Präsident Trong scheut Öffentlichkeit: Vietnamesen rätseln um Staatschef
Staatsmedien räumen ein, Nguyen Phu Trong habe gesundheitliche Probleme. Experten zufolge soll es einen Kampf um die Nachfolge geben.
Wer regiert Vietnam? Offenbar ist Partei- und Staatschef Nguyen Phu Trong dazu nicht mehr fähig: Seit dem 14. April ist der 75-Jährige nicht mehr öffentlich aufgetreten. An den Feierlichkeiten zum Nationalfeiertag, dem Jahrestag des Kriegsendes vom 30. April 1975, nahm er ebenso wenig teil wie an den Terminen am 1. Mai.
Staatliche Medien räumten 12 Tage nach seinem Abtauchen zumindest ein, dass Trong nicht näher genannte gesundheitliche Probleme habe. Diese seien durch Temperaturschwankungen hervorgerufen worden. Trong sei auf dem Weg der Besserung und werde seine Amtsgeschäfte „demnächst“ wieder aufnehmen.
Vietnamesische Exilmedien wie die in Berlin erscheinende Onlinezeitung Thoibao.de dagegen hatten unter Berufung auf Quellen aus Trongs Umfeld bereits am 15. April von einem Schlaganfall mit Hirnbluten geschrieben, den der Staatschef erlitten habe.
Inzwischen ist Trong dem Internetmedium zufolge zwar außer Lebensgefahr. Er sei aber an den Rollstuhl gebunden und leide unter Sprachstörungen. Erste Laufversuche würden für eine allmähliche Genesung sprechen, es bestehe allerdings die Gefahr eines weiteren Schlaganfalls.
Ämterhäufung wie unter Ho Chi Minh
Der studierte Literaturwissenschaftler Trong gilt als ultrakonservativ und regiert das sich sozialistisch nennende Einparteienland mit eiserner Hand. Seit er 2011 zum Chef der Kommunistischen Partei, der einzigen legalen Partei in Vietnam, gewählt wurde, hat Vietnam in Sachen Menschenrechte einen Rückwärtsgang eingelegt. Repressionen richten sich gegen Blogger, Pro-Demokratie-Aktivisten, Menschen, die sich für soziale und ökologische Belange einsetzen, aber auch gegen abtrünnige Funktionäre. Gegen sie werden die Todesstrafe oder langjährige Haftstrafen verhängt, oft mit Begründungen wie „Propaganda gegen den Staat“ oder „Vorbereitung für einen Umsturzversuch“.
Die Organisation Reporter ohne Grenzen stuft Trong unter die zehn größten Feinde der Pressefreiheit weltweit ein. Er hatte es auch zur Aufgabe erklärt, den abtrünnigen Wirtschaftsfunktionärs Trinh Xuan Thanh, der 2017 vom vietnamesischen Geheimdienst aus Berlin nach Hanoi entführt wurde, zu ergreifen.
Als letzten Herbst der damalige Staatspräsident Tran Dai Quang starb, übernahm Trong dessen Amt gleich mit. Damit brach er ein Tabu in Vietnam: Normalerweise wird das Land durch eine sogenannte „kollektive Führung“ aus Parteichef, Staatspräsident, Ministerpräsident und Parlamentspräsidentin repräsentiert. Die Funktionen sind streng nach Regionen und parteiinternen Strömungen quotiert, zudem soll seit 2016 eine dieser Funktionen von einer Frau bekleidet werden.
Eine solche Ämterhäufung wie im Fall von Trong hatte es seit den Anfangsjahren der Regierung von Ho Chi Minh nicht mehr gegeben. Begründet wurde sie damit, dass Trong so außenpolitisch besser auftreten könne. Allerdings war die Ämterhäufung nur bis zum Parteitag 2021 vorgesehen.
Hinter den Kulissen tobt ein Kampf
Sie erweist sich bereits als Bumerang: Vor zehn Tagen starb mit Le Duc Anh ein früheres vietnamesisches Staatsoberhaupt. Nach vietnamesischem Recht obliegt die Vorbereitung und Zelebrierung von Begräbnis und Staatstrauer entweder dem Partei- oder dem Staatschef, also in jedem Fall dem schwerkranken Trong. Weil der außer Gefecht ist, liegt der Verstorbene noch im Kühlhaus, was gegen traditionelle Werte im Umgang mit Verstorbenen verstößt. Für den 3. Mai sind die Zeremonien angekündigt – unter Leitung von Trong. Viele Vietnamesen warten gespannt, ob der sich dann wieder öffentlich zeigt.
Dem amerikanischen Politikwissenschaftler und Vietnamexperten Carlyle A. Thayer zufolge tobt hinter den Kulissen bereits ein Kampf um die Nachfolge. Das Präsidentenamt könnte demzufolge vorübergehend bis zum Parteitag 2021 Vizepräsidentin Dang Thi Ngoc Thinh übernehmen, die bereits letztes Jahr einige Wochen amtierte.
Für die Nachfolge als Parteichef werden zwei Hardliner gehandelt – aber auch zwei ein wenig moderatere Politiker, nämlich der Parteichef von Ho-Chi-Minh-Stadt, Nguyen Thien Nhan, der in Magdeburg studiert hatte sowie Vizeparlamentspräsidentin Tong Thi Phong, die im Falle ihrer Wahl die erste Frau im wichtigsten Amt in Vietnam wäre.
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