Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst: Endstation Hype
Der Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt Arbeiten der für den Preis der Nationalgalerie für Junge Kunst nominierten Künstler.
Das Schönste an vielen Städten ist bekanntlich der Bahnhof. Für Berlin gilt das nicht. Denn die vielen tausend Künstler, die dorthin strömen, wollen ja nicht weg aus der Stadt, sondern nach oben. In den Olymp der Kunst gelangen sie aber eher über den U-Bahnhof Kottbusser Tor, mitten in der Kreuzberger Subkultur, als über den Hamburger Bahnhof. Die Kunst der Zukunft sucht man in dem edlen Kopfbahnhof oft genug vergebens. Auch wenn er sich "Museum der Gegenwart" nennt.
Schon bemerkenswert, dass das Antizipatorische an den vier Positionen junger Kunst, die dort jetzt präsentiert werden, ausgerechnet das Historische ist. Zumindest gilt das für Cyprien Gaillard und Andro Wekua. In seinem Film "Artefacts" filmt der französische Berliner Gaillard einen Trupp amerikanischer Soldaten, der während des Irakkrieges durch die antike Stadt Babylon streift. Und in dem Streifen "Never sleep with a strawberry in your mouth" des georgischen Berliners Wekua gleitet ein androgynes Wesen durch eine fantastisch-reale Erinnerungslandschaft.
Gaillard, Jahrgang 1980, und Wekua, Jahrgang 1977, sind in diesem Jahr neben zwei Künstlerinnen für den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst nominiert, über den es in den zehn Jahren seines Bestehens regelmäßig Streit gab. Die Anziehungskraft seines Londoner Vorbildes, des Turner-Preises, entwickelte er nie, die Auswahl der Künstler ist meist vorhersehbar. Im Gegensatz zu der verunglückten Gruppenausstellung "Based in Berlin" in diesem Sommer ist er aber immer noch die reflektierte Variante des Versuchs, Talente herauszuheben, die die Stadt zur Kunstmetropole Nummer eins gemacht haben: Die Teilnehmer dürfen von überall herkommen, müssen aber in Berlin leben und unter 40 Jahre alt sein.
Exzessiver Konsum
Verglichen mit "Based in Berlin", der Bastelwerkstatt im Monbijoupark, kann sich diese Kunst qualitätsmäßig sehen lassen. Wirklich aufregende Entdeckungen sucht man aber vergebens. Dass Gaillard die mit seinem iPhone aufgenommenen Bilder ins analoge 35-mm-Format rückübersetzt, ist so neu nicht. Erosionsprozesse in der Kultur hatte er schon im Frühjahr in den Berliner Kunst-Werken an einer Pyramide aus Bierkästen demonstriert, die seine Besucher durch exzessiven Konsum derselben ruinierten. Der als Dauerloop sich langsam selbst zerstörende "Artefacts"-Film hingegen langweilt mit einem Déjà-vu-Effekt.
Dasselbe gilt für die schwedische Berlinerin Klara Liden, Jahrgang 1979. Eine melancholische Metapher auf die Künstlerexistenz mag in ihrem knapp zweiminütigen Video sehen, wer will. Eher hat man das Gefühl, die 1979 Geborene befestige ihren eigenen Mythos, wenn sie in einem Mülleimer verschwindet: Liden, die Geheimnisvolle. Wekua ist auf den Kunstkniff verfallen, die Melancholie angesichts des Niedergangs seiner Heimatstadt Sochumi in einer schillernden Animationstechnik zu neutralisieren. Seine Arbeit, die schon in Wien zu sehen war, hat er mit der Skulptur eines Liegenden, dessen Kopf in einem Haus steckt, aufgepeppt. Aber Surrealismus war schon. Und für den Raum, der das Kunstwerk umgibt, wurde man auch schon raffinierter sensibilisiert als mit den gedehnten Glasskulpturen der deutschen Berlinerin Kitty Krauss.
In Berlin hat es Gegenwartskunst leicht und schwer zugleich. Noch gibt es genug Platz für alle. Doch ihr Weg nach oben führt wahlweise über das Repräsentationsbedürfnis der Macht, durch den Wildwuchs des Marktes oder über Privatsammlungen. Eine Instanz, die dem Willkürlichen, Verkäuflichen und Geschmäcklerischen objektivierend entgegenwirkt, wäre da besonders wichtig. Das Zeug zu dieser Korrekturfunktion hätte der Preis. Nicht nur wegen des gestuften Auswahlverfahrens mit zwei Jurys, sondern auch weil er zur Ästhetik der Gegenwart aufschließt: In diesem Jahr wird er um einen Preis für junge Filmkunst erweitert. Er hat sich auf eine kleine Kampfansage eingelassen: Dass sich unter den vier Positionen keine Malerei befindet, darf als Replik auf die gerade zu Ende gegangene Kunstmesse abc art berlin contemporary gewertet werden, die unter dem Motto "about painting" die ideologisch verdächtige, aber lukrative Malerei neu zu promovieren suchte.
Dieser Mut hätte die Juroren nicht verlassen sollen. Zwar gehört es nicht zur Aufgabe des Preises, krasse Außenseiter zu entdecken wie den, mit dem das Künstlerhaus Bethanien derzeit den Kunstherbst bereichert: Eine Ausstellung zeigt den aufregenden DDR-Grenzgänger zwischen Poesie und Kunst, "Mathias" Baader Holst. Als er 1990 mit 28 Jahren überraschend bei einem Verkehrsunfall starb, war er im besten Preisalter. Doch mit Gaillard, Liden, Krauss und Wekua haben sich die Königsmacher der Kunst auf ein paar gut vernetzte Angesagte verlassen. Womit der Hamburger Bahnhof in diesem Jahr nur die Endstation Hype bleibt.
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