: Präsident in der Provinz
Auf Einladung von Angela Merkel besucht der US-Wanderkönig George W. Bush ab heute Mecklenburg-Vorpommern – das potemkinsche Dorf Trinwillershagen ist auch schon fertig!
VON ARNO FRANK
Endlich zahlt sich mal aus, dass der Osten in den vergangenen Jahren mit größenwahnsinnigen Bauprojekt zugepflastert worden ist. Denn wer hätte gedacht, dass auf dem Flughafen von Rostock-Laage eine Boeing 747 landen kann? Heute Abend jedenfalls wird der US-Präsident George W. Bush zu seinem dritten Deutschlandbesuch einschweben. Und bei jedem Besuch, so muss es dem Präsidenten scheinen, wird dieses Deutschland immer kleiner und netter. Erst war er in Berlin, dann in Mainz, und nun kommt er – über Stralsund – nach Trinwillershagen, 1.300 Einwohner. Trin was?
So verschlafen das Gemeindchen Trinwillershagen im nördlichen Vorpommern beim flüchtigen Durchfahren auch wirken mag, so reich ist es bei näherer Betrachtung an kulturellen Angeboten – vom idyllischen Familientreff der evangelisch-methodistischen Kirche über das traditionsreiche Kulturhaus oder die moderne Kegelbahn, die womöglich weltweit einen Ruf wie Donnerhall genießt, wer weiß.
Als gesichert darf gelten, dass in dem 10 Kilometer südlich von Stralsund gelegenen Ort der abschließende Höhepunkt des Besuches stattfinden wird, zu dem Angela Merkel den US-Präsidenten eingeladen hat. Weil dort, im Wahlkreis Trinwillershagen, die Kanzlerin 1990 ihren politischen Aufstieg begann – ein Umstand, der George W. Bush nachhaltig fasziniert haben soll. Deshalb ist es auch gar nicht nett, Trinwillershagen abfällig als „potemkisches Dorf“ zu bezeichnen.
Tatsächlich ist Trinwillershagen, erstmals erwähnt im Jahre 1255, alles andere als ein hastig aufgehübschtes Bühnenbild für den hohen Besuch – ein Vorzeigedorf war es schon zu DDR-Zeiten. Walter Ulbricht persönlich führte hier 1957 dem sowjetischen Politbüromitglied Anastas Mikojan vor, was er sich unter moderner sozialistischer Landwirtschaft so vorstellte.
Heute verströmt es den typisch netten und harmlosen Charme, der allen subventionierten Flecken im Osten eigen ist – und illustriert gerade deshalb kongenial die harmlose und nette neue US-Politik der Kanzlerin. Den „echten Osten“ will sie ihrem Besucher zeigen, ihm „repräsentative Bürger“ zum Händeschütteln zuführen und insgesamt einen guten Eindruck hinterlassen, bevor er zum G-8-Gipfel nach Moskau weiterdüst. So heimelig das Programm, so gewaltig der Aufwand.
Fast 13.000 Polizisten sind im Einsatz, um 1.300 Trinwillershagener im Auge zu behalten, fünf Streifenboote patrouillieren auf Flüssen und an der Küste, und am Ende wird der ganze Spaß rund 12 Millionen Euro gekostet haben, wahrscheinlich sogar mehr, das ist noch nicht ganz raus.
Dabei ist es nicht so, dass das ganze Spektakel ohn’ Beispiel wäre. Es erinnert vielmehr an das Reisekönigtum zu fränkischer Zeit, als die Monarchen auf eine Hauptstadt verzichteten und ihr Reich von wechselnden Orten aus regierten. Oder an die aufwändigen Inspektionsreisen römischer Imperatoren in wichtige, aber noch nicht ganz befriedete Provinzen – wie Germanien. Wo’s heute ein Eintrag ins Goldene Buch tut, wurden damals dem gottgleichen Besuch von den Gastgebern noch gerne Tempel errichtet. Lustwandelte der Sonnenkönig durch Versailles, wurden auch immer nur jene Brunnen eingeschaltet, an denen er gerade vorbeispazierte. Und ist nicht auch Rom immer dort, wo der Papst sich gerade aufhält?
Auch Feldmarschall Grigori Alexandrowitsch Potjomkin hatte gute politische Gründe, seiner Zarin Katharina II. bei ihrem Besuch auf der frisch eroberten Krim hübsche Dörfer aus bemalten Kulissen zu errichten, um den „echten“ und „repräsentativ“ verheerten Zustand der Gegend zu verbergen – er mochte einfach nicht in Ungnade fallen bei seiner Fürstin, was verständlich ist.
Paradoxerweise ist es immer der Geehrte selbst, dem aus einem solchen Verhalten langfristig Nachteile erwachsen. Zu Hause hält sich George W. Bush in einem gepflegten „Truman Show“-Ambiente auf.
Wenn er reist, verwandelt sein allmächtiger Sicherheitsapparat selbst Städte wie Bagdad mühelos in eine orientalische Filiale von Disneyland. Aus dieser Perspektive wird alle Welt deckungsgleich mit dem Bild, das sich Amerika gerne von sich selbst macht: toll, aber immer irgendwie auch gefährdet. Es würde nicht verwundern, ließen künftige Präsidenten das gefährliche Reisen irgendwann ganz sein. Wichtige Gespräche könnten dann in virtuellen Chatrooms stattfinden, und im Hintergrund glimmt jeweils vage das computergenerierte, komplett realitätsbereinigte Lokalkolorit – das aber auch dann noch von den Gastgebern bezahlt und programmiert werden müsste.