: Praxis contra Poliklinik
■ Bündnis 90/Grüne wirft Senat Desinteresse an Polikliniken vor/ Gesundheitsverwaltung: »Für alle Vorschläge offen«
Berlin. Der Umbau des ambulanten Gesundheitswesens nach westlichem Modell in Ost-Berlin sorgt für heftige Spannungen. Vor allem das von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) vertretene Dogma der freien Niederlassung verunsichere viele Poliklinikärzte, erklärte gestern der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion Bündnis 90/ Grüne, Bernd Köppl. Permanent betone die KV den Übergangscharakter der Polikliniken und spräche ihnen so das Recht ab, über die Zeit des Einigungsvertrages hinaus überhaupt noch zu existieren. Nicht viel besser sei die Haltung der Senatsverwaltung für Gesundheit: »Senator Luther versteht nicht, worum es geht, und Staatssekretär Orwat arbeitet sehr gezielt im Sinne der KV.«
Für den Großteil der knapp 3.000 Ostberliner Ärzte sei die Niederlassung aus finanziellen oder Altersgründen jedoch überhaupt nicht möglich. Die KV informiere nur unzureichend über das »völlig fremdartige und hochkomplizierte« Finanzierungssystem der ambulanten Versorgung. Allzu leicht könnten die vorhandenen Einrichtungen den haltlosen Versprechungen kommerzieller Beratungsfirmen auf den Leim gehen. Köppl schlug deshalb vor, die Polikliniken zu regionalen Gesundheitszentren umzubauen. Denkbar sei die Trägerschaft von freien und gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden oder als Verein.
»Wir sind die letzten, die eigenständig erarbeitete Konzepte der Polikliniken zurückweisen würden«, erklärte dazu der persönliche Referent des Gesundheitssenators, Wolfgang Erichson, gegenüber der taz, »die Ärzte drängen selbst auf Niederlassung.« Im übrigen sei Berlin das einzige der neuen Länder, das die Finanzierung der Poliklinik bis Ende des Jahres sicherstellt: »Für uns bedeutet dies nach einer ersten Hochrechnung ein Defizit von 99 Millionen Mark«, fast alle Polikliniken schrieben rote Zahlen. Denkbar sei die nötige Umwandlung der staatlichen Einrichtungen in Ärztehäuser, Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbH) oder als kommunale Gesundheitszentren. Die Konzepte der diversen Unternehmensberatungen müßten jedoch auf ihre Seriosität hin überprüft werden, »und das dauert eben einige Zeit«. Besonders in Außenbezirken wie Marzahn würde ernsthaft erwogen, Polikliniken in teilstationäre Einrichtungen umzuwandeln. Ein großes Problem seien allerdings nach wie vor die ungeklärten Eigentumsfragen.
Dies ließe sich indessen klären, hielt Köppl entgegen. Die Landesregierung müsse nur per Verordnung erklären, daß die betroffenen Einrichtungen für das Gemeinwohl unabdingbar seien. Dies jedoch würde eine Aufweichung alter Organisationsformen bedeuten — statt dessen fördere der Senat lieber das eingefahrene Modell der individuellen Niederlassung. maz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen