: Präsident, Flüchtling, Erzähler
■ Endlich ein Einblick in das Werk Juan Boschs
Wenn sich jemand im Land der Dichter und Denker zu der Behauptung verstiege, daß der Vers eine Waffe im Kampf für den Fortschritt und die Freiheit der Menschheit sei, so würde ihn die politische Welt nicht allzu ernst nehmen. Selbst für den lateinamerikanischen Raum, auf den sich dieses Statement des dominikanischen Schriftstellers und Politikers Juan Bosch bezieht, ist es angesichts einer von Fremdherrschaft bestimmten Geschichte eine gewagte Behauptung. Trotzdem ist diese Hoffnung bezeichnend für viele Intellektuelle aus Lateinamerika, wie Vargas Llosa, Sarmiento oder Pablo Neruda — und sie erklärt auch das Selbstverständnis Boschs als Autor.
Wir haben es mit einem Schriftsteller zu tun, der, 1909 in La Vega geboren, fast sein halbes Leben vor Diktatoren fliehen mußte. Von dem heute 81jährigen, immer noch politisch aktiven Juan Bosch liegt jetzt erstmals ein Erzählband in deutscher Sprache vor. Die erste Erzählung hebt an mit der Totsagung einer Straße. Der Täter: die Sonne. „Die Sonne hat sie getötet. Die stählerne, weißglühende und rote Sonne.“ Ein Mann prügelt seine Frau brutal aus der Hütte, weil sie ihrem hungernden Kind die Ziegenmilch gab, anstatt sie zu verkaufen. Ein Fremder, der zufällig vorbeikommt, mischt sich ein. Die Frau rafft ihre letzte Kraft zusammen und erschlägt mit einem Stein rücklings ihren Verteidiger.
Der Einstieg ist hart. Diese Erzählung, die Bosch schlicht Die Frau nennt, führt abrupt in eine fremde Welt und Psyche. Der Mensch muß sich wie jedes andere Geschöpf mit den lebensspendenden und zerstörerischen Launen der Natur arrangieren. Sie dominiert alles: Sie dörrt Leiber und Gehirne aus, sie schluckt Land mit reißenden Überschwemmungen. Konfrontation mit ihr bedeutet existenziellen Kampf: Bosch beschreibt die Lebensbedingungen der armen Landbevölkerung der Dominikanischen Republik.
Das Faszinierende an Bosch ist seine Sprache: Kurze, einfache Sätze vermitteln die Melancholie einer Landschaft. Über dezent gesetzte Metaphern entwickeln die Elemente ein Eigenleben; Bosch schreibt stakkato, und dennoch haben seine Szenerien die Eindringlichkeit eines Breitwandfilmes.
Als Bosch im Jahre 1938 vor der Trujillo-Diktatur nach Kuba flüchten muß, beginnt für ihn ein über zwei Jahrzehnte andauerndes Exil. Es bringt ihn mit politischen und literarischen Strömungen in Kontakt, die ihn nachhaltig prägen: Bosch gründet noch in Kuba den gemäßigten Partido Revolucionario Dominicano (PRD). Ziel ist der Sturz der Trujillo-Diktatur. In den dreißiger Jahren konzentrieren sich die lateinamerikanischen Schrifsteller auf nationale Themen, woraus sich der realistische Sozialroman entwickelt. Mit Prostitution, Willkür der Justiz, Aberglauben und Ausbeutung der Lohnarbeiter fokussiert Bosch in seinen Kurzgeschichten die sozialen Mißstände, greift in den zwischen 1932 bis 1952 entstandenen Erzählungen mit einem sicheren Gespür gerade die sozialen Brennpunkte auf, die auch heute noch aktuell sind.
Typisch dominikanische Verhältnisse tauchen in dem Erzählband selten auf. Mit Luis Pie beschreibt er den Rassismus seiner Landsleute gegen die wesentlich ärmeren, oft als rechtlose Arbeitstiere in der „grünen Hölle“ der Zuckerrohrplantagen arbeitenden Haitianer. Vielmehr schlägt sich seine Exil-Situation literarisch nieder: „Es ist besser, in diesen Ländern zu leben, wo es noch Menschen gibt, die in der Lage sind, ihr Leben bis zum Tod zu leben.“ Diese Bemerkung aus Das Mädchen aus La Guaira könnte auch die Durchhalteparole eines wegen politischer Untergrundarbeit gefährdeten Autors sein. 1961 wird Trujillo ermordet, Bosch kehrt in die Dominikanische Republik zurück und wird 1962 zum Präsidenten gewählt. Er arbeitet eine fortschrittliche und demokratische Verfassung aus. Ihre Umsetzung vereiteln die ultrakonservativen Militärs, die Bosch nach nur sieben Monaten Amtszeit stürzen.
Die April-Revoltuion von 1965 versucht, diese Verfassung wieder in Kraft zu setzen. Doch die Intervention der USA kommt einer Selbstbestimmung des dominikanischen Volkes zuvor. Bosch konzentriert sich nun vorwiegend auf die Politik. Er schreibt nun historische und politische Essays, unter anderem Der Pentagonismus oder die Ablösung des Imperialismus, worin er die Außenpolitik der USA verurteilt.
Weshalb Boschs Kurzprosa trotz aktueller Themen, trotz eines phantastisch-witzigen und kritischen Stils bisher vom deutschsprachigen Literaturbetrieb ignoriert wurde, ist eigentlich unverständlich. Die nun vorliegende Auswahl ist glücklich getroffen, da sie einen Querschnitt durch sein Werk vorstellt.Uschi Diebold
Juan Bosch, Das Mädchen aus La Guaira. Karibische Erzählungen. Dipa-Verlag, Frankfurt/M., 178 Seiten, 32,- DM
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