Portrait: Regisseur hinter Gittern
Die letzte Auszeichnung, den renommierten Europäischen Theaterpreis, wird Russlands bekanntester Regisseur wohl nicht persönlich in Empfang nehmen können. Am Dienstag wurde Kirill Serebrennikow in Sankt Petersburg festgenommen.
Seine Inhaftierung wirft bedrohliche Schatten voraus. Soll an dem auch international gefeierten Theater- und Filmregisseur ein Exempel statuiert werden? Ist das Regime Putin so verunsichert, dass es überreagiert? Dass es selbst jene Freiheiten infrage stellt, die das System Ausnahmekünstlern einräumt?
Dem 47-jährigen schwulen Theatermann aus Rostow am Don wird Betrug zur Last gelegt, nicht am Zuschauer, sondern am Staat, dessen Subventionen er veruntreut haben soll. Bei einem, der von seiner Sache so besessen ist wie Serebrennikow, scheint der Griff in die eigene Theaterkasse jedoch artfremd. Warum sollte er Kopeken veruntreuen, wenn er im Ausland Valuta verdient?
Spätestens seit Mai steht er unter Beobachtung der Ermittler. Der Regisseur ist ein Geschöpf der Putin-Ära, jedoch kein Oppositioneller, der Kritik offen formuliert. Nur selten äußert er sich in der russischen Öffentlichkeit zu politischen Entwicklungen. Vielmehr ist Serebrennikow jemand, der laut nachdenkt, die Verknüpfung der Einzelteile aber der Fangemeinde überlässt. Klartext formuliert er eher in Interviews mit ausländischen Medien.
Der Kreml könnte sich mit dem in Europa begehrten Kunstschaffenden schmücken, ohne sich politisch in Gefahr zu bringen. Nur als bekennender Schwuler tritt Kirill – um es in Kreml-Sprache zu formulieren – als „Propagandist“ auf, wenn er für die Rechte von Minderheiten wirbt. Sollte er nun nicht mehr im Ausland Regie führen dürfen – im September steht in Stuttgart Humperdincks „Hänsel und Gretel“ auf dem Plan – wird Serebrennikow recht behalten: Russlands Schicksal entscheide sich jetzt, meinte er vor Kurzem. Sein persönliches Schicksal schien er nur als kurzes Vorspiel wahrzunehmen.
Serebrennikow steht für jenen Typ des Künstlers und Intellektuellen, der Russland immer wieder den Ruf rettete, trotz aller Irritationen, ein Teil Europas zu sein. Klaus-Helge Donath
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