piwik no script img

■ Press-SchlagWerdender Vater

Als Tante Brunhilde die Zeitung aufschlug, blieb ihr das Früchtemüsli mit Bio-Beeren im Hals stecken: „Was für ein Jammer!“ wehklagte sie, sich die grauen Haare raufend durch die Küche im Morgenmantel auf und ab tigernd, „Boris hat schon wieder verloren.“ Nee, auf unser aller Boris ist kein Verlaß mehr. Er verliert in Sydney, er verliert in Lyon. Wenn er die erste Runde, wie in Tokio, überlebt, ist die am Fernseher mitspielende Tante, die früher erst im Halbfinale aufmerksam hinschaute, schon ganz entrückt. Ein kurzes Glück. Tantchen trägt, seit Boris der Siegeswillen abhanden gekommen ist, ihre Morgengarderobe dezent grau.

Ganz ihrem Gemütszustand entsprechend. Erheitern kann sie dabei auch nicht, daß das Objekt ihrer Tennis-Begierde, quasi als Entschuldigung für all die verlorenen Matches, Vaterfreuden entgegensieht. „Meine Gedanken sind derzeit Baby, Baby, Baby“, verriet der werdende Vater, und Bild konnte seine stabreimende Schlagzeile „Bumm, Bumm, Bumm“ ebenso vielsagend alliterierend austauschen. „Was macht der Junge bloß, wenn das Kind da ist?“ Tantchen schluckt – die aufgestauten Körner hinunter. „Dann trifft er gar nicht mehr, nach durchwachter Nacht am schreienden Kindbett. Unausgeschlafen. Unrasiert. Unkonzentriert.“ Durcheinander ist Herr Becker schon jetzt. Er wolle sich in München ausruhen bei „seiner werdenden Mutter“, sagte er. „Seine werdende Mutter – tch“, Tante Brunhilde läßt an besagtem Papa in spe kein gutes blondes Haar mehr, „als ob die Barbara an dem Kleinen nicht schön genug zu tragen hätte.“

Manchmal ist die alte Tante ungerecht. Ihr eigener Nachwuchs ist längst aus dem Haus. So wird sie ungeduldig, wenn sich Fernseh-Sohn Boris Trennungsschmerz und Bindungsfreuden hingibt statt lustvoll die Filzkugel zu behandeln. Der Bruch mit Ziehvater Ion Tiriac sowie die Gedanken an die „Familie, die ich haben werde, beschäftigen mich weit mehr, als möglichst viele ATP- Punkte zu verteidigen“. Vater werden ist schon schwer. Vor einem Millionenpublikum noch viel mehr.

Tantchen, von Erziehungsfragen hat sie die Nase voll, delektierte sich am alltagsphilosophierenden Tennis-Sieger mehr als am schwangeren Verlierer Becker. Sie wird sich wohl einen neuen Sport mit einem neuen Idol suchen müssen. Vielleicht will Boris nach seiner Entbindung wie einer unserer vielen Bundespräsidenten, Johannes Rau, Mau- Mau mit seinem Anhang spielen. Oder Skat. Oder er spürt wie ZAK-Moderator Küppersbusch, was der „männliche Arbeitsroboter“ bei ihm „verschüttet hat“. Und entdeckt die „weiblichen Instinkte Trösten, Helfen, Versorgen“ (Die Zeit). „Bloß nicht!“ Tante Brunhilde springt vom Küchenstuhl auf, „nicht trösten! gewinnen soll er wieder!“ coh

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen