Preisgekrönte Schauspielerin: Einfach voll auf die Neune

Gala Othero Winter, Ensemblemitglied am Schauspielhaus, bekommt diesen Jahr der Boy-Gobert-Preis. Sie ist quasi an einer Theaterschule aufgewachsen

Entwickelt ihre Figuren laut Jury souverän: Gala Othero Winter Foto: Miguel Ferraz

HAMBURG taz | Als sie auf dem Weg vom Marmorsaal des Schauspielhauses schnell einen Blick in den Großen Saal wirft, wo gerade das Bühnenbild von „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ aufgebaut wird, sagt Gala Othero Winter: „Endlich ist ab Oktober wieder Probe.“ Die erste Produktion der 25-Jährigen wird in dieser Spielzeit Christoph Marthalers Inszenierung von „Sommergäste/Ein Grenzfall“ nach Maxim Gorki sein.

2014 wurde die gebürtige Hessin direkt von der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg vom Deutschen Schauspielhaus engagiert. Seitdem ging es für sie steil bergauf: 2015 wurde sie für ihre Rolle als Frida Foldal in Karin Henkels Inszenierung von Henrik Ibsens „John Gabriel Borkman“ mit dem Alfred-Kerr-Darstellerpreis ausgezeichnet. Am 27. November wird sie den mit 10.000 Euro dotierten Boy-Gobert-Preis entgegennehmen, den die Körber-Stiftung jährlich an junge SchauspielerInnen der Hamburger Sprechbühnen vergibt.

„Aus einer souveränen Ruhe heraus“ entwickele Winter ihre Figuren, lautet die Begründung der Jury – ein ungewöhnliches Kompliment für eine Schauspielerin in ihrem Alter. Und tatsächlich hat die unmittelbare Wucht von Winters Figuren eine bemerkenswert lässige Selbstverständlichkeit– sei es bei Frida in „John Gabriel Borkmann“ oder in Simon Stephens aktualisierter „Peer Gynt“-Inszenierung, in der sie zusammen mit Angela Winkler und Maria Schrader den ewig suchenden Draufgänger spielt – „Ich bin nicht unerschütterlich, aber ich habe ein Grundvertrauen“, bestätigt Winter.

Auf Fotos ihrer Agentur wirkt sie manchmal sehr zierlich und rehäugig, auf und hinter der Bühne aber bewegt sich Winter neugierig, forsch und unbekümmert und scheint alles aufzusaugen, was um sie herum geschieht. Sorge, wegen ihres Alters und ihres Äußeren in die Mädchenecke gestellt zu werden, hat sie nicht: „Ich habe eine komplette Probenzeit, um für mich und meine Figur einzustehen.“ Zwar habe sie durchaus schon Kämpfe ausgefochten, um ernstgenommen zu werden, „aber man kann oft mehr machen, als man sich selbst zutraut, wenn man frech und angstfrei genug ist“, sagt sie.

Der Name einer Kurtisane

Gala Othero Winter kommt aus einer Theaterfamilie. Die italienische Mutter ist Schauspielerin. Der Vater leitet die „Theaterschule im Kalkwerk“ in Diez an der Lahn, nicht weit von Winters Heimatstadt Limburg. Ihren Zweitnamen hat sie von der spanischen Sängerin, Tänzerin und Kurtisane „La Bella Otero“, 1868 in Galizien geboren und 1965 in Nizza verstorben.

„Das muss eine wahnsinnige Frau gewesen sein, die durch Scheichs und andere reiche Liebhaber zu unglaublich viel Geld gekommen ist. Leider war sie spielsüchtig, hat ihr ganzes Geld verprasst und ist arm gestorben.“ Warum Othero bei ihr mit H geschrieben wird, weiß Winter allerdings auch nicht.

Vielleicht ist es ihre Offenheit, gepaart damit, keine Furcht vor einer Haltung zu haben, die ihren Aufstieg begründet

In der „Theaterschule im Kalkwerk“ ist Gala Winter praktisch aufgewachsen: „Außer der Theaterschule gibt es dort auch Proberäume für Bands und Künstlerateliers, aber weil es auf der Grenze von Hessen und Rheinland-Pfalz liegt, fühlt sich niemand dafür zuständig. Man hat dort eine Narrenfreiheit, die diesen Ort sehr stark prägt.“ Neben Winter hat auch die Jungregisseurin Leonie Böhm, die jetzt am Theater Bremen, auf Kampnagel oder am Thalia-Theater inszeniert, in der Narrenfreiheit des Kalkwerks ihre ersten künstlerischen Schritte probiert.

Einen kurzen Moment gab es nach dem Abitur, als Gala Winter sich fragte, ob sie wirklich ans Theater wolle: „Es war immer selbstverständlich, und ich habe mich gefragt, ob ich einfach Scheuklappen aufhabe. Aber dann habe ich gedacht: Wenn ich versuche, Schauspielerin zu werden, dann jetzt. Später kann ich immer noch was anderes machen.“

So landete sie an der Hochschule für Musik und Theater in Hamburg und fasste als Frau für alle Fälle schon während des Studiums Fuß im Schauspielhaus: 2013 sprang sie spontan in Katie Mitchells Inszenierung „Alles weitere kennen Sie aus dem Kino“ und 2014 in Johan Simons „Neger“-Inszenierung ein, die im Vorfeld nicht besonders reflektierte Kritik von antirassistischen Gruppierungen hervorgerufen hatte.

