■ Press-Schlag: Schalke schuld!
Der Zorn wurde unter Tränen geboren. Als Witeczek zum 3:1 für den 1. FC Kaiserslautern traf, schneuzten einige Hartgesottene in der Fankurve des VfL Bochum verstohlen in ihre Taschentücher. Andere drehten sich wortlos um und verschwanden nach Hause. Doch einer band vorher noch seinen blau-weißen Schal an einen Wellenbrecher und zündete ihn an. Der VfL Bochum, zum Ende der letzten Spielzeit von seinen Fans für „unabsteigbar“ erklärt, war am Samstag den 31. Oktober 1992 gegen 17 Uhr auf dem tiefsten Tiefpunkt seiner an Erfolglosigkeit nicht armen 22 Bundesligajahre angekommen.
„Osieck raus!“ war die einzige Parole, auf die sich fast alle im Stadion noch einigen konnten, während die „Gewaltbereiten“ schon die Haupttribüne stürmten, dann aber nicht mehr wußten, ob sie den Bochumer Trainer beschimpfen oder doch lieber die mitgereisten Kaiserslauterer verhauen sollten. Während sich diese Verwirrung in einem kurzen Scharmützel mit der Polizei auflöste, zogen nach dem Schlußpfiff einige Hundert vor die Tribüne.
Im Presseraum herrschte betroffenes Schweigen wie angesichts eines Todesfalles, das nur durch die „Osieck raus!“-Rufe von unten gestört wurde. Und als Rainer Zobel zur Besonnenheit gegenüber seinem Bochumer Kollegen aufrief, versuchten die Hooligans gerade den Sturm auf den Presseraum.
Da beschloß Werner Altegoer, der starke Mann im Vorstand des VfL, sich tapfer gegen das Volk zu stellen. Mit einem Megaphon begab er sich vor die Tür und sprach: „Wir sind alle... Fiep... Piep... Fieeep... Knrrz!“ Die technischen Schwierigkeiten gaben Raum für kurze Raufhändel unter den Empörten, die sich nicht einig waren, ob sie überhaupt etwas hören wollten. Neuer Anlauf! „Fiiiiep!!“ Das Megaphon koppelte wieder nur rück, aber jetzt war die Ursache klar. Zivis mit gewaltigen Schnurrbärten standen mit ihren Funkgeräten auf den Frequenzen der freien Rede. Deshalb blieb es vorne im Getümmel bei einem Gespräch unter zwanzig Augen, während hinten die Protestfront enttäuscht abbröckelte: „Die reden doch, wie se spielen!“
Einer formulierte vom Rand des Blumenkübels das Demo-Ziel: „Es geht doch nur darum, daß er fliegt.“ Und dann setzte einer an, das Zauberwort zu finden: „Der paßt eben nicht zu uns. Der...“ Ein kurzer Blick ins Leere. Wer paßte nicht? Ein Trainer, der Fremdwörter benutzt, die man nie zuvor gehört hatte. Einer, der schon in feinem Zwirn am Spielfeldrand gesehen wurde. Woran mochte er denken? Da platzte es aus ihm heraus: „Der Schalker!“ Da war er, der Quell allen Übels. War Osieck nicht eng mit Schalke verbandelt? Lebt er nicht sogar in Gelsenkirchen? „Schalker raus“, skandierte das Volk. Nun war klar, daß es für die Fans des VfL Bochum keine Umkehrbarkeit ihres Votums gegen den Trainer mehr geben würde. Christoph Biermann
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