■ Press-Schlag: Westentaschen-Heck
Hereinspaziert, hereinspaziert! Das große Spiel wird gleich beginnen. Und jetzt sind Sie gefordert. Ja, Sie da mit dem blau-weißen Schal auf der Fantribüne. Und Sie auch, dort auf dem Schalensitz. Heute zählt auch Ihr Einsatz. Hui! Alle zusammen. Jetzt kommt die Mannschaftsaufstellung. Mit der Nummer Eins: Andreas... Das war doch schon prima. Weiter geht's. Also bitte.
Wir sind doch nicht zum Spaß hier. Auch die Zuschauer haben ihren Part, haben Sie das seit dem letzten Wochenende schon wieder vergessen? Auch Sie sind der Star! Damit sie daran erinnert werden, gibt es uns, die Stadionsprecher. Früher, da haben wir nur die Mannschaftsaufstellungen verlesen und hatten Kleineinsätze. Wir wünschen dem Spiel einen sportlichen und werbenden Verlauf. Für eine Ballspende für die Jugendabteilung bedanken wir uns bei ... So in dem Stil.
Die Zeiten sind vorbei. Auch wenn wir auf ihr Geld, liebe Stadionbesucher, gar nicht mehr so dringend angewiesen sind – schließlich haben wir jetzt doch das Fernsehen –, brauchen wir sie dringender als je zuvor. Als Kulisse für tolle Zwischenschnitte. Damit alle wissen: Bei uns ist toll was los. Das überzeugt unsere Werbekunden. Unsere Spieler wissen dann übrigens auch, daß sie nicht nur ums Geld spielen, sondern auch um Ihre Liebe.
Und jetzt die Welle. Hey, hey! Die Tribüne macht auch mit. Sogar bei den Ehrengästen fliegen die Hände hoch. Prima. Hey, hey! Deshalb ist ein neuer Typ am Stadionmikro gefragt. Wie der Norbert Dickel in Dortmund. Jeder kennt ihn, den Helden von Berlin. Nicht ganz so schwungvoll ist der, aber bei dem Klang seiner Stimme schmilzt jeder BVB-Fan dahin. Unser Norbert, Pokalfinale '89, hach!
Oder der Kollege in Kaiserslautern. Ein Kneipenbesitzer, der richtig Schwung auf den Betze bringt. Ein verkappter Moderator ist das, der wortreichste der Liga: 1:0 in der 19. Minute, da lag der ganze Frust der letzten Wochen drin. Danke, Thomas Vogel. Solche Sachen sagt der. Wahnsinn!
Echte Superleistung am Samstag auch vom Kollegen Papke in Bochum. Der hatte mal kurz 'ne Show für deutsche Schlager bei RTL. So ein Dieter Thomas Heck im Westentaschenformat. Der Mann hat Talent. Der wäre eine Bereicherung für jeden Autoscooter und an der Rampe kaum zu schlagen. Der VfL sollte ihn langfristig unter Vertrag nehmen, sonst kauft ihn noch der Club Aldiana weg.
Die Mannschaftsaufstellung hat er gut eingepeitscht. Dann das Bochum-Lied von Herbert Grönemeyer aufgelegt. Schals hoch und in tiefster Ergriffenheit: Tief im Westen. Seine Appelle ans Publikum kamen danach fast im Fünf-Minuten- Takt: Heute zählt's. Heute sind Sie gefordert. Wir haben 90 Minuten Zeit, es zu packen. Stärken Sie Ihrer Mannschaft den Rücken. Akkordarbeit war das.
Und dann erst mal seine Spezialität: Huiii. So flüstert er bei jedem Bochumer Eckball ins Mikro. Wie an der Raupe eben. Und als sein VfL sich mehr schlecht als recht der Halbzeitpause näherte, appellierte er sogar ans Unterbewußtsein des Schiedsrichters und hauchte ins Mikro: Halbzeit. Der schwarze Mann hatte dann auch gleich abgepfiffen.
Aber noch besser war natürlich sein Zwischenstandsdoping. Jedes Gegentor der Abstiegskonkurrenten Saarbrücken und Köln wurde gleich lauthals verkündet. Uwe Wegmann hat zwar hinterher gesagt, unten auf dem Platz hätten sie das gar nicht mitbekommen, aber warum hat er dann, fünf Minuten nachdem der Zwei-Tore- Rückstand der Konkurrenz vermeldet wurde, das Siegtor geschossen?
Großer Tag vom Kollegen am Bochumer Mikro. Wie hätte der VfL ohne ihn den Gegner „niederwalzen“ können, wie Eintracht-Trainer Horst Heese hinterher meinte? Der Kollege am Mikro war der zwölfte Mann. Der hat in den letzten Monaten aus der eher trüben Kulisse im Ruhrstadion eine der heißesten der ganzen Liga gemacht. Am Samstag schließlich waren die Leute Wachs in seiner Hand, schlichtweg aus dem Häuschen. Auf der Osttribüne wollten sie gar nicht mehr nach Hause gehen. Da hätte er sogar noch Beifall bei der Verlesung von Bochums neuen Postleitzahlen bekommen. Und mit der 44719, Bochum ... Am Mikro Christoph Biermann
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