■ Press-Schlag: Götterdaumerung
Christoph Daum redet: kein Punkt, kein Komma, kein Atemholen. Kaum möglich, ihn zu unterbrechen. Immer unter Dampf, und was raus muß, muß raus. So kennt man ihn, so produziert er sich gern. Große Klappe, Cassius der Liga, Lautsprecher vom Rhein — das Image steht. Was irritiert an diesem Abend mit dem Trainer des VfB Stuttgart, sind die leisen Töne, die gelegentlich anklingen. Wäre denn vor Wochen noch vorstellbar gewesen, daß dieser verbale Haudrauf so einfach dasitzt und zwischendurch sagt: „Auch ich lebe mit Zweifeln.“ Oder: „So 'ne dicke Haut hab' ich nicht.“
Der vierte Mann ist schuld daran. Jovica Simanic, eingewechselt wenige Minuten vor dem Abpfiff in Leeds. Ein Fehlgriff des Trainers, denn die Regeln lassen nur drei ausländische Spieler zu im Europapokal der Landesmeister. Und als das fällige Entscheidungsspiel in Barcelona verloren war, da hat Präsident Mayer-Vorfelder gewußt: „Das wird ein Spießrutenlaufen.“
Vor allem für Christoph Daum. Der nämlich bekommt jetzt zu spüren, daß er sich nicht nur Freunde gemacht hat in den Zeiten des Erfolgs. Im Nu ist der Meistermacher für die Zeitungen zum „Däumling“ (Badisches Tagblatt) geworden, zum „Christoph Dumm“ (Bild). Und wer hat denn, fragt die Stuttgarter Zeitung, den VfB zur „Lachnummer der Nation“ gemacht? Das sitzt, und der sonst so Offensive fühlt sich arg hilflos in diesen Tagen. „Eine Kampagne“, sagt Daum, laufe gegen ihn, „im Schulterschluß“ würde gegen ihn geschrieben. „Da hatten viele die Gewehre geladen, und jetzt gibt es volle Breitseite.“
Fußball ist Geschäft, „ein Hurengeschäft“, wie Daum sagt, und der 38jährige hat einiges vermasselt. Vier Millionen, acht, oder gar 20, wie ihm vorgerechnet wird? Alles Spekulation, klagt er und fragt: Wie hoch war denn der Transferwert der Mannschaft, als ich kam, und wie ist er heute? Anklagen und Retourkutschen. Werden Sie als Trainer zurücktreten? „Soll ich mich erschießen?“
Christoph Daum ist kein Unschuldslamm, und er weiß das. Nicht ohne Grund sagt er plötzlich, mitten im Redefluß, „Arroganz ist ein notwendiger Selbstschutz“. Das klingt dann, als wolle er bitten: So glaubt mir doch, ich kann auch ganz anders sein! Lange und gerne hat er mit den Schlagzeilen gespielt. Ihr wollt flotte Sprüche? Könnt ihr haben. Das Programm für den Zirkus Bundesliga mache ich. Daum hat diktiert mit flackerndem Blick, die anderen haben geschrieben. Fußball ist Show, und Daum war der Regisseur. Und jetzt, nach Leeds, wird ihm auch von anderen manch alte Rechnung präsentiert. Daums Diagnose: „Verrohung der Medienlandschaft“. Was er auch sagt, es werde gegen ihn gedreht. „Wenn ich mich wehre, reiß ich mich noch mehr rein.“
Gelegentlich klingt es wie Selbstbeschwörung, wenn Christoph Daum sich an diesem Abend vor jungen Zeitungsvolontären in Stuttgart die Seele freiredet. Sicher, er hat den Gang der Dinge nicht mehr wie gewohnt im Griff, er muß ordentlich Prügel einstecken. Aber Daum wäre nicht Daum, wenn er nicht sagen und verbissen gucken würde: „Das macht mich trotzig, das macht mich härter.“ Nur keine Sentimentalitäten. Denn eben noch hat er die Zuhörer mit dem Geständnis verwirrt: „Glücklich bin ich nur, wenn ich einen Schmetterling sehe, wenn ich mit meinem Kind ein Bild male.“
Das hilft nicht weiter. „In erster Linie muß ich Punkte bringen.“ Ein Konto von 5:1 aus dem kommenden drei Spielen, glaubt der VfB-Trainer, würde ihm fürs erste Luft verschaffen. Was aber, wenn die Mannschaft heute im Heimspiel gegen Dresden den dazu geplanten Sieg nicht schafft? „Dann“, weiß Christoph Daum, „wird's ganz schwer.“ Herr Thömmes
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