Angst zu spielen hatte sie nicht: „Ich bin ja zwei Wochen vor der Premiere eingesprungen und habe mir eigentlich nur den Text reingekloppt und mich reingeschmissen“, sagt sie. „Außerdem, wenn du einen Helm aufhast und das Publikum noch nicht mal dein Gesicht sieht, ist das sowieso ein geschützter Raum.“ Ihr Mut wurde belohnt: Ihre Gastrollen ermöglichten Winter ein Engagement am Schauspielhaus, ohne dass sie durch die Theater zum Vorsprechen tingeln musste.

„Ich habe da auch viel Glück gehabt“, räumt sie ein, und das Unprätentiöse nimmt man ihr ab. Vielleicht ist es ihre Offenheit, gepaart damit, keine Furcht vor einer Haltung zu haben, die ihren steilen Aufstieg begründet. Mit den gängigen Verweisen auf Ironie und Meta-Ebenen jedenfalls kann sie wenig anfangen:

„Ich finde, Ironie ist immer so ungefährlich, weil sie Auslegungssache ist.“ Damit müsse man sehr vorsichtig umgehen. „Wenn der Spieler schon so einen großen Abstand zu der Sache hat, von der er spricht, wie soll dann der Zuschauer da reinkommen und sich nicht denken: Wenn es dir egal ist, warum sollte es mir dann nicht egal sein?“

Komik sei da eher ihr Ausdrucksmittel. Sie selbst sieht gern Theater, „das nicht erst durch einen Interpretationsfilter geht, etwas, was man nicht rational erfasst, sondern eine sofortige Reaktion hervorruft“. Als Beispiel dafür nennt sie das 2005 in Frankfurt gegründete Tanzensemble „The Forsythe Company“, das seit 2015 unter dem Namen „Dresden Frankfurt Dance Company“ auftritt – was insofern erstaunlich ist, als der Gründer und Choreograf William Forsythe für intellektuelle Performances bekannt wurde und von der Presse gar als „Kaiser der Dekonstruktion“ bezeichnet wurde.

Schiss vorm Film

Doch für Theorie scheint sich Winter nicht besonders zu interessieren. Das Handeln und vor allem das Spielen ist es, das sie interessiert. Eine Traumrolle habe sie nicht: „Das liegt schon daran, dass ich nicht so bewandert bin in der Dramenliteratur. Ich vergesse Sachen schnell, auch wenn ich ein Buch gelesen habe. Und eine Rolle erschließe ich mir nicht durchs Lesen, ich muss das immer ausprobieren.“

Sie interessiere sich für alle möglichen Spielweisen, sagt Gala Winter, und überhaupt denke sie nie weiter als maximal eine Woche. „So bauen sich auch nicht so hohe Erwartungshaltungen auf. Man hat keine Angst, jemandem nicht gerecht zu werden, und macht einfach los.“

Aber klar, zwei renommierte Preise hintereinander, das baut auch bei Gala Winter Druck auf: „Man fängt an, darüber nachzudenken, wozu Preise überhaupt da sind, ob das gerechtfertigt ist, wer einem die geben möchte und ob man das jetzt noch mal beweisen muss? Aber andererseits: Ich bin ja nicht der einzige Mensch auf der Welt, dem das passiert.“

Vor einer Sache hat sie dann aber doch ein bisschen Bammel: Bei aller schauspielerischen Erfahrung hat sie immer nur auf einer Bühne, noch nie vor einer Kamera gestanden. „Ich habe total Schiss davor, einen Film zu drehen“, bekennt sie. Auf einer Bühne wisse sie, wie man sich bewegen müsse, schon allein durch die Interaktion mit dem Publikum.

„Aber beim Film würde ich mir denken: Warum soll ich hier als Einzige so tun, als ob alle anderen nicht da wären? Außerdem kann man vor der Kamera nichts verstecken. Die merkt sofort, wenn einem etwas an der Rolle nicht ganz klar ist.“ Aber natürlich: Den Film möchte sie als nächstes ausprobieren.

Hat jemand, der praktisch schon sein ganzes Leben lang auf der Bühne verbringt, eigentlich Interessen außerhalb des Theaters? „Das ist gar nicht so einfach“, gibt Winter zu. Sie gehe gern auf Punkkonzerte: „Die Bands an sich sind mir egal, ich richte mich nach den Namen, ‚Kacke und Arsch‘ oder „Ausgekotzt und trotzdem gut'“.

Sie schätzt das Hamburger Punk-Urgestein Jens Rachut. „Im Vergleich zum Theater, wo immer alles mit Sinn aufgeladen wird, ist das eine große Erleichterung und ein wichtiger Kontrast“, findet sie. Im Punk-Duktus würde man zu Winters Souveränität vielleicht eher sagen: einfach voll auf die Neune. Ein Bühnenerlebnis ist das in jedem Fall.

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