: Privat oder Katastrophe
BauministerIn Viehweger und Hasselfeldt sind für eine schnelle Privatisierung von Grund und Boden ■ Aus Meißen Detlef Krell
1784 stand den BewohnerInnen der Meißner Fleischergasse das Elbwasser bis zum Halse. Heute sind es die Sorgen um den Zerfall der tausendjährigen Stadt. 40 Prozent der Wohnungen befinden sich in Gebäuden mit schweren Bauschäden. Nur in jeder zweiten Wohnung gibt es Bad oder Dusche, nur in jeder dritten ein Innen-WC. Alle Abwässer der Haushalte und Betriebe fließen ungeklärt in die Elbe. Der prachtvolle Meißner Dom, ebenso wie die Albrechtsburg und die Marktapotheke ein Bauwerk höchster kulturhistorischer Kategorie, kann nicht verbergen, daß durch schwere Beschädigung 159 Denkmale der Stadt in ihrem Fortbestand gefährdet sind.
Doch Meißen soll wieder leben. Ein deutsch-deutsches Regierungsabkommen wählte die Stadt neben Stralsund, Weimar, Brandenburg und Halberstadt für ein Pilotprojekt „Stadtsanierung - Stadtplanung“ aus. Diese Projekte sollen „beispielhaft zeigen, wie Stadtsanierung gemacht werden muß“, erklärte BRD-Bauministerin Gerda Hasselfeldt am Sonntag auf einer Begegnung mit Meißner BürgervertreterInnen. DDR-Bauminister Axel Viehweger machte dazu die Rechnung auf: 55 Millionen Mark erhielt die Stadt aus dem Devisenfonds, davon nahm sie seit dem 11.April neun Millionen in Anspruch. Vier Millionen D-Mark reichte die Partnerregion Baden-Württemberg herüber. Die Zuwendung aus dem Devisenfonds hat ihre Tücken. Bis zur Währungsunion muß das Geld bei der Staatsbank abgerechnet, also ausgegeben sein. Noch 15 Millionen, so Stadtarchitekt Dr. Pohlack, könnte man bis zu Tag X schaffen. Gemeinsam mit dem Sanierungsträger KE-Kommunalentwicklung Baden-Württemberg GmbH bat er den Bauminister, in der Regierung nach Wegen zu suchen, der Stadt das Geld zu erhalten. Die Meißner fürchten nichts so sehr wie eine Ebbe nach der überraschenden Millionenflut. Im Haushaltsplan für das 2. Halbjahr sei tatsächlich nichts für Stadtsanierung vorgesehen. Zwar versicherte Viehweger, „neue Prioritäten zu setzen und anderen wieder etwas wegzunehmen“, er gab aber auch zu verstehen, daß jeder staatliche Förderung künftig ein mehrfaches an Privatinitiative folgen müsse. Der entscheidende Schlüssel für private Initiative und damit für aufblühende Städte und Dörfer liege in der Privatisierung von Grund und Boden. Darin waren sich an diesem Sonntag die beiden Resoortchefs bis auf den i-Punkt einig. Eigentum an Grund und Boden müsse handelbar sein, erst dann kämen die Investoren. Doch bevor die Investoren zuhauf anreisen, will Meißen jene fördern, die dort schon wohnen. Einen Meißner Sonderweg, das Gesetz über den Verkauf von volkseigenen Gebäuden vom 7.3. 90 mit den Initiativen der Einwohner zu verbinden, geht KE mit seinem Sieben-Punkte -Sanierungsprogramm. Danach wird für InteressentInnen ein unkündbarer Mietvertrag für zehn Jahre festgeschrieben und mit einer Kaufoption zugunsten des Mieters verbunden. Der Mieter verpflichtet sich zur Sanierung oder Modernisierung. Er erhält von der Kommune Sanierungszuschüsse, und bei einem Kauf durch ihn werden die Investaufwendungen angerechnet. Mieteinnahmen stehen nach der Sanierung in voller Höhe dem Hauptmieter zu. Bei mehreren Mietinteressen ist ein private Einigung erforderlich. Ein Privileg für die Meißner, ein Modell. Zwanzig InteressentInnen meldeten sich bereits an. Der designierte Meißner Bürgermeister, Dr. Bartosch (CDU), setzt gegen die Angst, daß wilde Investitionen die BewohnerInnen aus der Innenstadt vertreiben könnten, die Hoffnung, daß jetzt viele Meißner den Sieben-Punkte-Plan mitgehen und sich an der behutsamen Stadtsanierung beteiligen. Was aber gilt in letzter Instanz, die Meißner Idee oder die Anlage iX zum Staatsvertrag?
Ausdrücklich will Dr. Bartosch in das Sofortprogramm des Stadtparlaments auch den kulturhistorisch weniger attraktiven, aber nicht minder besiedelten und zerrütteten, Stadtteil am rechten Elbufer einbezogen wissen. Im Rathaus liegen 2.000 Wohnungsanträge. Deshalb wird es auch kein Baustopp für das Großplattenwohngebiet Meißen-Bohntisch geben. Dort sollen 800 Wohnungen auf der grünen Wiese entstehen. Das Projekt erhielt inzwischen einige architektonische Nachbesserungen. Doch wird diese betonierte Wiese ganz sicher in kommunalem Eigentum verbleiben, also, nach Gerda Hasselfeldt, keine Investoren anziehen. So verbleiben die sozialistischen Schließfächer den sozialen Notfällen als Unterkünfte. Die Kommune, da gibt sich der künftige Bürgermeister keinen Illusionen hin, wird eine Weile brauchen, bis sie flüssig ist. Ortsansässige Betriebe müssen sehen, wie sie den Sprung in die Marktwirtschaft überleben, und Gewerbe soll erst noch kommen.
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