Haushalt, sondern auch in der Stadtarchitektur viele Löcher gibt, glauben sie, beides nur mit finanzkräftigen Großinvestoren stopfen zu können.
Entsprechend sehen die Planungsergebnisse aus. Mal werden noch ein paar aalglatte Bürokuben auf den Stadtplan geworfen. Mal entstehen Schiffsanleger wie der vor der O2-Arena, denen allenfalls noch mit einem Hunderterpack Spraydosen so etwas wie Charakter einzuhauchen wäre.
Die Selbstheilungskräfte der Stadt aber werden übersehen. In den Nischen wuchert und blüht ungeplant das Berlin, das die Jugend der Welt in die Stadt lockt. Es ist eine zarte Pflanze, die nicht mehr braucht als eine Brache. Einen Freiraum. Und ein Ja beim Bürgerentscheid.
CONTRA BÜRGERBEGEHREN:
MEHR REALISMUS!
von KRISTINA PEZZEI
Der Protest gegen die Pläne der "Mediaspree"-Investoren ist gut, und er ist wichtig. Nur mit einem extremen Gegengewicht zu den Vorstellungen internationaler Investoren kann ein realpolitischer Mittelweg gefunden werden. Es braucht eine wachrüttelnde, mahnende Kraft im Bezirk, eine, die sich der Ohnmacht angesichts des großen Geldes verweigert. Mit umsetzbarer Politik aber dürfen die Vorschläge von "Mediaspree versenken" nicht verwechselt werden. Wer realistisch ist, stimmt für den Entwurf des grünen Bezirksbürgermeisters Franz Schulz.
Natürlich sind das Engagement und der Idealismus der Aktivisten beeindruckend. Inzwischen ist "Mediaspree versenken" eine populäre Bewegung - angefangen hat sie mit nichts als ihrem Zorn und Ideen, wie es ihrer Ansicht nach besser gehen könnte. Diesem Starrsinn gebührt Respekt. Auch der theoretischen Forderung nach dem Recht der Öffentlichkeit auf das Ufer ist wenig entgegenzuhalten. Das Ufer und der Fluss gehören den Bürgern einer Stadt - nicht einzelnen Großinvestoren. Die Hamburger Hafen-City ist ein erschreckendes Beispiel dafür, wie ein Luxus-Stadtteil für Auserwählte geschaffen wird.
Die Initiatoren von "Mediaspree versenken" haben eine Diskussion angestoßen, die überfällig war und noch lange geführt werden sollte. Realpolitik ist nicht ihre Stärke und auch nicht ihre Aufgabe. Am Sonntag aber soll über die machbare Entwicklung an den Spreeufern in Friedrichshain und Kreuzberg abgestimmt werden. Deswegen gilt es, für den Entwurf des Bezirks zu stimmen. Auch Bürgermeister Franz Schulz will keine Hochhausfluchten am Horizont, auch er will das Ufer für die Öffentlichkeit zugänglich machen. Er hat dafür mit den Investoren gerungen, denn Steuereinnahmen braucht er, gerade in dem hoch verschuldeten Bezirk. Der Vorschlag des Bezirks ist zwar keine Ideallösung. Doch es ist der bestmögliche und einzig realistische Kompromiss.
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