■ Präsident Jassir Arafat hatte gerufen, doch nur wenige kamen: Zu dem Protestgebet gegen den Bau neuer jüdischer Siedlungen durch die israelische Regierung erschienen nur rund 20.000 Palästinenser. Eine neue Intifada ist nicht in Sicht: Fal
Präsident Jassir Arafat hatte gerufen, doch nur wenige kamen: Zu dem Protestgebet gegen den Bau neuer jüdischer Siedlungen durch die israelische Regierung erschienen nur rund 20.000 Palästinenser. Eine neue Intifada ist nicht in Sicht
Falscher Alarm in Jerusalem
Es waren nicht mehr als 15.000 bis 20.000 Palästinenser, die sich gestern zum muslimischen Freitagsgebet auf dem Tempelberg in Jerusalem versammelten. Und dabei hatte PLO-Chef Jassir Arafat zehnmal so viele Gläubige erwartet. Ein riesiges Protestgebet von 100.000 Palästinensern gegen den harten Kurs der neuen israelischen Rechtsregierung hatte es werden sollen.
Doch die meisten der 2.000 israelischen Polizisten, die für den Einsatz mobilisiert und in höchste Alarmbereitschaft versetzt worden waren, blieben arbeitslos. „Wir werden es nicht hinnehmen, daß Israel den Friedensprozeß einfriert und die Verhandlungspause dazu ausnutzt, die jüdischen Siedlungen auszubauen“, predigte der Imam der al-Aksa-Moschee auf dem Tempelberg: „Worte allein genügen nicht.“ Doch vorläufig blieb es bei Worten. Ohne einen einzigen Zwischenfall verließen die Gläubigen nach dem Gebet den Tempelberg.
An den israelischen Absperrungen habe es gelegen, sagte Machmud al-Jassin, ein Tempelberg- Wächter der arabischen Waqf-Behörde, die für religiöse Angelegenheiten in Jerusalem zuständig ist. Die Abriegelung der Autonomiegebiete ist seit den Anschlägen islamischer Fundamentalisten im Februar und März in Kraft, und nur wenige Palästinenser besitzen Einreisegenehmigungen nach Israel. Für das Gebet am Freitag hatte die israelische Armee zusätzliche Sperren errichtet und die Sicherheitsdienste in höchste Alarmbereitschaft versetzt. „Alle zwei Meter stand ein Polizist“, meint al- Jassin. „Wie soll man so nach Jerusalem kommen?“
Jamal, ein palästinensischer Lehrer, hat eine andere Erklärung: „Die Leute haben die Hoffnungen in den Friedensprozeß verloren. Sie haben keine Lust mehr.“ An den Absperrungen zeigten sich gestern weniger Palästinenser als bei früheren, ähnlichen Aufrufen zu Protestaktionen.
Doch auch Arafat scheint kein Interesse daran zu haben, die Stimmung anzuheizen. Trotz seines angestauten Ärgers wegen des immer wieder versprochenen und immer wieder verschobenene Abzugs der israelischen Armee aus dem palästinensischen Hebron und seinem Zorn über die Siedlungspläne habe er, so sagten israelische Polizeiquellen gestern, selbst den Aufruf zum Massengebet inoffiziell heruntergespielt und klargemacht, daß Unruhen nicht im Interesse der Palästinenser liegen würden. Auch Feisal Husseini, PLO-Führer in Jerusalem, äußerte sich ähnlich.
Der vierstündige Generalstreik vom Donnerstag im Westjordanland und im Gaza-Streifen, der weitgehend befolgt wurde, hat die Enttäuschung der Palästinenser über die politische Lage zum Ausdruck gebracht. Doch insgesamt scheint die Autonomiebehörde immer noch auf den Verhandlungsweg zu setzen.
Nächste Woche will Israel die Gespräche offiziell wieder aufnehmen. Israels Regierung bildete dafür gestern ein neues Verhandlungsteam, das von Regierungschef Benjamin Netanjahu, Außenminister David Levy und Verteidigungsminister Jitzhak Mordechai koordiniert wird. Anzeichen dafür, daß diesmal mit den Gesprächen ernst gemacht werden wird, war ein Treffen zwischen dem Netanjahu-Berater Dori Gold und Arafats inoffiziellem Stellvertreter Abu Mazen.
Seit dem Wahlsieg Benjamin Netanjahus hat Arafat wachsende Schwierigkeiten, den Palästinensern klarzumachen, warum sie vom Friedensprozeß mit Israel profitieren sollten. Die palästinensische Autonomiebehörde schwankt hinsichtlich Netanjahus Politik zwischen nüchterner Kalkulation und Verzweiflung. Ein ums andere Mal verspricht der Premier, den Friedensprozeß weiterzuführen, und ein ums andere Mal gibt es dafür keine konkreten Anzeichen. Einerseits würde der rechtsgerichtete Politiker gerne die Siedlungen, einschließlich Hebrons, in großem Ausmaß ausbauen, andererseits setzen ihn die USA, die arabischen Staaten und Europa unter Druck.
Die Signale aus Israel sind widersprüchlich: So kündigte Israels Präsident Weizman an, sich mit Arafat zu treffen. Gleichzeitig reißt die Jerusalemer Stadtverwaltung ein palästinensisches Gebäude in der Altstadt ein, und israelische Sicherheitskräfte schikanieren den PLO-Chef, indem sie die Landegenehmigung für seinen Hubschrauber verweigert und ihn 45 Minuten über Ramalla kreisen läßt. Doch die Rückkehr zur Intifada ist dennoch zur Zeit keine Alternative für die Palästinenser. Ayala Goldmann
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