■ Press-Schlag: Norwegische Meilen
Die Amis haben relativ schnell begriffen, daß in Norwegen mit anderem Maß gemessen wird. „Zehn Kilometer sind zwei norwegische Meilen“, sagt Dick aus Texas, während er schnaufend in den Bus steigt. Als sportlich ambitionierter Mensch braucht man zu dieser Erkenntnis etwas länger. „Oh nein, das Birkebeineren Stadion ist nicht weit entfernt. Ungefähr zwei Kilometer“, erklärt einer der hilfsbereiten Freiwilligenhelfer im grau- rosa Parka. Wunderbar, ein kleiner Spaziergang an frischer Luft hat noch keiner Journalistin geschadet.
Der Pressebus kann der Bus der lauffaulen Sportjournalisten bleiben. Ich gehe. Getragen von Abertausenden norwegischen Fahnen. Inmitten einer wahren Armada von Rucksäcken, von tief vermummten Menschen mit Langlaufskiern in der Hand. Unschwer zu erraten – der Pilgerweg führt hinauf zum Langlaufstadion, das 30.000 Zuschauer faßt. Sie werden auf Skiern versuchen, Björn Dählie, neben Vegard Ulvang ihr großes Vorbild auf den schmalen Latten, 30 Kilometer lang zum Sieg zu schreien. Um hernach selbst in die Loipe zu steigen.
Es sind läppische minus 20 Grad. Warm eingemummelt, kein Problem. Tapfer setzen wir, gezwungenermaßen im Gleichschritt, Fuß vor Fuß. Es knirscht der Schnee, der uns meterhoch und soweit das Auge blicken kann, umschließt. Minutenlang. Eine halbe Stunde lang. Der Weg führt steil hinan. Ein Ende ist nicht in Sicht. Der warmgelaufene Atem macht aus den Vorgängern kleine, vor sich hinrauchende Schornsteine. Und beschlägt die eigene Brille, auf der sich langsam Eisblumen bilden.
„Zehn Kilometer sind zwei norwegische Meilen.“ Langsam dämmert mir, da muß etwas dran sein. Hier scheinen nicht nur die Bäume unendlich zahlreich, sondern auch die Entfernungen unendlich endlos. Die Haare sind ergraut, zu kleinen Eiszäpfchen erstarrt. Nach 45 Minuten wird aus unserem Schwarm ein Meer von weißen Mützen.
Nach einer Stunde geht's kaum noch voran. Menschenstau auf dem Weg ins Stadion. Wir sind vor dem Eingang angelangt, durch den sich der Fan, geduldig die Kuhglocken baumeln lassend, schlängelt. Die vermeintlich sportliche Sportjournalistin schwenkt, in ihrer Selbstüberschätzung ernüchtert, auf den freien Pfad für die Presse, die im warmen Pressezentrum sitzt, vom verachteten Bus gemütlich bergan chauffiert. Beschämt geselle ich mich hinzu, naßgeschwitzt – worauf man sich bei den arktischen Temperaturen nicht unbedingt eingestellt hatte. Im Stadion heizen derweil einige Vorturner den Tausenden zum Frühsport ein. Ist ja auch nicht einzusehen, warum sich nur die Läufer aufwärmen sollen. Gewonnen hat Björn Dählie dann doch nicht. Aber halb so schlimm. Er holte Silber hinter Thomas Alsgaard. Auch ein Norweger. -coh-
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