: Prag als Lebensretter
■ Lyrik und Rhythmus: Delfs schiffte die Kammerphilhamonie durch Mozarts und Schulhoffs musikalische Explosionen
In keiner der Antologien über die Musik des 20. Jahrhunderts ist der 1894 geborene tschechische Komponist Erwin Schulhoff erwähnt: 1942 im KZ ermordet, spielte er in den zwanziger und dreißiger Jahren eine eigenständige Rolle, und es ist mehr als ein Akt nachholender Gerechtigkeit, daß wir seine Musik heute kennenlernen können. Man mag – auch dieses Konzert machte den entsprechenden Eindruck – an die musikgeschichtliche Wichtigkeit und die kompositorische Qualität berechtigte Anfragen haben, die heterogene Musik, die er Anfang des Jahrhunderts nach dem Zusammenbruch der Tonalität komponierte, ist zunächst einmal der Erinnerung und der Beachtung wert. Dafür setzt sich nicht zum ersten Mal die Deutsche Kammerphilharmonie Bremen ein, die jetzt zwei Werke von 1927 und 1932 in ihrem letzten Abonnementskonzert unter der Leitung von Andreas Delfs interpretierte.
Nach der Weltkriegserfahrung hatte sich Schulhoff vor allem verschiedenen Richtungen des Dadaismus angeschlossen, um anschließend sich mit den Einflüssen des Jazz auseinanderzusetzen: seine Ästhetik basierte immer auf einer ausgeprägt politisch linken Position (1931 komponierte er das Kommunistische Manifest). Daß er gleichzeitig sagen mußte, daß Musik „niemals Philosophie „ sein kann, daß der Rhythmus einem „ekstatischen Zustand“ des Menschen entspringt, diesen Widerspruch trägt er in seinem Werk aus.
Im „Double Concerto pour flute et piano avec accompagnement d'orchestre a cordes e de deux cors“ ist dies alles zu finden, auch die historische Herkunft aus der Jahrhundertwende: Auflösung der Tonalität, Chromatik ergeben zusammen mit dem Primat des Rhythmus einen eigenen neoklassizistischen Stil, der sich stets einfallsreich und gekonnt, immer auch auch leicht nervend ebenso expressionistisch wie konstruktivistisch gibt. Die SolistInnen Bettina Wild und Aleksandar Mazdar fanden einen durchgehend differenzierten Stil voller Lyrik und rhyhtmischer Prägnanz, auch ganz einfach vorwärtstreibender musikantischer Spielfreude, die beim Publikum gut ankam.
Das „Concerto pour quatuor –a cordes avec L'accompagnement d'une orchestre des instruments a vents“ nimmt Ausdruckselemente des Jazz noch stärker auf und verfällt im zweiten Satz in eine eklektizistische Spätromantik: der frühe Schönberg klingt so ähnlich. Das Howthorne String-Quartet – Mitglieder des Boston Symphonie Orchestras – und die trefflichen Bläser der Kammerphilharmonie setzten sich ungemein qualifiziert für den auch naiven Zauber dieser Musik ein.
„Prager“ war der Titel des Konzertes: in Prag konnte ab 1923 Schulhoff leben, und Prag hatte auch schon einmal eine wichtige Rolle in Wolfgang Amadeus Mozarts Leben gespielt: nachdem es in Wien für ihn immer schlechter wurde, waren die Prager von „Die Hochzeit des Figaro“ und „Don Giovanni“ so begeistert, daß seine Musik auf der Straße gepfiffen wurde. Von dieser existentiellen Situation zeugt seine von anderen so genannte „Prager Sinfonie“ in D-Dur, KV 504. Man hört in ihr den quirligen Parlandoton des Figaro (1786) ebenso wie die Schläge des Komtur aus Don Giovanni (1987): dafür sorgte allerdings ganz besonders die Interpretation durch den jungen Dirigenten Andreas Delfs. Da Delfs keinen Takt schlägt, gleichzeitig aber die musikalische Geste mit höchster Präzision vermittelt – fast kann man die Musik an seiner Körperhaltung sehen – kann ihm nur ein Orchester folgen, das in diesem Sinne mitatmet, mitdenkt und mitmusiziert. Und da muß man der Kammerphilharmonie bis auf einige verschwommene Übergänge und die nicht immer gebannte Gefahr der Hetze im letzten Satz eine mitreißende Leistung bescheinigen: explosiv der Rhythmus, voller Licht und Schatten die Bläserfarben, voll atemloser Spritzigkeit das Presto.
Ute Schalz-Laurenze
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen