■ Press-Schlag: Ja, wenn die Jugos damals ...
Mein Freund Nenad Popovic aus Zagreb erinnert sich noch ganz gut. Bei der Fußballweltmeisterschaft 1990 gab es sie ja noch, die „Jugos“, das Team Jugoslawiens. Und was wäre geworden, wenn damals ... „Ach, komm' bloß nicht auf die Idee, daß sie, wären sie Weltmeister geworden, den Krieg verhindert hätten.“
Nein, so etwas zu denken wäre absurd, sagt er. Ihm gellen noch die Pfiffe in den Ohren, in Zagreb, bei den Vorbereitungsspielen, als van Basten den holländischen 1:0-Sieg herausschoß. Damals sind die kroatischen Zuschauer fast ausgeflippt. „Der Trainer, Ivica Osim, ein bosnischer Kroate, hatte nämlich keinen Spieler von Dynamo Zagreb aufgestellt.“
„Nenad, Mensch, du widersprichst dir doch selbst. Du ahnst damit doch immerhin, was Fußball alles bewegen kann, auch wenn es in Zagreb in die andere Richtung ging.“ Und ich erinnere ihn an den Fortgang der Weltmeisterschaft damals in Italien.
Nach dem ersten Spiel Jugoslawiens, nach dem 1:4 gegen die Deutschen, wollte niemand mehr etwas von der Mannschaft wissen. Dann plötzlich die zweite, gute Partie, das 1:0 gegen Kolumbien, dann das 4:1 gegen die Vereinigten Arabischen Emirate und die Qualifikation für das Achtelfinale.
„War da nicht so etwas wie Stimmung aufgekommen? Erinnerst du dich wirklich nicht mehr an Jugoslavija- Rufe? Erinnerst du dich nicht mehr, wie alle, ob Kroaten, Serben, Bosnier, Slowenen, Albaner oder Makedonier plötzlich zusammen an der Glotze hingen?“
„Ach Mann, im Viertelfinale, nach dem 2:1-Sieg gegen Spanien war sogar in Zagreb einiges los.“
Nenad kommt langsam richtig in Schwung. „Himmel, im Viertelfinale gegen Argentinien das Unentschieden. Das Elfmeterschießen. 3:4“. Dann wird's ruhig am Telefon. „Das alles klingt wie eine Mär aus den Vorzeiten der Geschichte.“
Seine Schwärmerei flammt nochmals auf. „Weißt du noch, wie Stojkovic aus Belgrad seine Tore schoß? Und dieses Pech beim Elfmeterschießen. Aber das ist wirklich schon sehr lange her, sehr lange.“
Die damalige Mannschaft, sagt er, ist auseinandergefallen wie der Staat, den sie repräsentierte. Viele Spieler sind jetzt bei ausländischen Renommierclubs. Ivica Osim, der Trainer, hat 1992 den Job geschmissen, nachdem Sarajevo belagert und beschossen wurde.
„Lenk nicht ab, Nenad, wenn sie Weltmeister geworden wären, hätte das den Krieg verhindert?“
Nenad, der Bücherwurm und Intellektuelle, der sonst für jedes und alles eine Erklärung hat, wird aufgeregt. Und daß er nach Worten ringt, ist in keinem unserer Gespräche je vorgekommen. „Ach, was soll's, stell' mir niemals mehr so dumme Fragen.“
Und schon hat er den Telefonhörer aufgelegt. Erich Rathfelder (Split)
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