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Press-SchlagDer Ruhrpott-Iniesta

Aufstieg – Julian Weigl ist eine Offenbarung auf der 6-er Position. Das Milchgesicht aus Bad Aibling leiert Dortmunds bezaubernden Offensivfußball an

Die Bayern fallen beim Publikum allmählich durch: langweilig, nicht lohnenswert, wurscht. Erstmals seit zehn Jahren war nach Informationen des NDR (ohne WDR und Süddeutsche Zeitung) ein Auswärtsspiel des FC Immersiegen nicht ausverkauft. 400 Tickets, so der NDR-Reporter, blieben in Hamburg liegen.

Parallel zu diesem eingeläuteten Niedergang ist von einem raketenhaften Aufstieg im Verborgenen zu berichten. Ein Bekannter referierte am Samstag leuchtaugig über das Dortmund-Spiel gegen Freiburg: über Torschützen, tolle Szenen, beste Spieler. Und Weigl? „Weigl“, antwortet er, „hat der überhaupt mitgespielt? … Nee, ich glaube nicht.“

Natürlich hat er. 93 Minuten lang. Wie immer als Abräumer und Ballkontaktmaschine vor der Abwehr. Wie ein Routinier, dabei ist er gerade 21 geworden. Und wie immer fast unsichtbar. Der Tarnkappenspieler.

Die Süddeutsche hat zwei Mal in den vergangenen Monaten die Legende seiner Entdeckung beschrieben. Demnach hat Thomas Tuchel während seines guardiolaesken Sabbaticals vor zwei Jahren ein Zweitligaspiel von 1860 München im Fernsehen verfolgt. Bei der Seitenwahl rief er alarmiert nach seiner Frau; sie möge sofort mal vor die Glotze eilen, unglaublich: „Guck mal, die haben ein Kind als Kapitän.“ Tatsächlich: In der Saison 2014/15 war der 18-jährige Weigl Spielführer der Löwen. Bald saß er nur noch auf der Ersatzbank, aber Tuchel hatte Feuer gefangen. 2015 wechselte Julian Weigl zum BVB.

Weigl ist wie eine Offenbarung auf der 6er Position, da wo das Spiel angeleiert wird. Wie Schweini auf Speed? Eher ist Schweinsteiger eine Art Senioren-Weigl in Zeitlupe. Weigl ist ein guter Balldieb und meist Leader in der Kategorie Ballkontakte. Wenn Thomas Müller ein Raumdeuter ist, ist dieser Mann ein Raumfühler. Meist spielt er den seitlichen Sicherheitspass und ist unmittelbar schon wieder anspielbar. Und nochmal und nochmal. Tiki hin, taka her. Zermürbend. Irgendwann erlahmt das Anlaufen des Gegners ein wenig – den Ball gibt’s eh nicht – dann spielt der Ruhrpott-Iniesta den langen scharfen Diagonalpass, der Dortmunds Feuerfußball auslöst.

Mit 214 Ballkontakten in einem Spiel (zudem in nur 83 Minuten) hält Julian Weigl auch den Ligarekord. Nur Tore schießen, das macht er nicht, auch nicht im Training, wie es aus Dortmund heißt. Im Oktober steht sein 100. Profieinsatz ohne Torerfolg an. Warum auch Tore schießen? Netze sind nicht anspielbar. Und von der Querlatte ist kein Entgegenkommen zu erwarten. Obwohl, es wird der Tag kommen, da er mit der Latte Doppelpass spielt oder mit den beiden Pfosten.

Weigl wird seinen Weg auch im Löwland gehen. Und bald schon wird der FC Bayern das Milchgesicht aus Bad Aibling für seine Ersatzbank kaufen. „Unser Festgeldkonto“, mythologischster Begriff des Klubs, sei ja wieder „gut gefüllt“, hat der bald erneut präsidentierende Meisterzocker Uli Hoeneß just verkündet. Bernd Müllender

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