Preis der Nationalgalerie Berlin: Karneval der Zeiten

Die mexikanische Künstlerin Mariana Castillo Deball findet sinnliche Wege in die Geschichte. Sie erhält den Preis der Nationalgalerie Berlin für junge Kunst.

Mariana Castillo Deball sitzt mitten in der Geschichte in ihrer Ausstellung im Hamburger Bahnhof in Berlin. Bild: David von Becker

Der Stadtplan, den Mariana Castillo Deball in den schwarzen Fußboden gefräst hat, nimmt fast den ganzen Raum ein, den die die mexikanische Künstlerin im Hamburger Bahnhof, dem Berliner Museum für Gegenwartskunst, bespielt. So läuft man als Besucher mitten hinein zwischen die rätselhaften Symbole, lateinische Beschriftungen und Bezeichnungen von Straßen und Häusern.

Diese Stadtlandschaft unter den Füßen ist eine vergrößerte Version einer berühmten Karte der mexikanischen Hauptstadt aus dem 16. Jahrhundert, die zur Zeit der kolonialen Eroberungen entstand. Pyramiden und Opferstätten verweisen auf den atzetekischen Ursprung. Die Vergrößerung des Dokuments öffnet eine Tür in die Vergangenheit, als diese Stadt noch als Terra Icognita galt und von Fantasien der europäischen Kolonisatoren besetzt wurde.

Am Donnerstag Abend erhielt Mariana Castillo Deball den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst, den der Freundeskreis der Nationalgalerie in Berlin auslobt. Zur Jury gehörten Okwui Enwezor (Haus der Kunst, München), Luis Pérez-Oramas (Museum of Modern Art, New York), Kitty Scott (Art Gallery of Ontario) und Udo Kittelmann und Gabriele Knappstein, Direktor und Kuratorin des Berliner Hauses. Eine Einzelausstellung dort 2014 ist der Preis, den Mariana Castillo Deball damit erhält.

"Mariana Castillo Deballs Arbeit hat uns überzeugt, da sie die Bedeutung einer im Austausch stehenden Welt vor Augen führt. In ihrer Arbeit untersucht sie aktuelle archäologische, anthropologische und museologische Diskurse im Hinblick auf ihre langfristige Gültigkeit. Mariana Castillo Deballs Beschäftigung mit Geschichte hat eine zeitgenössische Relevanz", begründete die Jury ihre Entscheidung.

Ein Mahlstrom der Geschichte

Die 38-jährige Künstlerin, die seit einigen Jahren in Berlin lebt, beschäftigte sich mit Geschichte und ihren Formen der Überlieferung auch in der Skulptur "Uncomfortable Objects", die sie letztes Jahr auf der Documenta im Fridericianum zeigte. Über einen gebogenen und spitzzulaufenden Wandschirm schien sich eine Flut von Objekten zu ergießen, die teils an archäologische Fundstücke erinnerten, teils an menschliche Gliedmaßen - ein Mahlstrom der Geschichte, der sich auch historischer Techniken, wie der barocken Stukkatur, bediente.

Mit dieser Arbeit bezog sich Deball auf die Tatsache, dass im Fridericanum in Kassel einmal ein historisches Archiv gewesen war, das auch Manuskripte zur Alchemie gelagert hatte. Dieser Aspekt interessierte sie sehr: "Ein Alchemist damals hat die Welt ganz anders betrachtet als wir heute. Er hat etwa gesagt: ich versuche Gold zu finden, also transformiere ich die Natur. Aber die Natur verändert auch mich - es ist eine gegenseitige Veränderung. Das geschieht heute nicht mehr. Denn wir in unserer Berufswelt denken doch immer: Wir verändern die Welt und begreifen nicht, das die Welt auch uns verändert", sagte sie zu ihrer Arbeit in Kassel.

Im Hamburger Bahnhof in Berlin ist Maria Castillo Deball zusammen mit den anderen drei Kandidaten im Wettbewerb um den Preis noch bis zum 12. Januar 2014 ausgestellt.

Der Aspekt der Verwandlung spielt auch in ihrer jetzigen Installation im Hamburger Bahnhof eine Rolle, in den karnevalesken Figuren und Kostümen, die sie dort aufgestellt hat. In Mexiko und in Brasilien hat sie den Karneval unter die Lupe genommen, den Austausch von Zeichen aus den inidgenen und den europäischen Kulturen. Auch das ist ein Speicher von Erinnerung und verwandelter Vergangenheit, der anders als die Archäologie und die museale Dokumentation immer wieder in die Gegenwart geholt und gelebt wird.

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