Pressefreiheit in der Türkei: Klima der Einschüchterung
In der Türkei wird die Lage der Journalisten immer schlechter. Kurden sind die Hauptbetroffenen. Das zeigt exemplarisch die Verfolgung des Verlegers Zarakolu.
ISTANBUL taz | Die Kritik an der Unterdrückung der Presse- und Meinungsfreiheit in der Türkei wird immer lauter. Während Paul Auster sich anlässlich der Veröffentlichung seines letzten Buches in der Türkei weigerte, nach Istanbul zu kommen, "weil ich kein Land besuche, in dem über 100 Journalisten im Gefängnis sitzen", stufte nun auch "Reporter ohne Grenzen" die Türkei in ihrem jährlichen Presseranking für 2011 auf den 148. Platz ab.
"Die beispiellos große Anzahl von Verhaftungen, sehr viele Telefonabhörungen und die Missachtung der Geheimhaltung journalistischer Quellen haben in den Medien ein Klima der Einschüchterung und Selbstzensur geschaffen", hieß es in der Bilanz.
Einer, der den Verhaftungswellen des letzten Jahres zum Opfer fiel, ist der Verleger, Publizist und Menschenrechtler Ragip Zarakolu. Der 64-jährige Verleger wurde am 1. November letzten Jahres verhaftet, sitzt seitdem in Untersuchungshaft und weiß immer noch nicht, was ihm eigentlich vorgeworfen wird.
Er ist einer von hunderten Verhafteten im sogenannten KCK-Verfahren. Dieses von Sonderermittlern der Anti-Terror-Staatsanwaltschaft betriebene Vorgehen soll angebliche Sympathisanten der kurdischen PKK-Guerilla, die im Auftrag der PKK den Staat unterminieren, aufdecken und unschädlich machen. Tausende Kurden sind von diesem Verfahren betroffen, aber auch immer mehr Intellektuelle und Journalisten, die im Verdacht stehen, kurdische Autonomiebestrebungen zu unterstützen.
Nicht eingeschüchtert
Als Gründer des Belge-Verlages hat Ragip Zarakolu seit 1977 immer wieder Bücher publiziert, die für den Staatsschutz Propaganda für kurdischen Separatismus waren. Weil kurdische Zeitungen ständig vom Verbot bedroht sind, hat er sich schon in den 1990ern mehrfach als Herausgeber zur Verfügung gestellt und war deshalb immer wieder mit Verfahren überzogen worden. Doch Zarakolu hat sich nie einschüchtern lassen.
Jetzt haben seine Anwälte ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt, in dem sie die willkürliche Untersuchungshaft und die Behinderung der Verteidigung beklagen. Sollten sie Erfolg haben, hätte das Signalwirkung für viele andere inhaftierte Journalisten, die weniger prominent sind als Zarakolu.
Friedensnobelpreis 2012?
Außerhalb der Türkei ist Zarakolu vor allem in Skandinavien ein bekannter Name. Er hat den Preis für Meinungsfreiheit der Union norwegischer Schriftsteller bekommen und wurde 2003 vom norwegischen Kulturministerium für seinen Einsatz für die Pressefreiheit ausgezeichnet. Jetzt haben sieben Abgeordnete des schwedischen Parlaments das Nobelpreiskomitee aufgefordert, Zarakolu als "weltweit bekanntes Symbol der Meinungs- und Pressefreiheit" für den Friedensnobelpreis 2012 zu nominieren.
Dünnhäutig reagierte vor allem der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan. In einer wütenden Replik beschuldigte er den Autor Auster, mit zweierlei Maßstäben zu messen, weil er keine Bedenken habe, Israel zu besuchen, die Türkei aber verurteile.
In der letzten Woche hat die Regierung nun doch ein Reformpaket ins Parlament eingebracht, mit dem sie der internationalen Kritik Rechnung tragen will. Doch die Vertreterin von Human Rights Watch in der Türkei, Emma Sinclair-Webb, hält das Vorhaben für nicht viel mehr als "Augenwischerei". "Wenn die Regierung in ihrem Bemühen um Pressefreiheit wirklich seriös wäre", sagte sie, "hätte sie die Gummiparagrafen im Anti-Terror-Gesetz ändern müssen und nur noch wirkliche Aufrufe zur Gewalt unter Strafe stellen dürfen."
So sieht es nicht danach aus, als würde sich die Situation von Journalisten, Verlegern und kritischen Intellektuellen bald zum Besseren wenden.
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