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■ Press-SchlagDie Schrecken der fußballosen Zeit

Die Schachfreunde von Bad Schwartau landeten einen Überraschungssieg in eigener Halle gegen den SC Magdeburg. Ich wäre sicherlich ebenso begeistert gewesen wie die übrigen 23 Besucher, wenn ich nicht vorher eingeschlafen wäre. Und ähnlich gelangweilt, aber immerhin wach, verfolgte ich den ersten Auswärtssieg der Handballer von der SG Flensburg-Handewitt beim zweimaligen Handball-Europapokalsieger TuSEM Essen. Nicht viel mitreißender war der 10:7-Erfolg des Großflottbeker THGC gegen den Club an der Alster in der Hallenhockey-Bundesliga der Frauen.

Noch mehr als sonst zuckt mein Finger über die TV- Fernbedienung. Immer auf der Suche nach ein bißchen Fußball. Mit meiner Frau habe ich bereits alle Kräche der letzten acht Jahre wieder durchgekaut. Auf meinen gereizten Vorwurf, sie könne noch nicht mal tiefgefrorene Fischstäbchen ordentlich zubereiten, warf sie meinen Videorecorder vom Balkon. Nicht weiter schlimm, denn ich hatte bereits alle Videoaufzeichnungen der Hinrunde zweimal angeschaut. Ebenso wie die offiziellen DFB-Videos über die Bundesliga-Spielzeiten 92/93 und 93/94 sowie meine Schätze mit den Originalaufnahmen der Weltmeisterschaften von 1954 bis 1994 und als Zugabe das olympische Turnier von Seoul 1988.

Mein Freund Christian ist mir in der fußballosen Zeit bis zum Beginn der Rückrunde auch keine Hilfe. Er hat alle Ausgaben des letzten Jahres vom Aktuellen Sportstudio, der Sportschau und ran auf Video. Und schaut sich jetzt, trotz intensivster psychotherapeutischer Behandlung, Woche für Woche die Sendungen des letzten Sommers an. Einfach negierend, daß wir uns schon im Januar des neuen Jahres befinden.

Nicht weiter schlimm wäre das, sagt seine Frau. Es nerve nur ein bißchen, daß Christian auch bei minus neun Grad in Bermuda-Shorts mit dünnem Hemd das Haus verläßt und parallel zu den zeitversetzten Sportsendungen jeden Morgen eine Tageszeitung aus dem letzten Jahr liest.

Als zu Weihnachten der Tannenbaum im Wohnzimmer stand, hat er sich für zwei Wochen im Hobbyraum eingeschlossen. Das kann einem schon auf den Keks gehen. Wenn ich mit ihm telefoniere, erzählt er mir, daß er wahnsinnig gespannt auf das Ergebnis der Bundestagswahl sei und daß er nicht glaube, daß der MSV Duisburg Ewald Lienen den Laufpaß geben würde.

Robert schlug vor, ich solle Hallenfußball gucken. Klar, das sei zwar genauso, als wenn man einem Heroinsüchtigen zwei Tropfen Baldriantinktur anbietet, aber immerhin besser als gar nix, meinte er. Ich habe es versucht. Aber das ist ja wirklich schlimmer als die deutsche Hallenmeisterschaft im Hochseesegeln. Nane Jürgensen

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