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Portugal: Die Nelken verwelken Parlament deformiert Verfassung

Lissabon (AFP) - Am Dienstag abend war es soweit: eine sechzigstündige, auf fünf Wochen verteilte Debatte reichte den Abgeordneten des portugiesischen Parlaments, um die aus der Zeit der Nelkenrevolution von 1974 stammenden entscheidennden Passagen aus der Verfassung zu streichen. Darin war vom „Willen des Volkes, Portugal in eine klassenlose Gesellschaft zu verwandeln“ die Rede ist, sowie von der „Unumkehrbarkeit der Verstaatlichungen“. Im Zuge der Verfassungsdebatte haben die Parlamentarier außerdem den gesamten „ideologischen Ballast“ eines anderen Dokuments gestrichen, das 1976, inmitten der revolutionären Periode, entstanden war: Es sah den Übergang zum Sozialismus, die Kollektivierung der wesentlichen Produktionsmittel und eine durchgreifende Agrarreform vorsah.

Obwohl die Abstimmung über den veränderten Text erst nächste Woche stattfinden soll, ist jede Überraschung ausgeschlossen, weil

die Verfassungsänderung auf eine Vereinbarung zurückgeht, die im Oktober vergangenen Jahres zwischen den beiden größten Parteien Portugals, den regierenden Sozialdemokraten und den Sozialisten getroffen wurde. Die Vereinbarung umfaßt auch Themen wie die Regionalisierung, den Abbau des staatlichen Fernsehmomnopols, das Gesundheitswesen und die Wahlgesetze. Die Sozialdemokratischen Partei (PSD) von Ministerpräsident Anibal Cavaco Silva, die seit den Parlamentswahlen von 1987 mit absoluter Mehrheit regiert, benötigte für die Umsetzung ihres Privatisierungsprogramms die Stimmen der Sozialistischen Partei (PS), weil für eine Verfassungsänderung eine Zweidrittelmehrheit erforderlich ist. Der neue Verfassungstext gibt der Regierung die Möglichkeit, die im Mai 1975 verstaatlichten Betriebe im Rahmen eines Gesetzes zu privatisieren, das die Abgeordneten mit einfacher Mehrheit verabschieden werden.

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